In wenigen Tagen findet die Wiederholungswahl für das Abgeordnetenhaus in Berlin statt. Eine der 27 Kleinparteien, die auf dem Wahlzettel vertreten ist, ist Die Urbane. Eine HipHop Partei. Sie wurde 2017 von einer Gruppe von Hip-Hop Aktivist*innen aus Berlin gegründet. In demselben Jahr traten sie erstmals zur Bundestagswahl an.
der Freitag: Hip-Hop und Politik. Passt das zusammen?
Drakos: Hip-Hop ist nicht nur eine Musikrichtung, sondern eine Kultur, die in den USA in den Siebzigerjahren, im Kontext von rassistischer Unterdrückung, weißer Vorherrschaft, Kapitalismus und Patriarchaten entstanden ist. Es geht uns darum, über diese Themen zu sprechen und unsere Realitäten sichtbar zu machen. Um sich als betroffene Person Gehör zu verschaffen. Wir beziehen uns im Prinzip auf den politischen Ursprung von Hip-Hop Kultur.
Greve: Emanzipatorische Bewegungen, Kulturen und Ausdrucksformen laufen immer Gefahr, im Kapitalismus vereinnahmt und entpolitisiert zu werden. Und dann wird das oft auf eine Stilfrage reduziert. Leute kommen z. B. und fragen: Ed, rappst du auch? Dann sage ich: Ne, ich rappe nicht, trage den Style nicht und höre in meiner Freizeit eher weniger Hip-Hop. Mir geht es in der Partei nicht um Ästhetik, sondern um den Inhalt.
Wie sind Sie zu Die Urbane gekommen?
Drakos: Ende 2016 hat der Bundesvorsitzende Raphael Moussa Hillebrand einen Aufruf auf Facebook gestartet. Ich habe mich angeschlossen und wurde Teil des Gründungsteams von Die Urbane.
Greve: Als ich die Entscheidung gefasst habe, bei der Wahl 2021 mitzumachen, stellte ich mir die Frage: Mache ich das komplett parteiunabhängig oder werde ich irgendwo Mitglied? Ich kannte die Urbane vorher schon und sie war die einzige Option, bei der ich dachte, ich kann das machen, ohne dass ich seltsame strategische Kompromiss-Entscheidungen treffen würde. Inhaltlich habe ich die Übereinstimmung. Die Urbane ist als Partei ‚durchlässig‘ und flexibel, so dass man nicht an eingeschliffenen Strukturen hängt.
Schaut man sich euer Wahlprogramm an, wird soziale Gleichheit groß geschrieben. Themen wie Dekolonialisierung, Antirassismus, Antidiskriminierung. Wo fängt man bei dieser Bandbreite an Themen an?
Greve: Du kannst keinen theoretischen Fahrplan entwickeln, wie man soziale Ungleichheit abbaut, ohne zu gucken, wer wie viel Macht hat und wo sich Machtungleichgewicht als Diskriminierung manifestiert.
Kann man Macht nicht auch positiv einsetzen?
Greve: Das Problem ist, dass den regierenden Parteien sowie der Opposition der Wille und der Mut dazu fehlt. Wenn man sich zum Beispiel anguckt, was gerade in Neukölln passiert: Die linke Stadträtin will das Ordnungsamt nicht mehr auf Razzien, mit der Polizei zusammen durch die ganzen kleinen migrantischen Läden hier schicken. Sie hat eigentlich die Macht dazu. Als Reaktion darauf sind sich die anderen Fraktionen einig: Sie wollen, dass die Razzien stattfinden und setzen die Stadträtin massiv unter Druck. Da ist sich die AfD auf einmal mit der SPD einig und die Linken sind noch dagegen. Hier gibt es den fehlenden Willen, die Macht so einzusetzen, dass Leute auch tatsächlich davon profitieren. Hier kommen wir ins Spiel: Als Partei, die jetzt noch keine unmittelbaren Regierungsaussichten hat. Wir sagen, wir haben zwar nicht die Macht, aber auf jeden Fall den Willen und üben so außerparlamentarischen Druck aus.
Ihr seid nicht nur in Berlin vertreten, sondern auch in weiteren Bundesländern.
Drakos: Wir sind noch lange nicht so weit verbreitet, wie wir uns das wünschen, aber wir werden größer. Es hat in Berlin angefangen, aber als Partei kann man erst an den Bundestagswahlen teilnehmen, wenn mindestens drei Landesverbände existieren. Wir haben jetzt 500+ Mitglieder bundesweit. Wir haben auch in jedem Bundesland Mitglieder, aber noch nicht in jedem Bundesland einen Landesverband. Aktuell haben wir einen Landesverband in Hamburg, Bayern, NRW, Berlin und einen sehr kleinen in Sachsen-Anhalt. Ein Herzenswunsch von uns ist, dass wir als nächstes Hessen aufbauen können, jetzt wo es zur Wahl geht in Hessen.
Wo liegt euer Fokus bei den Neuwahlen in Berlin und wie bereitet ihr euch darauf vor?
Greve: Wir sind viel auf der Straße unterwegs. Allerdings schaffen wir es nicht, ganz Berlin abzudecken. Ich bin viel in Neukölln unterwegs, da wo unsere Community ist. Wir sprechen mit den Späti- oder Kaffee Betreiber*innen. Als Direktkandidat kann ich keinen Haustürwahlkampf machen, weil ich im Rollstuhl in die meisten Häuser nicht rein- oder hochkomme. Obwohl ich überhaupt keine Hemmungen hätte, mit den Leuten zu sprechen. Ich glaube, dass wissen die Leute hier im Wahlkreis. Wir gehen dahin, wo die Leute sind und wo wir gerne gefunden wollen würden.
Wie blickt ihr auf die Neuwahlen?
Greve: Im Großen und Ganzen besorgt. Es ist schwierig, Politik in einer Atmosphäre zu machen, in der vielen Leuten klar ist, dass es wahrscheinlich schlimmer wird und man überlegt überhaupt dagegen anzukämpfen. Oder ob man versucht, den Status Quo zu erhalten. Wir müssen gegen den Widerstand, dass die Zahlen gerade nicht auf unserer Seite sind, kämpfen und gerade deswegen an der größeren Vision festhalten.
Was unterscheidet euch von anderen großen Parteien wie die Linke oder die Grüne?
Drakos: Wir haben einen Rahmen geschaffen, in dem grundsätzliche Sachen klar sind wie Bleiberecht für alle, globale Bewegungsfreiheit, Verteilungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Diese Punkte müssen wir nicht erst innerhalb der Partei erkämpfen. Was uns wirklich abhebt, ist, aus welcher Perspektive wir sprechen. Nämlich, dass wir die eurozentrische Perspektive aufbreche und die Unterdrückungssysteme benennen, die wirken.
Greve: Man darf nicht vergessen, dass es bei Parteipolitik nie nur darauf ankommt, was in den Parteiprogrammen steht. Sondern auch, wer das Parteiprogramm umsetzt und was die Vergangenheit gezeigt hat. Leute kennen uns aus Bewegungen, sie wissen, dass wir keine Vollzeit Politiker*innen sind, und nie waren. Wir sind in diesen Kämpfen, weil wir für uns kämpfen, für unsere Freund*innen, unsere Familie, Nachbarn und alle, die wie wir oder noch viel stärker von Teilhabe abgeschnitten und an den Rand gedrängt werden. Das braucht halt Mut.
Diesen Mut schreibt ihr euch zu?
Greve: Ja. Natürlich könnten Leute zu mir sagen, ich wäre doch genauso korrupt. Dann würde ich sagen, dass ich das ehrlich gesagt nicht glaube. Ich würde nicht in eine Regierung eintreten, wenn sie weiter Abschiebungen durchführen. Da werden Leute sagen: Beweis das mal. Wir hoffen darauf, beweisen zu dürfen, dass es stimmt, was wir sagen, dass wir es anders machen können und als Politiker*in Haltung zeigen können. Und dass man nicht auf Kosten derer, die sich am wenigsten dagegen wehren können, Kompromisse machen darf.
Edwin Greve, 29, ist Direktkandidat von Die Urbane. Eine HipHop Partei für das Abgeordnetenhaus im Wahlkreis Neukölln 1. Er arbeitet als Bildungsreferent und gibt Antidiskriminierungskurse an Schulen für Lehrkräfte und Pädagog*innen. Seit 2021 ist er Mitglied bei Die Urbane
Niki Drakos, 51, ist Bundesvorsitzende bei Die Urbane und Gründungsmitglied. Sie ist Griechin und Deutsche. Beides ganz. Sie studierte VWL und drehte anschließend Filme und Hip-Hop-Videos. Seit acht Jahren arbeitet sie bei den Frauenkreisen Berlin, ein feministisches Projekt
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