Schon seit ihrem 2006 erschienenen ersten Album Fur and Gold bin ich großer Bat-for-Lashes-Fan. Dessen damaliges Cover inklusive Pferd war ein wichtiges Beispiel für meine unumwerfliche These des engen Zusammenhangs zwischen Pferdecovern und toller Musik. Und auch das aktuelle Coverfoto ihres dritten Albums The Haunted Man bildet ähnlich spannende Inhalte ab – möglicherweise noch spannender als Pferde: nackte Menschen. Für Frauen ist das ja erst mal nichts ungewöhnliches, vielmehr Voraussetzung für das Funktionieren alter Erfolgsstrategien im kommerziellen Musikbusiness. Und obwohl Natasha Khan aka Bat for Lashes inzwischen zu einer gut bezahlten und international erfolgreichen Künstlerin geworden ist, gehört sie in eine ganz andere Kategorie als Lana del Ray oder Katy Perry – musikalisch als auch darstellungsmäßig.
Denn sie hat sich für das Coverfoto zwar ausgezogen, jedoch gleichzeitig einen jungen nackten und bewusstlosen Typen über ihre Schultern gelegt. Während sie den armen Jungen durch die Gegend trägt, blickt Khan stark, direkt, kompromisslos und mit akkuratem Bob in die Kamera. Jetzt werden keine Spielchen mehr gespielt, die 32-jährige Engländerin kennt sich aus, mit dem Leben und dem Musikbusiness. Diese Kombination von Stärke, Nacktheit und geschlechtlicher Rollenverteilung finde ich spannend, weil sie mit normierten Darstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit spielt.
Auch Khan scheint sich Gedanken zu ihrer Selbstdarstellung gemacht zu haben. Sie setzt ihr Bild jedoch im Interview mit Steregum.com in den Gegensatz zu fehlenden „realen“ Körpern in medialen Darstellungen von Weiblichkeit: „Ich war gelangweilt von der Art und Weise wie sich Frauen heute präsentieren. Alle Bilder sind so sexualisiert, aufpoliert und bearbeitet, die Haut sieht wie Leder aus, alles ist so unecht. Ich habe mich an alte Patti-Smith-Cover, Robert-Mapplethorpe-Fotos und auch PJ-Harvey-Alben erinnert, eben an Dinge die ich als Teenagerin cool fand. Ich glaube nicht, dass es in letzter Zeit viele solcher Bilder gab.“ Sie betont, für das Foto nicht geschminkt worden zu sein, es habe auch keine Nachbearbeitung des Fotos stattgefunden. Das würde man ohne ihre erklärenden Worte jedoch schwer erkennen, denn dem Schönheitsideal widerspricht sie mit ihrer Darstellung keinesfalls.
"Body Revolution" oder Pseudokritik?
So bleibt offen, ob vom Management zu ein bisschen Schönheitskritik in der Presse geraten wurde oder Khan das Thema als gesellschaftlich wichtig einschätzt. Relevanter ist jedoch, dass auch Stars wie Lady Gaga oder Christina Aguilera vor kurzem vielleicht oder vielleicht auch nicht zu mehr Körperakzeptanz aufgerufen haben. Da wurden Aguilera Worte wie "Ich habe (meinem Label) bei den Aufnahmen zu 'Lotus' erklärt: 'Ihr arbeitet mit einem fetten Mädchen. Kapiert das endlich und kommt damit klar'" in den Mund gelegt und neben Vergleichsfotos zwischen dicker und dünner Aguilera gestellt.
Lady Gaga hat auf ihrer Community-Seite zu einer „Body Revolution Campaign“ aufgerufen, nachdem Gerüchte über eine Gewichtszunahme die Runde machten. Sie postete unbearbeitete Bilder von einer wenig gestylten aber schlanken Gaga in Unterwäsche und schrieb, dass sie seit ihrem 15. Lebensjahr mit Anorexie und Bulimie kämpft.
Körperakzeptanz zu fordern ist in Mode, aber nur solange man seinen Körper im Griff hat, wie Gaga oder der Schönheitsnorm entspricht wie Khan. Bei Aguilera lässt sich das nicht verkaufen, ihr Statement wurde dementiert. Trotzdem gibt Gaga zu, immer noch mit der Krankheit zu kämpfen und eröffnet den Dialog mit ihren Fans, die selbst Bilder posten können. Inwieweit das wiederum funktioniert ist fraglich und wurde erst im Zusammenhang mit der #609060-Kampagne auf Maedchenmannschaft.net diskutiert. Denn auch wenn eigentlich jeder Bilder posten kann, sind die Hürden mitzumachen und die darauffolgenden Konsequenzen unterschiedlich, je nachdem wie stark der Körper von der Norm abweicht. Letztendlich schwanken solche Forderungen also zwischen einer Stärkung und Verunsicherung des Schönheitsdiskurses, zeigen jedoch, dass eine Kritik von Schönheitsidealen alibimäßig dazu gehört – jetzt muss sie nur noch Wirkung zeigen.
Aber zurück zu Bat for Lashes. Auch über die künstlerische Entwicklung kann uns das Cover etwas erzählen, besonders im Vergleich zu den beiden Vorgängeralben und den dazugehörigen mystischen Welten aus bunten Federn, Glitzer und Hippietum. Aus dem mit dem Fahrrad durch den dunklen Wald fahrenden, träumenden Mädchen ist eine starke Frau geworden. Ähnlich wie ihre Klamotten hat Bat for Lashes all diesen Schmuck abgelegt. Die Reduziertheit des Bildes stehe auch sinnbildlich für die Entstehung des am Freitag erscheinenden Albums, so Khan. Anfangs war da nicht viel, außer ihrem eindringlichem Gesang, Bass und Beats. Die Leere dazwischen wurde erst mit der Zeit gefüllt. Zum Beispiel mit einem Chor aus Männerstimmen im dunklen Titeltrack oder warmen Bläsern und Streichern im Opener „Lilies“. In der Singleauskopplung „All your Gold“ lädt sie sogar zum Tanz.
Khan versteckt sich nicht mehr in einem Zwischenuniversum aus orangem Licht und Schattenwesen, sondern hat aufmunternde Worte für eine Freundin („Laura) oder bietet Schutz und Ruhe („Rest Your Head“). Trotzdem lässt sich „The Haunted Man“ eindeutig im Bat-for-Lashes-Werk verorten und führt auf gekonnte Weise fort, was einst mit einem Pferd auf dem Cover begann.
Kommentare 6
Ich mag die Pferde-Cover-Theorie.
Der Glaube, durch Eigeninszenierung die Fremdwahrnehmung der eigenen Person manipulieren zu können, ist eine langdurchhaltende Illusion aus juveniler und frühadoleszenter Zeit; manche Menschen halten sie auch noch viel länger durch, die Ärmsten. Wenn die Illusion nicht so dumm wäre, könnte mensch fast drüber lächeln.
Und was das Bild angeht, das ist ungefähr so unbearbeitet wie uninszeniert. Eine Heuchlerin ist sie also auch noch.
Bei der Gelegenheit würde mich mal interessieren: Was genau ist eigentlich ein unbearbeitetes Foto? (Eines, was in Photoshop bearbeitet wurde sicher nicht. Aber eines, was ich nur in Lightroom "entwickelt" habe schon? Bei der analogen Technik musste ja auch entwickelt werden - diese Bilder bezeichnen wir als unbearbeitet. Oder geht die Manipulation schon bei der Wahl der Kamera los? Beim Objektiv? Doch spätestens bei der Setzung des professionellen Lichts? Oder manipuliere ich womöglich schon in dem Moment in dem ich den Ausschnitt wähle?) Ich behaupte: Es gibt keine.
@Lethe und @Kopfkompass
Natürlich ist jedes Foto dieser Machart eine Inszenierung - aber sie schreibt ja selbst, sie würde sich u.a. an Mapplethorpe orientieren, von daher finde ich den Vorwurf, sie sei eine Heuchlerin etwas übertrieben.
Mich stört eher, dass ein ästhetisches Konzept aus Anfang/Mitte der 80er ausgegraben wird und Mapplethorpe nicht richtig verstanden worden ist.
@Liz Weidinger
Seine Bilder orientierten sich an einem klassizistischen Schönheitsideal von Männlichkeit. Die Provokation war die homoerotische bzw. homosexuelle Bildsprache - aber die "normierte Schönheit" galt gerade für diese Körper.
Und machte sie massenkompatibel.
Wer nun lobt: "...weil sie mit normierten Darstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit spielt." und die "sie" sich auf Mapplethorpe bezieht, dann hat irgendwas mit der Rezeption seines Werkes nicht hingehauen.
Und das Bild selbst macht eigentlich nur Sinn, wenn man den Titel ihrer CD als "The Hunted Man" liest. Nackt jagen scheint in zu sein. ;)
Nehme ich die Analogie zur Geschichte von Charles Dickens "The Haunted Man and the Ghost's Bargain", sehe dann das Bild und lese den Refrain aus dem von dir verlinkten Song:
"There was someone that I knew before
A heart from the past that I cannot forget
I let him take all my gold, and hurt me so bad
But now for you, I have nothing left of all my gold."
- dann hat sie sich der Möglichkeiten des Themas nicht wirklich angenommen.
Wieso müssen über 30 Jahre alte Frauen immer noch so schreiben (und anscheinend fühlen), als seien sie Anfang/Mitte 20?
Ausserdem verstehe ich den Terminus die "normierten Schönheitsideale" generell nicht.
Was ist damit gemeint?
Gesellschaftlich produzierte und medial verbreitete? Auf die sich alle einigen können oder auf die wir uns einigen können? Subjektiv von mir empfunden oder subjektiv geschätzt, was andere schön finden könnten?
Sind die Bilder von Patti Smith nicht auch genau das gewesen, nur eben mit dem Anspruch, dem offiziellen Mainstream- ein alternatives Schönheitsideal hinzuzufügen?
M.E. wurde hier eine US-Debatte importiert, die hier nicht funktioniert und nichts bringt.
Gruß, C.
Sehr fundierte Kritik der ästhetischen Herangehensweise. Danke. ;-))) Inwieweit das Bild jetzt gephotoshoped wurde ist, selbst für einen Profi, so - rein von der Webabbildung her - nicht ganz einfach zu sagen. Aber das Foto ist ganz klar im Studio minutiös inszeniert und genauestens ausgeleuchtet worden. Dann glaube ich auch nicht, dass da analog und mit schwarz-weiß Film fotografiert wurde. Das wäre also schon mal mindestens die Photoshop-Konvertierung von RGB zu Grautönen ... Ausserdem, Fotos ohne Tonwert- und Kontrastkorrekturen gibt es heute eigentlich auch nicht mehr. “Let us not delude ourselves by the seemingly scientific nature of the darkroom ritual,” Uelsmann once wrote. “It has been and always will be a form of alchemy.” And although it’s based in algorithms and not chemicals, the same could be said of Photoshop’s digital darkroom — it's just another method in our ongoing experimentation with the truth. Hier ein schöner Link zu der Kunst des Retouchng, durch die Jahrhunderte. http://www.theverge.com/2012/10/12/3489356/is-this-shopped-truth-lies-and-art-before-and-after-photoshop