Standing Ovations für die Aufrüstung?

Aufrüstung Olaf Scholz verkündet die massive Aufrüstung und erhält großen Zuspruch. Die Entscheidung zur Aufrüstung bedeutet, die Logik der Macht zu akzeptieren und von derjenigen des Arguments, der Vernunft und der Moral zurückzutreten

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Putins Logik der Stärke zu folgen, bedeutet ein neues Wettrüsten
Putins Logik der Stärke zu folgen, bedeutet ein neues Wettrüsten

Foto: Gregor Fischer/AFP/Getty Images

Scholz sprach in seiner Regierungserklärung davon, Putin stelle mit seinem Angriffskrieg die Frage, ob Macht Gesetze brechen dürfe. Deutschland situiert sich eindeutig auf der Seite des Rechts, der Vernunft und der Moral – und gerade deshalb, so der zentrale Widerspruch, müsse aufgerüstet werden. Scholz‘ Schritt, 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu stecken, fortan mehr als zwei Prozent des BIPs für die Verteidigung zu reservieren, bewaffnete Kampfdrohnen zu kaufen und die technologische Weiterentwicklung im Bereich des Militärs schnell voranzutreiben, bedeutet gerade, mit der Logik des besseren Arguments und der Vernunft zu brechen. Die Bundesregierung hat sich mit der Entscheidung für die Aufrüstung dafür entschieden, gerade der Logik der Stärke und der Macht zu folgen, die sie vorgeblich ablehnt.

Es steht außer Frage, dass die Entscheidung, die Ukraine im Krieg gegen Russland auch mit Waffen zur Selbstverteidigung zu unterstützen, die gegenüber dem reinen Zuschauen bessere Entscheidung ist. Ebenso außer Frage sollte jedoch stehen, dass die angekündigte militärische Aufrüstung keine geeignete Reaktion auf den russischen Zivilisationsbruch sein kann: Putins Logik der Stärke zu folgen, bedeutet ein neues Wettrüsten, einen neuen Kalten Krieg und damit das Ende der freiheitlichen Ziele und Werte, die Scholz und die Bundesregierung verteidigen wollen. Scholz‘ Argument, gerade diese Ordnung im Zweifelsfalle verteidigen können zu müssen, ist zwar nicht von der Hand zu weisen; das jedoch bedeutet nicht, dass ein derartiger Radikalschritt, der eine 180-Grad-Wende und eine potentiell endlose Aufrüstungsspirale mit dabei deutlich steigendem Konfliktpotential bedeutet, nötig oder angebracht wäre.

Der Kurswechsel der Regierung, die damit zentrale Versprechen bricht, stellt das gesellschaftliche Selbstverständnis nachhaltig infrage. Die Folgen sind unvorhersehbar. Wie etwa kann eine Gesellschaft das Wettrüsten des Kalten Kriegs verurteilen, wenn sie selbst nun in ein solches einsteigt? Wie etwa soll das Prinzip des besseren Arguments und der Rationalität in einer Gesellschaft vermittelt werden, die im Zweifelsfalle auf ein abschreckend starkes Militär setzt? Wie etwa soll der Wert der Gewaltfreiheit in einer Gesellschaft hochgehalten werden, die auf oberster Ebene die von der Frage der konkreten Nothilfe losgelöste Aufrüstung bejubelt?

Es stimmt, dass es nach dem Zivilisationsbruch Putins keine genuin guten Entscheidungen mehr geben kann, da jede Entscheidung sich innerhalb der Fakten des Krieges situieren muss. Das bedeutet jedoch nicht, dass es unter den verbleibenden Optionen nicht erkennbar bessere und schlechtere gibt. Die für die angekündigte Aufrüstung ist eine der schlechteren.

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