Heino hat vor kurzem das Cover zu außerordentlicher Aufmerksamkeit gebracht. Sein Hit-Album Mit freundlichen Grüßen sorgte er für Diskussionen und veranschaulichte die unattraktiven Aspekte dieser Kulturtechnik. Dabei gehört das Cover doch zur Popmusik wie die Saiten auf eine Gitarre. Eine irgendwie bekannte Melodie oder ein unverwechselbares Gitarrenriff können wundervolle Momente auslösen – besonders wenn sie unerwartet im schwitzig verrauchten Club inklusive fein treffendem Bass daherkommen. Oder auf dem neuen Album der so angenehm unaufdringlichen aber nicht minder einnehmenden Singer-Songwriterin Karo, die auf ihrer Nachfolgeplatte zum vielgelobten Erstling Sing out, Heart! folgendes Juwel versteckt hat:
Hier haben wir eine wunderbar zerpflückte und abgeschminkte Version eines Hits, bei dem gar nicht mehr so wichtig ist, woher er überhaupt kommt. Vielmehr ist das Lied durch unzählige Zitationen, schwärmerische Disco-Edits, eigene Karaoke-Versionen oder seine Verwendung als Filmmusik ein festes Element im gesamtgesellschaftlichen Popkulturarchiv geworden.
Den Weg dorthin und auch in die Charts hat der Song nicht mit seiner Veröffentlichung auf Chris Isaaks Album Heart Shaped World 1989, sondern erst durch die Verwendung des Instrumentals im David-Lynch-Film Wild at Heart angetreten. Dann bekam er noch ein strategisches Sexy-Model-Sandstrand-Schwarzweiß-Video und schon war nicht mehr nur die schmachtende Stimme, sondern auch ein breites Bildarchiv zwischen flammender Provokation à la Lynch oder Romantik im Softporno-Style zur individuellen Interpretation verfügbar.
Und wovon erzählt dieser vielen Leuten unbewusst bekannte Song nun? Natürlich: von der Liebe. Genauso wie ein Großteil der westlichen populären Musik, so steht es im Sammelband Love Me or Leave Me über Liebeskonstrukte in der Populärkultur. Und diesen Konstrukten mit ihrer unrealistischen Idealisierung wird ein großer Einfluss auf die Vorstellungen ebenso wie das Leben von Liebe unterstellt. Auch da gesetzliche oder religiöse Regelungen von Liebe immer unwichtiger werden.
Das Ideal der romantischen Liebe
In Wicked Game geht es jedoch nicht um das Idealpaar der romantischen Liebe - jenem Konzept, das seit Anfang des 19. Jahrhunderts die westlichen Liebesvorstellungen dominiert, sondern es erzählt von unerwiderter Liebe. Das Lied zelebriert die angeblich so großen und romantischen Emotionen.
Bedenkt eine wie eng sexuelles Begehren und Geschlecht zusammenhängen, wird deutlich, dass in Liebesliedern immer auch Geschlecht produziert wird. Dabei liefern die Lyrics des Songs nicht mal offensichtliche Geschlechterzuschreibungen – grundsätzlich bieten sie für viele Hörer_innen eine Position: egal ob homo oder hetero, Mann, Frau, Trans, etc. Jedoch sind es eindeutig nur zwei Personen. Die Festschreibung der Liebe auf ein total besonderes, sich gegenseitig perfekt ergänzendes Paar wird hier also par excellence wiedergegeben. Sie ist doch irgendwo, die eine perfekte Wunschperson, die meine Liebe erwidert, mit der alles möglich ist. Auch die tiefe Verschlungenheit von sexuellem Begehren und Liebe wird abgebildet - kein Sex ohne Liebe, keine Liebe ohne Sex. Genauso wie die unverzichtbare Schicksalshaftigkeit der Emotionen, wenn die Welt auf einmal in Flammen steht.
Die fast nackte Strandschönheit Helena Christensen hinter Wolken und vor wilden Meereswellen im Video zu Wicked Game und das nasse Ripp-Hemd kombiniert zur engen Jeans von Isaak lassen zusätzlich zur männlich-konnotierten Stimme in Bezug auf die Geschlechterverteilung im Song kaum mehr Platz für Lesarten abseits einer zweigeschlechtlichen, heterosexuellen Norm. Und so wird in dem Song die Geschichte eines den weiblichen Reizen ausgelieferten Mannes erzählt, der nicht mehr weiß, was er macht und am Ende mit einem gebrochenen Herzen dasteht – der arme Kerl. Die besungene weibliche Position wird dabei zu einem Platzhalter aller Wunschträume des männlichen Sängers – egal, ob die irgendwas mit ihr zu tun haben oder nicht.
Verschiebungen durchs Cover
Wenn nun aber nicht Isaak, sondern Karo Wicked Game singt, wird der Platz für andere Lesarten auf einmal deutlich größer. Herausgelöst aus dem triefenden Bilderkontext singt kein notgeiler Typ mehr von seiner Liebschaft, sondern eine junge Frau, die sich alles andere als sexuell inszeniert. Die Verschiebungen durchs Covern scheinen auch die Musikerin selbst zu faszinieren, sagt sie doch bei Intro über Coversongs: „Frauen, die Songs über Frauen covern - always a win in my book. Besonders wenn queere Indie-Menschen Mainstream-R’n’B auf Gitarren, oder noch besser: Ukulelen spielen.”
Noch einen Schritt weiter geht die erfolgreiche Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist in ihrer Coverversion zum gleichen Song von 1995. Darin wird der Jammerton im Verlauf des Videos zu einer Komplettabsage an die romantische Liebe. Rist schreit: „I don’t want to fall in love!” Eine künstlerische Umdeutung, die sicher auch den Blogmacher_innen von make music not love gefällt und die noch mehr kritischen Input bieten. Also, besser mal mitschreien.
Karo
"Home"
Normoton
singoutheart.de
Album auf soundcloud.com
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.