Modeling oder Nodeling

Bühne Die Künstlerin Britta Thie ließ das Publikum an den Münchner Kammerspielen einer Airbnb-Sitcom beiwohnen
Ausgabe 27/2016

Modeln oder nicht modeln – das ist hier die Frage. Modeling oder nodeling. Das Wortpaar fasst das Dilemma einer ganzen Generation zusammen: Existiere ich, wenn ich medial keine Rolle spiele?

Britta Thie existiert. Sie hat ihre Porzellanhaut, das rotblonde Elfenhaar und die feinen Glieder als Projektionsfläche zur Verfügung gestellt. Zum Beispiel für Kampagnen von Louis Vuitton und Jil Sander. Es liegen genügend mediale Beweise ihrer Existenz vor und trotzdem hat sie etwas Sphärisches. Nicht auszuschließen, dass sie sich in Luft auflöst, wenn man ihr Bild in der Vogue berührt, und plötzlich bei irgendeiner Vernissage wieder auftaucht.

Thie, 29 Jahre alt, ist Model und Medienkünstlerin. Sie entwickelte vergangenes Jahr die Webserie Transatlantics für die Frankfurter Kunsthalle Schirn. Die Serie lief auf Arte und auf der Webseite des Museums und zeigte, wie ihre Generation so lebt zwischen Instagram und Jetlag. Thie inszenierte sich und ihre Freunde. Es wirkte oberflächlich und zugleich verloren. Einmal steht Thie in Transatlantics in einer Großstadt auf dem Bürgersteig und weint wie ein Kind, das sich verlaufen hat.

Die Serie bescherte ihr aufgrund solcher Brüche große Aufmerksamkeit, weil sie eben auch vorführte, wie oberflächlich und verloren die Generation Y in der digitalen Welt agiert, in die sie erst hineinpubertiert ist. Und weil da immer noch die Erinnerung an die sichere analoge Kindheit ist, in der Fotos aus Papier waren, ist es so schwer für die in den 80ern Geborenen, erwachsen zu werden.

An den Münchner Kammerspielen tauchte Britta Thie am Wochenende nun in einem weiteren Medium auf. Zum ersten Mal inszenierte sie auf einer Theaterbühne. I’MDb. Ein Live-Drama über die Tragik des Ratings ist eine Koproduktion der Kammerspiele mit dem ZDF und Arte Creative – der Serienpilot einer Sitcom. Es gab eine Kulisse, eingespielte Lacher und Live-Regieanweisungen von Thie. Der Zuschauer wohnte dem Dreh bei, war aber in seiner Anwesenheit nicht gefordert.

Ohne Witze

Sitcoms verhandeln in gleichbleibender Kulisse mit gleichbleibendem Personal weitgehend handlungsfrei Konflikte. Das funktioniert, weil sie lustig sind. Sitcoms sind Zustandsbeschreibungen der Gesellschaft mit vielen Witzen.

Das liefert auch Thie mit I’MDb, – nur ohne Witze. Der Zustand ist schnell erzählt: Zwei Freunde teilen sich eine Wohnung, die sie bei Airbnb untervermieten. Ihre Gäste suchen nicht nur ein Bett, sondern wollen „Teil ihres Lifestyles sein“. Für gute Bewertungen müssen sich die Gastgeber ins Zeug legen und eine tolle Oberfläche inszenieren. Modeling oder Nodeling, cool sein oder nicht sein, darum geht es. Wie bereits in Transatlantics setzt Thie ihre Freunde ein, die sich selbst spielen.

Als Airbnb-Gast taucht dann auch Vera von Lehndorff auf, besser bekannt als Veruschka. Das erste deutsche Topmodel, heute Künstlerin und Stilikone, trägt ein Leben mit sich herum, das Spuren hinterlassen hat. Die um digital präsenten Lifestyle so bemühten Gastgeber verblassen daneben zur Karikatur einer Generation ohne irgendein echtes Leben. Und das ist unfair, weil die Trauer darüber unter der inszenierten Oberfläche nicht durchbricht. Lieber würde man sehen, wie Thies Selbstinszenierung mit dieser Veruschka kollidiert. Das sphärische Wesen auf der Suche nach echten Erfahrungen. Doch jemand muss sie berührt haben. Von der Bühne ist sie jedenfalls verschwunden.

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