Auf der Straße kann man beobachten, was Kleidung aus Körpern macht. Da werden Schultern durch Polster eckig, Taillen verschwinden unter Stoff. Getrimmte Körper wirken getrimmter. Wie Textil in den Körper einschneiden kann, ihn formt und ihm den Atem nimmt, das betrachtete die Künstlerin Christina Ramberg genauer. Ihre Gemälde werden in der Gruppenausstellung The Making of Husbands: Christina Ramberg im KW Institute for Contemporary Art gezeigt. Zu sehen ist Rambergs jahrzehntelange Beschäftigung mit dem weiblichen Torso, dem weiblichen Zwang zur Unterwerfung und Hang zur Perfektion.
Ramberg, die 1995 nach langer Krankheit starb, erzählte davon, dass sie ihre Mutter früher oft beim Fertigmachen beobachtete. Zum Ritual gehörte es, die Taille so schmal wie möglich zu halten und die Brüste mit Büstenhaltern zu pushen. In einem Zitat aus dem Ausstellungskatalog erinnert sich Ramberg, dass sie damals dachte, ihre Mutter transformiere sich, weil Männer das so wollten. Ihre körperlichen und unnatürlichen Veränderungen sollten männliches Begehren auslösen. Ramberg selbst fand das faszinierend und abstoßend zugleich. In ihren Bildern malte Ramberg Frauen zumeist in Reizwäsche. Sie verformte die Leiber fast bis zur Unkenntlichkeit. Bevor sie mit dem Malen begann, zeichnete die Künstlerin die Kleidung einzeln und an Körperteilen vor. In der Ausstellung kann man sehen, wie Ramberg vorging, wie sie ihre Modelle durchchoreografierte.
Illustrationen für „Playboy“
Die Künstlerin war in den 1970ern und ’80ern als Teil der Chicago Imagists nicht wegzudenken. Für sie und ihr Umfeld aus KünstlerInnen wie Jim Nutts, Ed Paschke oder Barbara Rossi spielten Geschlecht und Gender keine Rolle. Sie besuchten die School of the Art Institute of Chicago und stellten 1968 und im folgenden Jahr im Hyde Park Art Center aus. Die Kunst des Kollektivs war psychedelisch-farbenfroh und voller Energie. Sie oszillierte zwischen Surrealismus und Groteske. Rambergs Werk sticht durch die düsteren Farben heraus. Der Fokus liegt auf Körperteilen ohne Gesichter, die Körperlinien sind streng, die Torsi sind in Korsette, Seidenstoffe oder Bandagen eingeschnürt, die eine beunruhigende Erotik erzeugen. Doch nicht nur Stoffe wirken bei Ramberg auf Körper ein. In einem Gemälde kombinierte die Künstlerin zum Beispiel eine Urne, ein Gatter und einen menschlichen Rumpf miteinander. Aus dem surrealistischen Verschmelzen mit Objekten entstanden so Hybride zwischen Mensch und Technik.
Durch die stark vereinfachte Malweise wird Rambergs Bezug auf Comics deutlich. Diese Referenz war bei den Chicago Imagists weitverbreitet und diente als gemeinsame Grundlage, die jeder anders benutzte. Dass sich die Werke der Protagonisten in Chicago durch eigene Malstile unterschieden, löste sie auch radikal von der New Yorker Pop-Bewegung um Andy Warhol ab. In Manhattan wurde zur selben Zeit nämlich die Massenproduktion zur Ästhetik. Doch auch das war für Ramberg interessant. Sie sammelte Comics, weil sie in ihnen eine Art Massenästhetik ablesen konnte. In den Comics fand sie Körpersprache, Gesten und Bewegungen heruntergebrochen und auf das Nötigste reduziert dargestellt. Genau wie in der Werbung oder in der Popkultur dokumentieren Comics die Verhaltenssprache oder die Codes, auf die sich eine Gesellschaft in großen Teilen geeinigt hat, oder: denen sie sich unterworfen hat.
Rambergs Kunst ist zwar von der zweiten Welle des Feminismus geprägt, doch ob die gesichtslosen Körper Zwängen unterliegen oder selbstbestimmt sind, beibt dem Betrachter überlassen. Das Interesse, zugewiesene Verhaltensweisen und genderbasierte Programmierungen aufzudecken, ist heute als Gegenbewegung zu cis-männlicher Dominanz aktueller den je. Trotzdem dauerte es bis 2014, dass Rambergs Werk auch in Europa eine Art Durchbruch erlebte. Zu Lebzeiten stellte sie zwar über ihre Galerien in New York und Chicago aus, nahm an etlichen Gruppenausstellungen in den USA teil und illustrierte manchmal den amerikanischen Playboy. Doch ihr Werk, das in der Sammlung des Whitney Museum oder des MoMA in New York vertreten ist, schaffte es kaum nach Europa. Ihren einzigen Auftrag dort hatte Ramberg 1974 in Österreich, wo sie im Schloss Esterházy ausstellte.
Das wollte die Kuratorin Anna Gritz ändern. Gritz wurde durch Ausstellungen vor fünf Jahren in Glasgow und bei der Biennale der Tate Liverpool auf die Künstlerin aufmerksam. Die Position von Ramberg, die sich nie offen als Feministin definierte, ließ die Kuratorin nicht los. Gritz forschte weiter und reiste in die USA, um für die Ausstellung in Berlin SammlerInnen und Bekannte der Künstlerin zu treffen. Die Beschaffung der Werke stellte sich bei den Reisen als kompliziert heraus. Weil Ramberg mit Acryl auf Masonitplatten malte und diese immer wieder abschliff, sind die Werke extrem fragil. Trotzdem schaffte es Gritz, 26 Werke der Künstlerin für deren erste institutionelle Ausstellung in Deutschland zu organisieren, die anschließend nach Metz in Frankreich und Gateshead in England wandern wird. Die 13 weiteren künstlerischen Positionen, die Gritz den Werken gegenüberstellt, eröffnen zudem ganz andere Assoziationen. Ghislaine Leungs besetzt Ausstellungsräume zum Beispiel mit kleinen Nachtlichtern, die sie in alle Steckdosen vor Ort steckt. Bezogen auf Ramberg lässt sich die Parallele ziehen, dass Kleidung genauso in die Strukturen des menschlichern Körpers eindringt und ihn für den längsten Teil des Tages einnimmt. Lässt man den Gedanken zu, stellt sich unweigerlich die Frage, welche Macht Kleidung über uns hat.
Info
The Making of Husbands: Christina Ramberg KW – Institute for Contempary Art, Berlin, bis 5. Januar 2020
Beilage
Dieser Beitrag ist Teil des Berlin Art Week Spezials – einer Kooperation des Freitag mit der Berlin Art Week
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