Wie feiern wir Weihnachten 2050?

Wirtschaftswachstum Grünes Wachstum oder Grenzen des Wachstums? Ist es möglich, das BIP zu steigern ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören? Neue Studienergebnisse sind eindeutig

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Möchte man sich an diese Art von Weihnachtsbeleuchtung gewöhnen?
Möchte man sich an diese Art von Weihnachtsbeleuchtung gewöhnen?

Foto: David McNew/Getty Images

Weihnachten im Jahr 2050: Elektroautos surren leise durch die Städte. Die Temperaturen an diesem milden 24. Dezember haben mit 20 Grad ein neues Allzeithoch erreicht. Gemütliche Racletteabende sind schon länger aus der Mode gekommen und von Grillparties mit synthetischen Steaks abgelöst worden. Dem Drohnenverkehr zur Lieferung nachhaltiger Produkte jeder Art droht dieses Jahr wieder aufs Neue der Kollaps. Die Salzwüste Salar de Uyuni, eine der Anfang des Jahrhunderts bedeutendsten Touristenattraktionen Boliviens, wurde das letzte Mal vor 10 Jahren von ein paar Touristen besucht. Für das Lithium der Batterien wurde sie vollkommen abgebaut. Doch auch in Deutschland werden wieder Dörfer für den Abbau von Seltenen Erden umgesiedelt. Das Wirtschaftsministerium hat vor wenigen Tagen seine Wachstumsprognose für das nächste Jahr veröffentlicht.

Doch kann unsere Wirtschaft überhaupt weiter wachsen, ohne dass dadurch unsere Lebensgrundlagen zerstört werden? Ist ein solches Wachstum sogar mit weniger Ressourcenverbrauch möglich? Oder droht ein Szenario wie oben angedeutet – indem nur auf den ersten Blick alles öko und nachhaltig ist? Dies ist eine der großen, wenn nicht die größte Streitfrage zu Wirtschaft und Nachhaltigkeit in diesem Jahrhundert. Es geht um die Frage, ob eine so bezeichnete absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Rohstoffverbrauch möglich ist – oder nicht. Absolute Entkopplung steht dabei für eine Reduktion des Rohstoffverbrauchs bei gleichzeitig weiter wachsender Wirtschaft. Gemessen wird dieses Wachstum mit dem Bruttoinlandsprodukt. Es streiten dabei jene, die glauben, durch technologische Entwicklungen, wie der Digitalisierung, und größeren Anteilen von Dienstleistungen an der Wirtschaft sei eine absolute Entkopplung möglich. Die Gegenseite bestreitet diese Möglichkeit. Erstere versammeln sich unter den Schlagworten „Green Growth“ und „Green Economy“. Die Gegenseite ist in der degrowth-Bewegung und in der Diskussion zur Postwachstumsökonomie zu finden.

Zuletzt bewegten sich die festgefahrenen Positionen nun ein wenig aufeinander zu. In einem Projekt des Umweltbundesamts diskutierten und forschten Vertreter*innen beider Standpunkte gemeinsam. Am Schluss einigte man sich auf eine Position der Mitte. Beide Seiten mussten hierfür Konzessionen machen und ihre Annahmen zur Möglichkeit einer absoluten Entkopplung aufgeben. Es gebe derzeit keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass eine solche Entkopplung in Zukunft möglich sei. Ausschließen könne man dies jedoch auch nicht. Basierend auf dieser Einsicht wurde eine „vorsorgeorientierte Postwachstumsposition“ entwickelt. Man plädierte für einen Umbau der Wirtschafts- und Sozialsysteme in Richtung einer Wachstumsunabhängigkeit. Denn derzeit stehen unsere Gesellschaften vor dem Problem, dass es ohne Wachstum nicht geht. Bleibt das Wachstum aus, droht eine Abwärtsspirale, wie sie in Wirtschaftskrisen zu beobachten ist. Nur durch eine Unabhängigkeit von Wirtschaftswachstum, stehen beide Optionen – weiteres Wachstum bei absoluter Entkopplung oder eine nicht wachsende Wirtschaft -– in Zukunft offen. In Anbetracht der Dramatik gegenwärtiger Umweltprobleme, sollten sich unsere Gesellschaften nicht blind auf eine der Optionen verlassen. Insbesondere wenn nicht sichergestellt ist, dass sie überhaupt als Lösungsoption taugt.

Als wäre das nicht genug, wurde im Sommer 2019 eine neue Studie des European Environmental Bureau veröffentlicht. Sie verdeutlicht nochmals die Schwachpunkte der Konzepte um „Green Growth“. So müssten mehrere Kriterien erfüllt sein, damit eine absolute Entkopplung tatsächlich als Lösungsoption taugen könnte. Angesichts globaler Umweltprobleme müsste diese Entkopplung nicht nur in einem Land stattfinden. So sanken der Energieverbrauch und auch CO2-Emissionen schon in England, Frankreich und den USA, während die Wirtschaft wuchs. Doch war dieses Phänomen zeitlich und räumlich eng begrenzt. Und die Emissionen durch die Produktion von Gütern in anderen Ländern für den Konsum in Frankreich wurden nicht betrachtet.

Als Lösungsoption für unsere globalen Umweltprobleme müsste eine absolute Entkopplung jedoch global, über einen längeren Zeitraum und in ausreichendem Umfang stattfinden. Und angesichts der planetaren Grenzen dürften Probleme nicht verlagert werden. Es müsste also ausgeschlossen werden, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht dazu führen, den Biodiversitätsverlust weiter zu verstärken. Nach einer umfangreichen Sichtung relevanter empirischer Studien kommen die Autoren zum Schluss: eine solche Entwicklung gab es in der Menschheitsgeschichte noch nicht. Eine weitere breitangelegte Studie von Kallis & Hickel bestätigt diese Ergebnisse.

Nun hat ein erster prominenter „Green Growth“-Vertreter, Johan Rockström, Präsident des IASS in Potsdam, seine Position revidiert. Noch im Oktober 2018 hatte er in einem Journal für „grünes Wachstum“ innerhalb planetarer Grenzen argumentiert. Ein Jahr später bezeichnet er in Anbetracht der Ergebnisse der Studien die Idee eines Grünen Wachstums als „wishful thinking“ – als Wunschdenken also, das nichts mit der Realität zutun hat.

Am Mittwoch, den 2. Oktober 2019, erfolgte ein weiterer Paukenschlag. Er verhallte bisher jedoch weitgehend und löste erstaunlicherweise wenig mediales Echo aus. In ihrem Herbstgutachten fordern die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute einen Konsumverzicht zugunsten des Klimaschutzes (S.69 der Diagnose). Konkret sprechen sie in ihrer sogenannten Gemeinschaftsdiagnose von einem derzeit „nicht-nachhaltigen Konsumniveau“. Dieses könne zwar noch „einige Zeit fortgesetzt werden“. Mit den politischen Zielen sei dies aber kaum in Einklang zu bringen. Notwendig sei es, die hohen heutigen Emissionen „durch Verhaltensanpassungen (sic!)“ zurückzufahren. Einen solchen Konsumverzicht, so das Gutachten, könne die „Wirtschaftspolitik in einer freiheitlich organisierten Gesellschaft nicht erzwingen“. Sie könne jedoch so lenkend eingreifen, dass er „mehr oder weniger wahrscheinlich“ werde.

Ob diese Impulse die Diskussion und damit auch politische Strategien tiefgreifend verändern werden, bleibt abzuwarten. Die Politik sollte sich in Anbetracht dieser Ergebnisse zukünftig verstärkt mit Möglichkeiten der Unabhängigkeit von Wirtschaftswachstum beschäftigen. Denn auf eine einzige Möglichkeit zu setzen, die sich als Irrweg herausstellen könnte, wäre angesichts der sich immer weiter verschärfenden Umweltprobleme geradezu fahrlässig. Dementsprechend gilt es auch neue Zukunftsvisionen zu entwickeln.

So könnte Weihnachten 2050 auch ganz anders aussehen: In den Straßen der Städte sind nur noch vereinzelt Elektroautos zu sehen. Sie ergänzen als Sharing-Angebote einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr. Der frei werdende Platz, der vormals als Parkplatz diente, wurde umgenutzt. Kinder finden dort Platz zum Spielen, Gemüse- und Blumenbeete wurden angelegt und Bäume gepflanzt. Sie dienen im Sommer auch dazu, die Hitze erträglicher zu machen. Die Menschen verschenken bewusst nur wenige hochwertige Produkte, viele Geschenke sind selbst gebastelt. Dazu ist nun auch vermehrt Zeit, nachdem die wöchentliche Erwerbsarbeitszeit sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter verringert hat. Viele nutzen die Zeit nun für ihre Familien, politisches Engagement, um Dinge zu reparieren oder zum Lebensmittelanbau in und um die Stadt. Die Regierung hat gerade vor einigen Tagen einen großen Erfolg vermeldet. Die Treibhausgasemissionen sind nun fast komplett zurückgegangen. Zur Schonung der Umwelt hat sie neue Ziele und Quoten für den Ressourcen- und Energieverbrauch festgelegt. Das führte in den letzten Jahrzehnten dazu, dass Produkte zwar teurer wurden, aber nun auch langlebiger sind. Die neustesten Zahlen zum Wohlstand in Deutschland wurden ebenso veröffentlicht. Die Gesundheitsversorgung konnte verbessert werden, die Lebenszufriedenheit ist auf gleichbleibend hohem Niveau.

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