Die Macht der Bewegung

Mietenproteste Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ erhält starken Zuspruch. Und die Wohnungswirtschaft? Reagiert hilflos und mit wenig überzeugenden Argumenten
Circa 40.000 Menschen gingen am Samstag gegen den Mietenwahnsinn auf die Straße
Circa 40.000 Menschen gingen am Samstag gegen den Mietenwahnsinn auf die Straße

Foto: Steffi Loos/Getty Images

In Berlin möchte eine Initiative private Immobilienmarktakteure, die über 3.000 Wohneinheiten besitzen, enteignen – eindrucksvoll unterstrichen von der Mietenwahnsinn-Demonstration vergangenen Samstag, an der über 40.000 Menschen teilnahmen. Im angestrebten Volksentscheid zur Vergesellschaftung der Berliner Bestände großer Immobilienkonzerne kulminieren die Forderungen und Erfahrungen aus über zehn Jahren Mieter*innenbewegung. Trotz einiger Zugeständnissen der Stadt Berlin – statt Wohnungen zu privatisieren wird das öffentliche Segment wieder ausgebaut – hat der Protest die Mietpreisdynamik bislang nicht stoppen können.

Gerade die Mieter*innen der Deutsche Wohnen mussten diese Erfahrung machen. Obwohl sie sich organisiert und vernetzt haben und obwohl sie an manchen Orten gemeinsam mit Bezirksverwaltungen dämpfend auf die Modernisierungsumlagepläne der Deutsche Wohnen einwirken konnten, änderte das doch nichts an deren Verwertungsmodell: Einsparung durch Vernachlässigung von Instandhaltung und anschließende Modernisierung, durch deren Umlage die Mieten gestützt von Bundesrecht massiv angehoben werden können.

Nachdem Mietenpolitik jahrelang ein Fall für die Lokalteile der Zeitungen war, nimmt mit dem Volksbegehren zur Enteignung von Deutsche Wohnen & Co nun auch die bundesweite Debatte an Fahrt auf. Die Immobilienwirtschaft mit ihren Verbänden und Vertretern sieht sich genötigt Stellung zu beziehen. Ihre Reaktionen wirken allerdings hilflos. Mal wird die Kommunismus-, mal die Faschismus-Keule geschwungen – wahlweise auch beides gleichzeitig. Auch in der sachlichen Argumentation haben die Akteure der Wohnungswirtschaft ihre Hegemoniefähigkeit verloren.

Erzählung der Immobilienwirtschaft verfängt nicht mehr

Jahrelang haben sie die immer gleichen Argumente wiederholt: nur Bauen, Bauen und noch mehr Bauen helfe gegen die Wohnungskrise und private Investoren seien die Akteure dafür. Begründet wurden diese Behauptungen nicht. Auch jetzt fällt der Immobilienwirtschaft nichts anderes ein. Dabei scheinen sie nicht zu bemerken, dass die Drohung, private Investoren könnten sich von deutschen Städten abwenden, in den Ohren vieler Mieter*innen eher wie ein Versprechen klingt.

Dass Neubau zur Bewältigung der Wohnungskrise nötig ist, bestreitet auch die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ nicht. Nun haben aber gerade die Akteure, die enteignet werden sollen, in den vergangenen Jahren entweder gar nicht gebaut oder nur im hochpreisigen Luxussegment. Dass dieser hochpreisige Neubau über einen angeblichen Sickereffekt auch ärmeren Haushalten helfen würde, ist eine weitere Erzählung der Immobilienwirtschaft, die nicht mehr verfängt.

Ein weiteres Argument, das gerne gegen den angestrebten Volksentscheid in Berlin vorgebracht wird, ist, dass so mit sehr viel Geld Politik für eine beschränkte Anzahl von Haushalten gemacht würde. Auch das Wort Klientelpolitik wird gerne in den Mund genommen. Zunächst ist festzuhalten, dass es sich um knapp 250.000 Haushalte handelt und dass diese Haushalte mit zu den ärmsten in Berlin gehören. Falls also endlich einmal Politik für diese Klientel gemacht werden sollte, wäre das zu begrüßen. Außerdem verkennt diese Erzählung, dass nicht nur die Mieter*innen von Deutsche Wohnen & Co von der Vergesellschaftung profitieren würden. In der Wohnungsforschung ist es eine Binsenweisheit, dass ein großes öffentliches Wohnungsmarktsegment auch Einfluss auf den privaten Mietmarkt hätte. Mit der Vergesellschaftung würde sich das öffentliche Segment verdoppeln. Bleiben dort die Mieten niedrig, beeinflusst das über den Mietspiegel den gesamten Mietmarkt.

Die Mehrheit der Berliner Mieter*innen hat das begriffen und sieht ihre Interessen auch als Nicht-Deutsche Wohnen & Co-Mieter*innen im Volksentscheid repräsentiert – nicht zuletzt aufgrund der diskursprägenden Macht der Mieter*innenbewegung. Die Immobilienwirtschaft hat dem – nach jahrzehntelanger scheinbarer Selbstevidenz neoliberaler Politikerzählungen – bislang nur wenig entgegen zu setzen.

Lisa Vollmer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Europäische Urbanistik an der Bauhaus-Universität Weimar, Autorin des Buches Strategien gegen Gentrifizierung und Mitunterzeichnerin eines offenen Briefes für eine wirklich soziale Wohnungspolitik

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