Du willst in die Westbank und dich dort zwischen radikale jüdische Siedler und Palästinenser begeben? Und dann noch als Deutsche? Diese Fragen stellten mir Leute in Berlin, bevor ich meinen Koffer packte, um für drei Monate nach Bethlehem zu gehen.
Ich als Deutsche? Ja, gerade, antwortete ich. Zehntausende Juden flohen aufgrund des Naziterrors in meinem Land vor rund 70 Jahren nach Palästina, damals noch unter britischer Besatzung. 1948 wurde der Staat Israel gegründet. Deutschland hatte dies unterstützt. Gleichzeitig begannen Vertreibungen und teilweise Massaker an der arabischen Bevölkerung, die zu diesem Zeitpunkt mit 700.000 Menschen in Palästina die Mehrheit der Bevölkerung stellte. Die „Nakba“, arabisch für „Katastrophe“, stand auch für die Unabhängigkeit des jungen Staates Israel. Wie kann ich da als Deutsche ruhig bleiben?
Nun bewege ich mich zwischen den Fronten. Ich arbeite gemeinsam mit drei anderen Entsandten vom Weltrat der Kirchen in Bethlehem als ökumenische Begleitperson. Das Programm startete 2002, nachdem christliche Palästinenser um internationale Präsenz in den besetzten palästinensischen Gebieten gebeten hatten.
Seitdem sind bislang etwa 1.000 Menschen aus 20 teilnehmenden Ländern nach Palästina gekommen, um zu beobachten, was hier geschieht. Unser Team wohnt direkt an der Mauer zu Israel, die mit bunten Graffiti-Slogans besprüht ist: „No Peace without Justice“ und „End the Occupation“. Die Mauer wurde aus Sicherheitsgründen gebaut, sie trennt das Westjordanland von Israel, schließt aber die illegalen jüdischen Siedlungen mit ihren 500.000 Einwohnern mit ein. Der Verlauf der Mauer geht über die sogenannte Grüne Linie, die Waffenstillstandslinie von 1948, hinaus und schneidet tief in palästinensisches Gebiet ein. Als ökumenische Begleiter sehen wir jeden Tag die Konsequenzen daraus.
Die Wächter der Basis
Wir sind an sieben Orten in der Westbank eingesetzt, die als besonders gefährdet gelten, weil dort die meiste Gewalt zwischen israelischem Militär, radikalen Siedlern und der dortigen palästinensischen Bevölkerung ausbricht. Unsere Teams bestehen aus vier bis fünf Leuten. „Ihr seid die Augen an der Basis“, sagte ein palästinensischer Bauer zu uns. „Wenn ihr hier seid mit euren Westen, dann verhalten sich die Israelis netter, weil sie wissen, dass sie beobachtet werden.“
Wir stehen morgens um vier Uhr am Checkpoint „Bethlehem 300“ nahe der jüdischen Siedlung Gilo, den 3.000 Palästinenser passieren müssen, um zur Arbeit nach Jerusalem zu gelangen.
Unsere Westen mit dem Logo „EAPPI“ und der Friedenstaube mit Kreuz sind von Weitem sichtbar. Die Männer grüßen uns, merhaba, hallo. Auf ihrem 1,5-Kilometer langen Weg müssen sie vorbei an schwerbewaffneten schlechtgelaunten Soldaten, mehrere Gittergänge, drei Drehkreuze, einen Metalldetektor und eine Ausweiskontrolle mit Fingerabdrücken und einem Gesichtserkennungscheck passieren. Sie alle sind in den Augen Israels potenzielle Terroristen.
Wir grüßen die „Terroristen“ morgens freundlich am Drehkreuz, beobachten die Lage und rufen eine Telefonnummer des israelischen Militärs an, wenn sich die Tore ohne ersichtlichen Grund nicht öffnen und die Palästinenser stundenlang warten müssen. Oder wenn die Extraschlange für Alte und Kranke nicht geöffnet wird. Wir sammeln Zahlen und Zeiten – wie viele Palästinenser passieren den Checkpoint zwischen vier und acht Uhr – wie viele Drehkreuze sind geöffnet, wie reagiert der israelische Offizier am Telefon auf meine Bitte, das Drehkreuz zu öffnen. Unsere Berichte bekommen die Vereinten Nationen und mehrere israelische und internationale Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs). Ebenso unsere Fotos.
Vor ein paar Tagen beteten 50 Muslime am Checkpoint in der Wartehalle, die wie so oft hoffnungslos überfüllt war. Ich wurde Augenzeugin, wie zwei israelische Soldaten und zwei Polizisten die knieenden Männer am Kragen packten, auf den Rücken schlugen und zum Ausgang schleppten. „Die Palästinenser dürfen dort nicht beten, sie wissen das auch“, erklärte mir der diensthabende Offizier am Telefon aufgeregt, nachdem ich ihm die Lage geschildert hatte. Ob dies ein Grund für Gewaltanwendung sei, frage ich ihn. „Nein, das ist es nicht“, gibt der Offizier zu.
Die israelische Frauenorganisation Machsom Watch beobachtet die Checkpoints so wie wir, nur auf der israelischen Seite. „Das israelische Militär erfindet gern Gründe, um Palästinenser zu demütigen“, sagt Ada, eine Mitarbeiterin, auf Deutsch. Ada ist 72, ihre Mutter stammt aus Hamburg, so wie ich. Die Mutter floh vor dem Holocaust und musste ihre Heimatstadt verlassen. Da ist sie wieder, meine deutsche Geschichte. Sie holt mich hier ein.
Verrottete Elektrokabel
Ada und ich mögen uns. Uns verbindet die Sprache und das gemeinsame Engagement für Frieden im Nahostkonflikt.
Als ökumenische Begleitpersonen unterstützen wir auch gewaltfreie Bemühungen von jüdischen Israelis. Beispielsweise fahre ich jeden Sonntag gemeinsam mit Efrat, einer Israelin aus West-Jerusalem, in das kleine Dorf An Numan in der Westbank. Es ist von drei jüdischen Siedlungen umringt. Die Siedler haben einen israelischen Pass, die An Numaner sind isoliert. Als Westbank-Bewohner können sie ihr Dorf nur unter extremen Auflagen verlassen.
Eine israelische Staatsbürgerschaft für sie lehnt Israel ab. Nicht-jüdisch und noch arabisch, eine schlechte Kombination in dieser Region. In An Numan besuchen wir Siham und Rahed, ein junges Ehepaar mit drei Kindern, dessen Haus vor einem Jahr von der israelischen Armee zerstört wurde. Eine alte Kloschüssel, verrottete Elekrokabel und zertrümmerte Betonpfeiler sind davon übrig geblieben. Den Bewohnern ist untersagt, zu bauen oder ihre Häuser zu renovieren. Aber ich werde weiterbauen. Schrittweise, in meiner Rolle als Begleiterin. Für ein bisschen Frieden.
Liva Haensel, 36, ist Journalistin in Berlin und arbeitet bis Ende Februar als ökumenische Begleitperson für das Programm
in Bethlehem. Sie bloggt auf
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