Weltweit streiken heute wieder Millionen Menschen für mehr Klimaschutz und besonders junge Leute für ihre Zukunft und einen lebenswerten Planeten. Die Klimabewegung marschiert in Tagebaugruben, rettet Wälder, fordert die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens und macht den Job, den eigentlich die Regierung hätte: Unsere Lebensgrundlagen schützen.
Die Wahl in NRW hat wieder gezeigt, dass für junge Wähler*innen Klima und Umwelt die wichtigsten Themen in ihren Kommunen sind. Der Frust ist riesig und zwar zurecht. Ihre Stimme wird nicht gehört, ihre Interessen nicht vertreten. Auf Bundesebene legt die GroKo seit Jahren viele Ankündigungen und umso weniger Taten beim Klimaschutz vor. Das Klimapaket oder der Kohleausstieg sind perfekte Beispiele dafür, wie ein Problem zerredet und als Pillepalle abgespeist wird. Angela Merkel nannte es die Politik dessen, „was möglich ist“. Wenn das alles ist, was möglich ist, dann läuft etwas falsch.
Herkömmliche Politik-Rezepte passen nicht auf die Klimakrise
Eingeübt ist, dass „Mandatsträger und Vertreter aller Parteien Entscheidungen in endlosen Abstimmungsschleifen fällen, meist durch kurzfristig nutzenorientierte Kompromissbildung“ (Nanz/Leggewie, Die Konsultative). Aber große Herausforderungen wie die Klimakrise und das Artensterben lassen sich nicht mit diesen herkömmlichen Politik-Rezepten lösen. Die lineare Suche nach dem größtmöglichen Kompromiss und Aushandlung zwischen den Parteien kann für den Klimaschutz sogar kontraproduktiv sein, wie das Klimapaket zeigt.Jahrhundertaufgaben können so nicht bearbeitet werden. Die Klimakrise ist kein neuer Haushalt, der aufgestellt und ausgehandelt wird. Hinterzimmer-Deals und die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners reichen nicht aus.
Die gesellschaftlichen Echokammern müssen sich zuhören
Unsere pluralistische Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Sie zerfällt zunehmend in abgetrennte Sphären und Milieus, gemeinsame Begegnungsorte werden weniger. In der politischen Diskussion bleibt jedoch keine Zeit, diese unterschiedlichen Interessen gesellschaftlich auszuhandeln. Was wir brauchen, sind vorurteilsfreie Räume, in den Menschen gemeinsam auf Augenhöhe sprechen können. Im Wissen und Sorge umeinander und in Solidarität miteinander gemeinsam zu handeln. Wo man sich sieht und versteht, entsteht Raum für gemeinsame Veränderung.
Gemeinsames soziales Lernen stärkt die Arbeit von Parlamenten
Die Zeiten sind vorbei, in denen Bürger*innen ihre Anliegen nur per Brief oder in Bürger*innensprechstunden vorgebracht haben. Sie sind heute selbst Akteure und gestalten mit. Fridays for Future sind das beste Beispiel dafür. Auch das ist auch ein Effekt der Digitalisierung. Sie beschert uns politische Echokammern, die Radikalisierung von Einzelgruppen und Hass und Hetze in ganz neuem Maße, aber auch neue Hör- und Sichtbarkeiten, Formen der Zusammenarbeit und Solidarität. Politiker*Innen sind dadurch nicht mehr nur Sprachrohr nach „oben“ oder Figuren, an denen man sich abarbeiten kann, sondern auch Kooperationspartner*innen für die gemeinsame Sache.
Meistens werden durch bürgerschaftliches Engagement die Personen mobilisiert, die ihre Stimme schon gut und laut einzusetzen wissen. Darum brauchen wir mehr. Ein Bürger*innenrat nimmt die Menschen mit an den Tisch, die bisher nicht oder wenig beteiligt sind, zum Beispiel durch ein Losverfahren mit angemessenem Proporz. Gleichzeitig kommen dort auch die Interessen derjenigen vor, die gar nicht dabei sein können – die Politik des leeren Stuhls. Die Nicht-Geborenen, Personen ohne Wahlrecht und Menschen, die nicht in Deutschland leben, aber massiv von unserer Politik betroffen sind. Besonders wenn es um Zukunftsorientierung und um die Verknüpfung sozialer, ökonomischer und ökologischer Dimensionen geht, können Beteiligungsprozesse als Keimzellen gemeinsamen Lernens dienen. Soziales Lernen motiviert Bürger*innen, aber auch Verwaltungsmitarbeitende und Mandatsträger*innen, sich konstruktiv und nachhaltig Problemen zu widmen, die im „Draußen“, also der Weltgesellschaft, dem Ökosystem und künftigen Generationen, stattfinden.
Der französische Bürger*innenrat hat vorgemacht, wie das funktionieren kann. Dabei ging es vor allem um das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent zu verringern und Empfehlungen zur künftigen Klimapolitik Frankreichs zu erarbeiten. Der Rat besteht aus 150 Menschen, die nach dem Zufallsprinzip anhand ihrer Telefonnummer ausgewählt wurden - zugleich wurde bei der Besetzung aber darauf geachtet, dass er Frankreichs Bevölkerung repräsentiert, was etwa Geschlecht, Alter und Bildungsstand angeht. Die Mitglieder stimmten unter anderem dafür, den Klima- und Umweltschutz in der der französischen Verfassung festzuschreiben und mit dem "Ökozid" ein Straftatbestand für Umweltzerstörung zu schaffen. Über beide Vorschläge sollte die französische Bevölkerung nach dem Willen des Rats in einem Referendum abstimmen. Der Bürger*innenrat legte rund 150 Vorschläge vor, zu denen unter anderem eine bessere Wärmedämmung von Gebäuden und eine Senkung des Tempolimits auf Autobahnen von 130 auf 110 Stundenkilometern zählen.
Wie sollen Bürger*innenräte für das Klima aussehen?
Bundesweit wird derzeit daran gearbeitet einen Bürger*innenrat zum Thema „Die Rolle Deutschlands in der Welt“ einzusetzen. Die Erfahrungen daraus werden auch für zukünftige Klima-Bürger*innenräte wichtig und nützlich sein. Wir brauchen eine Form der Bürger*innenbeteiligung, die das Parlament stärkt. Die Rolle des Parlaments soll mit der Übersetzungsleistung in die Gesellschaft verbessert werden. Darum ist zentral, dass neue partizipative Foren mit formell legitimierten Entscheidungsgremien wie dem Deutschen Bundestag strukturiert verbunden werden. Bürger*innen können im Rahmen der Arbeitsteilung ebenso beratend für die parlamentarische Demokratie und Abgeordnete tätig sein wie Expert*innen und Wissenschaftler*innen. Genau weil der Bundestag ein Arbeitsparlament ist und bleibt, ist die Kommunikation von der Gesellschaft in das Gremium hinein so wichtig. Damit ein Beteiligungsprozess erfolgreich ist, braucht es klare Zielsetzung, transparente Rollenaufteilung und Kompetenzzuweisung, Inklusivität („alle an den Tisch“) und Transparenz drinnen und draußen („alles auf den Tisch“), echten Gestaltungsspielraum mit klaren Alternativen, Professionalität und Rückmeldungen, und nicht zuletzt eine obligatorische Anbindung an Legislative und Exekutive.
Um erfolgreich zu sein, muss der Rat eindeutig unabhängig und undurchlässig für Fake News oder bestimmten Interessengruppen sein. Zweitens muss er partizipativen Formen Vorrang einräumen, Diskussion von Vorschlägen und mehreren Stellungnahmen zu den verschiedenen Themen zulassen und anschließend gemeinsame Entscheidungen fällen. Wichtig ist, dass die Regierungsebenen sich mit den Beschlüssen des Rats zwingend auseinandersetzen und darauf reagieren müssen.
Die Beteiligung muss nicht nur auf großer Ebene angesiedelt sein, sie ist im kommunalen Politikbetrieb genauso wichtig. Wie funktionieren Energiewende und emissionsfreier Verkehr vor Ort? Was heißt eigentlich Klimaneutralität für Städte und Gemeinden? Diese Fragen können Bürger*innenräte mit ihren Kommunen gemeinsam beraten.
Klimakrise auf allen Ebenen bekämpfen
Die Klimastreiks und Proteste verlangen endlich entschiedenes Handeln im Kampf gegen die Klimakrise. Sie haben Recht, aber ihre Stimmen verhallen auf dem langen Weg zum Kanzleramt. Bürger*innenräte bieten die Chance, diese Stimme direkt ans Ohr der Regierung zu bringen, damit sie nicht mehr überhört werden kann.
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