Hilma Who? No More“ forderte kürzlich die New York Times nach dem Besuch der Solo-Ausstellung von Hilma af Klint im Guggenheim-Museum. 74 Jahre nach ihrem Tod feiert die amerikanische Presse die schwedische Künstlerin als Wiederentdeckung. Schon der mehrdeutige Ausstellungstitel Works for the Future deutet an, dass af Klint in Zukunft einen festen Platz im Kunstkanon erhalten soll.
Dem war nicht immer so. Af Klints Werk besteht seit 1906 vor allem aus farbintensiven, geometrischen Formen auf großen Leinwänden. Über den Okkultismus kam sie als eine der ersten Künstlerinnen überhaupt zur Abstraktion. Entsprechend rätselhaft sind Titel und Symbolik ihrer Bilder. In der Serie Svanen (Der Schwan) malte sie um 1914 Kreise, aus deren Inneren Lichtstrahlen brechen. Anders als die Werke der Neuen Sachlichkeit, die sich wenige Jahrzehnte später in der Kunst durchsetzte, bestechen af Klints Gemälde durch ihre mystische Aura. Von der Kunstgeschichte wurden sie bis ins späte 20. Jahrhundert hinein ignoriert. Seit einigen Jahren ist das in einen Hype umgeschlagen, dessen vorläufiger Höhepunkt die Großschau im Guggenheim ist. In München wird ihr Werk ab dem 6. November unter dem Titel Weltempfänger zusammen mit Arbeiten von Emma Kunz und Georgiana Houghton im Kunstbau des Lenbachhauses gezeigt.
Dass af Klint zu Lebzeiten unabhängig und früher als die „Gründungsväter“ der modernen Malerei Kasimir Malewitsch, Piet Mondrian oder Wassily Kandinsky abstrakte Werke schuf, blieb lange ihr Geheimnis. Erst 1964, 20 Jahre nach dem Tod, so verfügte sie es per Testament, durfte der nicht figurative Teil ihres Œuvres an die Öffentlichkeit gelangen. Dass sie als Frau mit ihren außerweltlichen Formen besser in die heutige Zeit als ins frühe 20. Jahrhundert passen würde, wusste sie offensichtlich schon damals. Doch wie lange dauert es und was muss passieren, damit sich das Werk einer zuvor unbeachteten Künstlerin in die Kunstgeschichte einreiht?
Im Auftrag eines Geistes
Im Fall von Hilma af Klint ist es vor allem der unermüdlichen Arbeit der 1972 von ihrem Neffen Erik af Klint gegründeten Stiftung zu verdanken, die nie an der Qualität ihrer Werke zweifelte. Und das, obwohl sie zunächst von Institutionen wie dem Moderna Museet in Stockholm wegen ihres okkultistischen Hintergrunds abgelehnt wurden. Dass dies als Argument gegen sie verwandt wurde, erscheint aus heutiger Sicht sexistisch und kaum mehr vertretbar. Der Spiritismus gehörte ganz selbstverständlich in die damalige Zeit und war auch für Werke von Malewitsch oder Kandinsky wichtig.
Die Beharrlichkeit der Stiftung hat sich ausgezahlt: Seit zwei Jahren hat das Moderna Museet die Werke der Künstlerin in seine Daueraustellung aufgenommen und ihr einen eigenen Raum eingerichtet. Der späte Erfolg von af Klint lässt sich auch an den vielen Einzelausstellungen ablesen: Allein in den vergangenen zehn Jahren organisierte die Stiftung 15 Solo-Shows. Entscheidend für die Etablierung ihres Namens war die populäre Wanderausstellung A Pioneer of Abstraction, die unter anderem 2013 im Berliner Hamburger Bahnhof, im Museo Picasso in Malaga und 2014 im Louisiana Museum in Kopenhagen gezeigt wurde.
Zeitgleich entdeckte das schwedische Modehaus Acne Studios die Künstlerin für sich und entwarf eine kleine Kollektion mit ihren Motiven. Die bunte Farbwelt von af Klint wurde auf 15 Teile übertragen, darunter Hemden, Pullover, Schals und Tragebeutel. Jonny Johansson, der Gründer und Chefdesigner des Labels, durfte mit Erlaubnis der Hilma-af-Klint-Stiftung die Originalmuster benutzen. „Die Farben und die Tiefe von Hilma af Klints Universum beeindrucken jeden, der sich mit ihrer Kunst auseinandersetzt“, sagte er damals. Acne Studios transportierte die Gemälde der Künstlerin aus dem Museum direkt auf die Straße. Auch durch das Modelabel, das zuvor bereits mit Biker-Lederjacken oder Boots im Cowboylook internationale Trends ausgelöst hatte, entsprach af Klint auf einmal wieder dem Zeitgeist.
Den Status der Trendsetterin hätte sie schon ein gutes Jahrhundert zuvor verdient gehabt, als sie das Überweltliche in die Malerei brachte. Doch zu Lebzeiten war sie in der Öffentlichkeit für andere Werke bekannt. Nach ihrem Studium an der Royal Academy of Fine Arts in Stockholm bestritt die 1862 in Solna geborene Künstlerin ihren Lebensunterhalt mit realistischen Porträts und Landschaftsmalerei, die sie oft auf Kommission anfertigte. Von moderneren Strömungen, etwa dem Kubismus, bekam sie zwar durch ihre Kontakte in die Stockholmer Kunstszene mit. Doch das spiegelte sich nicht in ihrer traditionellen Malerei wider. Ein Grund war sicherlich auch ihre Rolle als Frau in der Gesellschaft. Denn af Klint wusste, dass sie mit abstrakter Malerei kaum Anklang finden dürfte. Der künstlerische Genius, der etwas Neues kreiert, wurde zu jener Zeit, wenn überhaupt, nur männlichen Künstlern zugeschrieben. Und so versteckte sie ihre abstrakten Gemälde und zeigte sie nur ihren engsten Vertrauten.
Ihre ersten nicht gegenständlichen Werke entstanden während spiritistischer Séancen. 1888 wies Heinrich Hertz die Existenz elektromagnetischer Wellen nach, 1895 entdeckte Wilhelm Conrad Röntgen die nach ihm benannte Strahlung, wofür er 1901 den ersten Nobelpreis für Physik erhielt. In der Bevölkerung wuchs damals das Interesse an unsichtbaren Realitäten. Auch Hilma af Klint kommunizierte ab 1896 in einer Frauengruppe namens „De Fem“ mit Geistern und Verstorbenen. Nebenbei praktizierten die Mitglieder das automatische Zeichnen und Schreiben. Af Klint lehnte diese Technik zunächst ab, doch sie änderte um 1905 ihre Einstellung dazu. In ihren Notizbüchern schrieb sie, dass sie von einem Geist den Auftrag bekommen habe, eine Serie von Malereien für einen Tempel zu erstellen. Die Arbeit daran wird af Klint fast zehn Jahre beschäftigen, allein in der Anfangsphase entstehen so über 100 Gemälde.
Die Serie ist der Fokus der aktuellen Großschau im New Yorker Guggenheim. 32 Jahre nachdem af Klints abstrakte Gemälde erstmals in der Gruppenausstellung The Spiritual in Art – Abstract Paintings 1980 – 1985 in Los Angeles zu sehen waren, lässt sich der Erfolg der Arbeit der Stiftung auch an dieser Einzelausstellung messen. Vor sechs Jahren blieb af Klints Name in der Ausstellung Inventing Abstraction, 1910 – 1925 im Museum of Modern Art nämlich noch unerwähnt. Die Kuratorin Leah Dickerman begründete dies damit, dass af Klint ihre abstrakten Gemälde selbst nicht als Kunst angesehen habe.
Liest man heute die Pressestimmen in den USA, hat sich der Wind für af Klint gänzlich gedreht. Neben der New York Times widmete auch der New Yorker der Guggenheim-Ausstellung einen mehrseitigen Artikel, Kritiker Peter Schjeldahl schrieb, sie sei so gut, dass sie für einen Moment seine Sinne vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht habe.
Die Pionierin, die zu Lebzeiten verkannt und wegen ihres Geschlechts jahrzehntelang vom Kunstkanon ausgeschlossen wurde – für die Presse ist das eine perfekte Geschichte. Ähnlich verhielt es sich unlängst mit Sheila Hicks und Geta Brătescu, die beide erst im hohen Alter wiederentdeckt wurden. Auch ihre Geschichten sind zu gut, um nicht erzählt zu werden. Was bei af Klint hinzukommt, ist, dass mit ihr einer Frau eine Schlüsselrolle in der Kunstgeschichte zukommen soll. Auch das passt perfekt in unsere Zeit des Empowerments.
Tuniken, i-Phone-Hüllen, Pullover, Schals und Räucherstäbchenschalen umfasst die über 30 Teile starke Hilma-af-Klint-Kollektion, die der Shop des Guggenheim-Museums jetzt anbietet. Im schlimmsten Fall kann eine zu offensive Vermarktung das Werk irgendwann beschädigen. Künstlerinnen wie Frida Kahlo ist das schon passiert. Ihr Name ist weltbekannt, wird aber längst losgelöst von ihrem Werk gehandelt. Dabei gibt es von af Klint noch so viel zu sehen. Über 1.300 abstrakte Gemälde soll sie seit 1906 gemalt haben. Jetzt, wo ihre Geschichte bekannter ist, gilt es, ihr Werk zu entdecken.
Info
Hilma af Klint: Paintings for the Future Guggenheim New York, bis 23. April 2019
Weltempfänger. Georgiana Houghton – Hilma af Klint – Emma Kunz Kunstbau im Lenbachhaus München, ab 6. November 2018 bis 10. März 2019
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