Vormittags wird der blaue Van mit auffällig bunten Magnetschildern dekoriert. „Love is Love“, „Pride“ oder „Rainbow Mythbusters“ steht darauf. „Rainbow Mythbusters“ ist eine Aktion von Marsz Równości w Lublinie (Gleichstellungsmarsch Lublin) im Südosten Polens, mit der die NGO Vorurteile gegenüber der LGBTIQ-Community abbauen will. Besonders stolz ist Aktivistin und Mitorganisatorin Adrianna Kurek auf die Idee mit den Magnetschildern: „Die Schilder werden nie geklaut, weil die Menschen, die uns hassen, nicht wissen, dass es einfach nur abnehmbare Magnete sind.“ Von der Großstadt Lublin aus fahren die Aktivist*innen samstags in eine der umliegenden Kleinstädte. Insgesamt zehn wollen sie besuchen.
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n.Die Provinz Lublin befindet sich in der sogenannten „LGBT-freien“ Zone. Das heißt, sie hat eine Deklaration über die Rechte der Familie verabschiedet, in der sie sich für „frei von Ideologien“ betreffend die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität erklärt. Aktivist Kuba Gawron und seine Mistreiter*innen haben das Ausmaß im „Atlas des Hasses“ visualisiert: Rote Zonen haben Deklarationen verabschiedet, grüne haben sich dagegen ausgesprochen, in den gelben wird Lobbyarbeit für die Resolutionen betrieben. „Ich war schockiert“, erzählt Gawron. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele rote Flächen geben würde.“ Der 39-Jährige lebt in Rzeszów, mitten in einem dieser Gebiete. Knapp ein Drittel des Landes ist von „LGBT-freien“ Zonen bedeckt. Die treibende Kraft hinter diesen LGBTIQ-feindlichen Initiativen ist das Ordo-Iuris-Institut – ein ultrarechter Thinktank, der sich seit Jahren mit politischen Kampagnen gegen die Gender- und LGBTIQ-„Ideologie“ einsetzt.Von diesem Hass ist bei der „Rainbow Mythbusters“-Aktion in der Stadt Włodawa erst einmal nichts zu sehen. Die Gruppe baut auf: zwei Klapptische, ein paar Regenbogenflaggen und viele Sticker, Jutebeutel zum Besprühen, Flyer zur Aufklärung und Donuts. Für die 20-jährige Adrianna Kurek sind die Gewalt, die täglichen Beleidigungen und das Gefühl, in der Heimat unerwünscht zu sein, nur schwer zu ertragen. „Früher dachte ich, dass wir in Polen bis 2025 auch die Ehe für alle haben“, erzählt sie. „Aber das war wohl bloß ein schöner Traum“. Die „Rainbow Mythbusters“-Aktionen findet sie besonders wichtig: „In jeder dieser Städte werden queere Menschen geboren, egal ob sich die Zonen als ,LGBT-frei‘ bezeichnen“, sagt sie. Ihnen will sie zeigen, dass sie nicht allein sind und es andere gibt, die sie verstehen.Dem Optimismus zum Trotz: Die Situation ist für die LGBTIQ-Community nirgendwo in der EU so schlecht wie in Polen – zu diesem Schluss kommt das jährliche Ranking der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA). „Die meisten Grundrechte von LGBTIQ-Personen werden hier verletzt“, fasst auch Milena Adamczewska-Stachura zusammen, die im Gleichstellungsbüro des polnischen Beauftragten für Bürgerrechte für LGBTIQ-Anliegen zuständig ist. Die Liste der Verletzungen ist lang, in vielen Bereichen gibt es zu wenig oder keinen rechtlichen Schutz. So ist etwa Hassrede aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität nicht strafbar. Folglich werden Hass und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen nicht als solche erfasst, genaue Aussagen oder Statistiken über Verbrechen gegen die LGBTIQ-Community sind nicht möglich. Auch im Bereich der Frauenrechte verschlechtert sich die Situation: Ende Oktober beschloss das polnische Verfassungsgericht ein faktisches Abtreibungsverbot. Schwangerschaftsabbrüche sind in Polen nur noch erlaubt, wenn die Gesundheit der Frau gefährdet oder die Schwangerschaft Ergebnis einer Vergewaltigung ist.Von der Polizei ausgelachtJakub Maj ist erst 15 Jahre alt, aber bereits als Aktivist unterwegs. Der bisexuelle Teenager lebt in Włodawa und ist beim Aktionstag der „Rainbow Mythbusters“ dabei. Dumme Sprüche gehören für ihn zum Alltag. Als er bei der Polizei homophobe Beleidigungen auf seinen Social-Media-Kanälen zur Anzeige bringen wollte, lachte man nur über ihn. Mehrmals wurde er auch körperlich angegriffen, mit Steinen und Flaschen beworfen. Die politische Entwicklung macht ihm Angst, am Protest hält er fest. Seine Motivation: „Ich will, dass Polen ein Land ist, in dem sich alle wohlfühlen können.“In den polnischen Staat unter der Regierung der rechtsnationalen PiS setzt Marcin David Król wenig Hoffnung. Der 44-jährige Violinist lebt in Rąblów, einem Dorf in der Provinz Lublin. „Als Künstler bekomme ich in meinem Umfeld den Hass nicht so mit“, erzählt er. Die Deklarationen rufen bei ihm vor allem Wut und Trauer hervor. Er hat in Deutschland studiert, dort begonnen zu arbeiten und kam mit dem EU-Beitritt Polens voller Hoffnung zurück. „Ich war so stolz, dass wir endlich Teil des Westens sind“, erzählt er. Heute ist er vor allem enttäuscht: davon, dass Polen zwar das Geld aus der EU annimmt, sich aber konsequent weigert, auch ihre Werte zu teilen. Dass Polen sich nicht bereit erklärt, geflüchteten Menschen in einer humanitären Krise zu helfen. Und enttäuscht, weil gegen ihn und seine Community immer mehr politischer Hass gesät wird. „Ich schäme mich“, sagt er.Aus der Sicht der Aktivist*innen ist an diesem Herbstsamstag nicht viel los in Włodawa: Einige wenige Passant*innen halten an, ein paar steuern gezielt den Stand an, andere lassen sich von den Donuts überzeugen. Besucherin Julia, die extra für die Aktion hergekommen ist, freut sich. „Es ist wichtig, dass die Leute uns unterstützen und so zeigen, dass wir normal sind“, sagt sie. Dass nicht alle in Włodawa das so sehen, wird schnell klar. Einige Männer beobachten die Aktivist*innen aus ihren Autos, einer droht, sie zu verprügeln und die Polizei zu rufen. Zwei ältere Damen schreien die Gruppe an und fragen, wer sie für solche Aktionen bezahle. Noch krasser sind ein paar ältere Jungen: Sie wollen die Regenbogenfahne anzünden und die Aktivist*innen ins Konzentrationslager stecken. Gaskammern, Konzentrationslager, Aufkleber mit „LGBT-freie Zone“ in einer großen Tageszeitung – in Polen liegt es derzeit auf der Hand, Parallelen zum Diskurs im Dritten Reich zu ziehen. Für Król ist das ein besonderer Stich ins Herz. Er ist Jude, sein Großvater überlebte Auschwitz. „Die EU muss jetzt stärkere Sanktionen einführen“, meint er. Finanzielle Einbußen seien das Einzige, was die PiS-Regierung zum Umdenken bringen könne.Katholische MedienmachtBeobachtet man nur die Szenen auf dem Platz in Włodawa, ist schwer zu verstehen, woher der Hass gegen die sieben Aktivist*innen mit ihren zwei Klapptischen und den Regenbogenflaggen kommt. Schaltet man das polnische Fernsehen ein, erklärt sich einiges: Bischöfe sprechen von einer „Regenbogenplage“, Politiker*innen von „LGBT-Ideologie“. Auf dem offen rassistischen, aber beliebten Radiosender Maryja wird von dem bekannten Pater Rydzyk nonstop gegen Geflüchtete, Abtreibungen oder eben queere Personen gewettert. Für viele Pol*innen sind diese Kanäle und katholische Medien Hauptinformationsquellen.Bei „Rainbow Mythbusters“ lassen sich die Aktivist*innen von Beleidigungen nicht aus der Ruhe bringen. Routiniert lächeln sie darüber hinweg, verteilen Donuts und Infomaterial. Nur Jakub Maj schreit einmal zurück. Nach ein paar Stunden packen die Aktivist* innen ihr Material in Włodawa wieder ein. Fast auf jedes offene Gespräch, das sie führen konnten, kam eine Beleidigung oder abfällige Bemerkung. Die Aktivist*innen sind sich trotzdem sicher, dass sie etwas bewegen konnten. „Vor einem Jahr fand ich mich noch abstoßend“, erzählt Maj. „Erst der Kontakt mit anderen Menschen, die so sind wie ich, hat mir geholfen, mich zu akzeptieren.“ Das will er weitergeben. Viele LGBTIQ-Personen in Polen hätten nicht die Kraft, sich immer wieder gegen Hass und Hetze zu behaupten, einige seien ausgewandert. Maj und Kurek wollen bleiben. Kurek sagt: „Nicht alle queeren Personen können aus Polen weggehen. Jemand muss hierbleiben und für unsere Rechte kämpfen.“Placeholder authorbio-1
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