Einen Oscar für geheime Datengeschäfte

Negativpreis Gutes tun und gleichzeitig persönliche Daten vermarkten? Die Kampagnen-Plattform Change.org erhält den Negativpreis des Datenschutzvereins Digitalcourage

Auf den ersten Blick ist die Plattform Change.org eine prima Sache. Noch nie war es so einfach, sich zu engagieren und seine Stimme für eine gute Aktion abzugeben. Ganz simpel per Mausklick, jederzeit, weltweit – das ist zunächst ein Gewinn für die Demokratie, so scheint es zumindest. Jeder Nutzer kann hier eine eigene Petition starten, andere können diese unterzeichnen, teilen und kommentieren. Insgesamt nutzen mehr als 100 Millionen Menschen diese Möglichkeit der Meinungsäußerung und Einflussnahme. Change.org ist damit die weltweit größte Kampagnen-Plattform. Allein in Deutschland sind es inzwischen 3,5 Millionen Nutzer. Jeden Monat starten rund 400 neue Petitionen.

Doch es gibt da diese Sache mit dem Datenschutz. Mit der Vermarktung dieser Daten. Und mit der Weiterleitung der Nutzerdaten in die USA, wo das Unternehmen seinen Geschäftssitz hat. Heute Abend wird Change.org nun mit dem BigBrother Award ausgezeichnet, dem Negativpreis des Datenschutzvereins Digitalcourage. Der Vorwurf: Unter dem Deckmantel des guten Aktionismus wird hier fleißig ein Geschäft mit den Daten betrieben.
In der Begründung heißt es, Change.org verwende personenbezogene Daten „in vielfältiger und nicht transparenter Art und Weise für eigene Geschäftszwecke“. So würden etwa Analysen zur politischen Meinung oder zur sozialen Situation von Einzelpersonen angefertigt. Die Plattform sei auch keine Non-Profit-Organisation, sondern ein kommerzielles Unternehmen. Geld verdiene Change.org mit gesponserten Petitionen, bei denen die Initiatoren – etwa Nichtregierungsorganisationen – dafür zahlen, dass den Nutzern der Plattform entsprechende Werbung eingeblendet wird.

Das Sammeln privater Daten sei gefährlich, weil sich im Einzelfall ableiten lasse, „welchem politischen, gesellschaftlichen oder sozialen Lager Personen zugerechnet werden können“. Es sei nicht auszuschließen, „dass Change.org die nach individuellen Meinungen und Positionen sortierten Daten dafür nutzt, die Petitionen von zahlenden Kunden gezielt zu unterstützen“.

Die Plattform stehe zudem allen politischen Strömungen offen, nennt das ihre Neutralität. In der Realität erscheint diese mitunter unangenehm widersprüchlich. „Das Unternehmen hat beispielsweise in Deutschland überhaupt kein Problem damit, unter dem Stichwort 'Flüchtlinge' gleichzeitig die Öffnung der Balkan-Route und den Rücktritt von Angela Merkel für ihre Willkommens-Politik zu fordern.“
Change.org weist die Vorwürfe von Digitalcourage zurück und gibt in einer Stellungnahme an: „Wir helfen gemeinnützigen Organisationen dabei, ihre Unterstützerschaft auszubauen.“ Die NGOs könnten ihre Kampagnen mit einer kostenpflichtigen Anzeige bewerben. „Gibt eine Nutzerin oder ein Nutzer das Einverständnis, dann - und nur dann - vermitteln wir die E-Mail-Adresse an die jeweilige Organisation.“ Die Organisationen der unterzeichneten Projekte könnten so Kontakte zu interessierten Unterstützerinnen und Unterstützern für ihre Arbeit knüpfen und ihre Community aufbauen. „Auf diese Weise stärken wir die Zivilgesellschaft.“

Weitere Gewinner der BigBrother Awards 2016:

Auf die längste Karriere unter den diesjährigen Preisträgern kann der „Verfassungsschutz“ genannte Inlandsgeheimdienst zurück blicken: Nach 65 Jahren mehr oder weniger erfolgreicher Überwachung von staats- und gesellschaftskritischen Gruppen sowie der systematischen Verstrickung von V-Leuten in die Neo-Nazi-Szene, erhält die Institution den Preis der Kategorie Lifetime.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) erhalten einen Award in der Kategorie Technik für ihre vorsätzlich falsche Informationspolitik. Lange wurde verneint, dass die gespeicherten Daten der Fahrgäste (unter anderem Fahrzeiten und -ziele) auf den digitalen Chipkarten an das Unternehmen weitergeleitet werden. Das unbeobachtete Reisen gehört somit selbst innerstädtisch der Vergangenheit an.

Mit Bonus-Punkten für übermittelte Daten zu Konsum und Fitness lockt die Generalie-Versicherung ihre Kunden in ein unsolidarisches System: Die gesammelten Punkte können zwar in ausgewählten Partnershops eingelöst werden. Allerdings werden die Daten nach Südafrika geschickt. Hier wird der Preis in der Kategorie Verbraucherschutz verliehen.

Mit dem Negativpreis in der Kategorie Kommunikation wird das Technologieunternehmen IBM für seine Software „Social Dashbord“ honoriert: Mit deren Anwendung wird das Sozialverhalten von Arbeitnehmer im firmeninternen Netzwerk akribisch dokumentiert und ausgewertet. Die Aktivitäten, wie das Liken und Teilen von Beiträgen, werden dabei mit Punkten belohnt und fließen in ein Ranking ein. Das ist nicht nur albern, sondern übt auch unnötigen Druck auf die Mitarbeiter aus.

Der Verein Digitalcourage setzt sich seit 1987 für Datenschutz, Informationsfreiheit und Bürgerrechte ein und verleiht seit 2000 die BigBrother Awards.

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