Der Ethnologe und Filmemacher Michael Oppitz hat viele Jahre in Nepal verbracht und zahlreiche Bücher zur Ethnografie des Himalaya veröffentlicht. Bekannt wurde er in den 1980ern mit dem Filmepos Schamanen im Blinden Land, das beim Bergvolk der Magar in Nordwest-Nepal entstand.
Aufgewachsen ist Michael Oppitz in Köln, nach Aufenthalten in Kanada und den USA kehrte er Ende der 1960er für knapp zehn Jahre dorthin zurück. Die Ausstellung Bewegliche Mythen im Kunstmuseum Kolumba geht neben Oppitz’ berühmtestem Film nun auch auf diese Zeit ein, während der er mit Künstlern wie Lothar Baumgarten arbeitete.
der Freitag: Herr Oppitz, was genau reizte Sie als Ethnologe damals an der Kölner Kunstszene?
Michael Oppitz: Mit Wissenschaftlern hatte ich da nicht viel am Hut. Meine Freunde vor Ort waren alle Kunsthistoriker, Musiker, Künstler oder Schriftsteller. Diese Gesellschaft war attraktiver und lebendiger für mich. Die tranken Alkohol und nahmen Drogen, das machte einfach mehr Spaß. Irgendwie muss ich auch sagen, dass der Zugang zur Welt, den sie hatten, mich viel mehr angezogen hat als das, was Soziologen oder Ethnologen allgemein machten.
Wie sah es konkret aus, wenn Sie mit Künstlern wie Lothar Baumgarten zusammenarbeiteten?
Wir haben eine ganze Reihe Sachen zusammen gemacht, viele davon ohne fertiges Resultat. Aber 1974 haben wir eine Arbeit zusammen in der Konrad Fischer Galerie ausgestellt, die jetzt samt Publikation gezeigt wird. Die Arbeit hatte mit Indianermasken zu tun, die in ein Museum gehen und sich über den Knast ihrer ausgestellten Verwandten unterhalten. Und sich dann traurig von ihren Verwandten verabschieden, nachdem sie begriffen haben, was die Absicht der Europäer ist, wenn sie Museen machen. Das waren subversive Sachen.
Sie lehnen eine Kategorisierung Ihrer Arbeit in künstlerisch oder wissenschaftlich ab. Warum?
Natürlich ist mir klar, dass ein Schriftsteller, der einen Roman schreibt, etwas anderes macht als ein Historiker. Trotzdem gibt es auch Historiker, die ein Buch schreiben, das sich wie ein Roman liest. Das ist es, was mich immer angezogen hat. Wie gelingt es Leuten, der Rubrizierung zu entgehen? Lothar Baumgarten ging es ebenso. Nur blieb er in der Welt der Kunst, und ich blieb mehr oder minder zwischen der wissenschaftlichen Forschung und der künstlerischen Betrachtungsweise. Ich möchte dabei nicht ins falsche Boot gestellt werden und mich zum Künstler machen. Das ist mir fern.
Zur Person
Michael Oppitz, 75, forschte als Ethnologe über Jahrzehnte im Himalaya. Sein Film Schamanen im Blinden Land (1980) basiert auf 35 Stunden Material. Von 1991 bis 2008 war Oppitz Leiter des Völkerkundemuseums in Zürich. Er lebt heute in Berlin
Ihr Film „Schamanen im Blinden Land“ hat seit der Uraufführung 1980 vielen die mystische Idee vom Schamanismus genommen.
Der Film unterwandert natürlich alle gängigen Vorstellungen von Schamanismus. Das Erste ist, dass diese Tätigkeit keine sakrale Tätigkeit ist. Das ist das Grundmissverständnis aller Buchgelehrten, wenn sie Religion hören. Metaphysik, reales Dorfleben und religiöse Praxis gehen hier ineinander über, das ist eine einzige Sache. Und das kann man im Film wunderbar sehen, da wird gelacht, gefurzt, gesoffen und geschäkert – alles, was man bei uns in der Kirche eigentlich vermisst.
Im Film kann man auch sehen, wie ein schamanistisches Ritual abläuft. Welche Bedeutung hat die Trommel dabei?
In meinem Forschungsgebiet Nordwest-Nepal wird jede Trommel nur für eine Person hergestellt. Sie ist kein Instrument, sondern ein Lebewesen und Lebensbegleiter dessen, für den sie hergestellt wird. Im Grunde wird sie zerschlagen, wenn der Schamane stirbt. Oft haben Schamanen aber auch mehr als eine Trommel, die anderen werden an Nachfolger vererbt oder verschenkt. Die erste Funktion der Trommel ist, den Schamanen bei seinen Gesängen zu begleiten. Viele Gesänge sind rituelle Reisen, um den Klienten verlorene Energie zurückzuholen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Der Schamane reist durch die Geografie, in Wirklichkeit aber sitzt er im Haus. Er singt davon und die Trommel befördert ihn auf die Strecke. Die gesamte Mythologie wird mit der Trommel herangeholt, Zeile um Zeile. Hat er die entführte Seele gefunden, also die verloren gegangene Energie, dann muss er mit dem Seelendieb ein Geschäft abschließen – Seele gegen Blut. Deswegen ist das Ritual auch mit Blutopfern verbunden. Die Trommel wird aber auch als Waffe gegen Geister benutzt, als Schild oder Angriffsfläche. Sie dient auch als Leinwand für kosmische Zeichnungen, ist also ein Bild. Sie ist ein extrem vielgestaltiger Gegenstand.
In der Ausstellung sind 20 Schamanentrommeln zu sehen. Wie kamen Sie zu diesen?
Die Trommeln sind mit Ausnahme einiger weniger aus Sibirien und Sammlungsgegenstand der Kunstkammer in Sankt Petersburg. Das ist das erhabenste Museum für Ethnografie auf der ganzen Welt. Ich wollte diese Schätze schon vor über zehn Jahren ausleihen. Aber damals gab es einen Ausleihstopp. Jetzt ist der aufgehoben und wir sind dank des Geldes, welches das Kolumba-Museum bereit war zu zahlen, an die Trommeln gekommen. In der Anordnung der Stücke im Museum wird geografisch nachvollzogen, aus welcher Region in Nordasien die Trommeln genau kommen. Die physische Verwandlung der Schamanentrommel kann man über eine Verbindungslinie vom Himalaya bis nach Sibirien und von dort über die Beringstraße nach Nordamerika nachvollziehen. Sie gehören alle zu einem Universum, und ich kann durch meine Forschung anhand der Form und weiterer Transformationsmerkmale auf 15 Kilometer einkreisen, woher sie kommen.
Shamans of the Blind Country (extract) from Momus on Vimeo.
Wie reagierte die Kölner Kunstszene auf Ihren Film?
Das kann man am besten an Joseph Beuys erklären. Beuys hatte sich seit Ende der 1940er Jahre mit schamanistischen Themen befasst. Man kann das in seinen frühen Zeichnungen sehr gut verfolgen, bis hin zu seinem Kojoten in New York 1974. Er hatte gehört, dass ich das Material habe und er wollte es sehen. Wir haben eine Sondervorstellung für ihn gemacht und uns danach lange darüber unterhalten. Da ist mir aufgefallen, dass Beuys sehr viel gelesen hatte und seine Arbeiten sehr stark auf dem Gelesenen basierten, umgewandelt in seine konzeptuelle Sprache und sein Kunstverständnis. Als er den Film sah, war er platt, dass es den Schamanismus tatsächlich gibt! Dann sagte er den berühmten Satz: „Diese Schamanen haben alles von mir geklaut.“ Das ist natürlich lustig – wie humoristisch er das meinte, möchte ich dahingestellt lassen.
Und welche Reaktionen konnten Sie bei Ihren anderen Freunden beobachten?
Als ich befreundete Künstler einlud, um mein Rohmaterial in Köln im WDR zu zeigen, war Sigmar Polke sehr fasziniert davon. Auch andere Künstler wie Joan Jonas oder Komponisten wie John Cage und Pauline Oliveros waren später absolut fasziniert von dem Zeug. Das verwundert mich nicht. Ich habe den Film aber nicht für Künstler gemacht, sondern für mich, um zu sehen, wie ich eine gelebte Realität, die von einer Praxis durchsetzt ist, in einem Film umsetzen kann. Das war der Reiz der Sache. Mir ging es nicht darum, irgendwelche Leute zu beeindrucken. Angesichts dessen, dass viele Leute den Film für Irrsinn hielten, hat es mich natürlich gefreut, dass andere damit etwas anfangen konnten. Dieter Schnebel, der gerade gestorben ist, hat zum Beispiel eine eigene Komposition auf der Basis meines Materials gemacht.
Was hat der Film mit Ihnen gemacht?
Es war das erste und vielleicht auch letzte Mal, dass ich intensiv, jahrelang an einer Sache gearbeitet habe und am Ende das Gefühl hatte, ich bin nicht der Autor. Sondern die Sache ist der Autor. Ich bin das Medium, das den Film umsetzt. Das war für mich eine große Erfahrung. Ich bin kein Schamane und will auch keiner sein – wie der Beuys als Schamane vom Rhein, das ist alles Unsinn –, aber es gibt eine Analogie. Wenn der Schamane eine Heilung vollzieht, tut er das als Berufener. Ich habe den Film gemacht als jemand, der von einer Materie erfasst ist und dann im Bewusstsein seiner Kenntnisse und seiner Sprache das umsetzt, was er dort erfahren hat, und der versucht, dem Geist der Sache so nah wie möglich zu sein. Alle anderen Bücher habe ich geschrieben. Der Film hat mich gemacht.
Info
Michael Oppitz. Bewegliche Mythen Kolumba. Kunstmuseum des Erzbistums Köln bis 3. Dezember
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.