Mehr als drei Millionen Kinder wachsen in Deutschland arm oder armutsgefährdet auf – jedes fünfte Kind. Diese Armut hat zwei einfache Gründe. Zum einen verursacht das Leben des Kindes Kosten, für das es selbst natürlich nicht aufkommen kann. Und zum anderen verdient der Elternteil, der das Kind betreut, weniger. Hier zeigt sich: Kinder bedürfen einer Versorgung, die mit der kapitalistischen Verwertungslogik nicht vereinbar ist – und das produziert Armut.
Die Ampelkoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP legt nun ein Konzept vor, das die Gründe für die Kinderarmut direkt angeht: die Kindergrundsicherung. Denn bislang lief die staatliche Unterstützung nicht über die Kinder, sondern über die Eltern. Beides ver
Beides vergrößert Statusunterschiede. Aber der Reihe nach.Der bisherige Familienausgleich geht von der Annahme aus, dass Eltern ihre Kinder an ihrem Lebensstandard teilhaben lassen, also: Je wohlhabender die Eltern, desto mehr brauchen die Kinder. Diese fiktiven Ausgaben für einen kindlichen Lebensstandard führen zu einer Entlastung bei der Einkommenssteuer, und da die Kinderfreibeträge erst in der jährlichen Einkommenssteuererklärung berücksichtigt werden, erhalten Eltern monatlich eine einheitliche Vorauszahlung: das Kindergeld.Wer hat, dem wird gegebenWenn es kein Erwerbseinkommen gibt, sondern das Kind mit seinen Eltern von der Grundsicherung lebt, hat es Anspruch auf Sozialhilfe. Die Berechnungsgrundlage für dieses Existenzminimum von Kindern ist seit jeher umstritten, ebenso wie der Umstand, dass das Kindergeld auf Grundsicherungsleistungen angerechnet wird: Es gilt als „Einkommen“ des Kindes.Das Problem am bisherigen Familienausgleich ist, dass die Versorgungsleistung gut verdienender Eltern durch eine staatliche Umverteilung höher honoriert wird als die Versorgungsleistung von Familien mit kleinen Einkommen. Der Lastenausgleich über die Einkommenssteuer folgt damit dem Prinzip „Wer hat, dem wird gegeben“.Nun kommt die Ampelregierung mit einem neuen Konzept. Mit einer Kindergrundsicherung möchten die Koalitionär*innen die ungerechte Verteilung staatlicher Leistungen reformieren und damit Frauen- und Kinderarmut entgegenwirken. Bis Ende 2023 soll eine Arbeitsgruppe aus verschiedenen Ministerien ein Konzept dazu erarbeiten. Ebenso wie der duale Familienlastenausgleich besteht auch die Kindergrundsicherung aus zwei Komponenten: aus einem einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der für alle Kinder gleich hoch ist, und einem vom Elterneinkommen abhängigen, gestaffelten Zusatzbetrag. Die bisherige Vergabelogik des Familienlastenausgleichs soll dabei vom Kopf auf die Füße gestellt werden: Je mehr die Eltern verdienen, desto weniger Leistung wird an ihre Kinder ausgezahlt – bis auf einen Mindestbetrag, den alle Kinder erhalten. Dieser entspricht dann der Entlastung durch den aktuellen Kinderfreibetrag im Steuerrecht.Kann solch ein Konzept Kinderarmut verhindern? Wie so oft kommt es auf die Details an: Eine ganze Reihe von Kriterien muss bei der Umsetzung einer Kindergrundsicherung berücksichtigt werden, damit diese auch tatsächlich eine steuerungspolitische Kehrtwende bewirkt.Eine wirkliche Innovation des Konzepts sind die Vorhaben zur Bekämpfung verdeckter Armut. Alle finanziellen Unterstützungen sollen in einer einfachen, automatisiert berechneten und ausgezahlten Förderleistung gebündelt werden. In der Vergangenheit wussten Eltern häufig nicht, wie sie die verschiedenen Leistungen beantragen konnten und was sie dabei beachten mussten. Viele bekamen daher gar nicht ausgezahlt, was ihnen eigentlich zustand – so entsteht eine reale Armut, die auf dem Papier nicht existiert. Die bürokratischen Hürden will die Bundesregierung nun abbauen.Wie gut die Kindergrundsicherung Armut bekämpft, wird auch davon abhängen, ob sie auf andere Leistungen angerechnet wird: Wenn Alleinerziehende mit Hartz IV aufstocken, erhalten ihre Kinder dann die volle Kindergrundsicherung, oder wird sie weiterhin als „Einkommen des Kindes“ gerechnet und abgezogen? Wenn die Kindergrundsicherung ausgezahlt wird, muss der getrennt lebende Vater dann weniger Unterhalt zahlen? Bekommt eine Studentin weniger BAföG oder eine Auszubildende weniger Beihilfe, wenn sie mehr Kindergrundsicherung bekommt? Diese Details an den Schnittstellen von Unterhalt oder BAfög mögen nebensächlich klingen, machen aber in der Lebensrealität von Familien, die auf jeden Euro schauen müssen, einen riesigen Unterschied.Eine große Chance besteht in dem Versprechen der Ampel, für die Kindergrundsicherung das sogenannte „soziokulturelle Existenzminimum“ neu zu definieren – also die Frage, wie viel Einkommen wir brauchen, um sozial und kulturell in dieser Gesellschaft bestehen zu können: Bislang wurde anhand von Einkommens- und Verbrauchsstichproben aus der Bevölkerung ein durchschnittlicher Bedarf ermittelt, von dem das kindliche Existenzminimum abgeleitet wurde. Es wurde geschaut, was konkret ausgegeben wird, und daraus auf reale Bedarfe geschlossen. Das Bündnis Kindergrundsicherung – ein Bündnis aus Sozialverbänden und Gewerkschaften – fordert nun, gute Indikatoren auszumachen, um die soziokulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen statistisch adäquat erfassen zu können. Dafür bedarf es vor allem einer Veränderung der Datengrundlage: Nicht länger soll das Leben auf Sozialhilfeniveau Maßstab der Leistungen für Kinder sein, vielmehr sollen sich die neuen Berechnungen an den Bedingungen für ein „gelingendes Aufwachsen“ orientieren.Noch bleibt offen, wie die konkrete Umsetzung dieses neuen familienpolitischen Instruments aussehen wird – und: wie es finanziert werden soll. Die Ungleichbehandlung je nach dem Einkommen der Eltern bleibt damit – zumindest vorübergehend – erhalten. Und solange die Finanzierung ungeklärt ist, bleibt die Kindergrundsicherung ein Abenteuer für Eltern und ihre Kinder, dessen Ausgang ungewiss ist.Placeholder authorbio-1