Neue Welt als Bühne

Lingustischer Charme Susan Sontags bemühter Einwanderungsroman "In Amerika"

AGENT: "Worum soll es nochmal gehen in dem Buch?" AUTORIN: "Kulturgeschichte der polnischen Einwanderung in Amerika im späteren 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung des Schicksals der polnischen Schauspielerin Helena Modjeska."
AGENT: "Oh boy! Das alles kann ja kein Mensch behalten."
AUTORIN: "Der Titel muß natürlich knapper ausfallen. Vielleicht einfach ›Von Kraków nach Frisco‹. Oder ›In Amerika‹."
AGENT: "Sagten Sie nicht Kulturgeschichte? Ist schon jemals eine Kulturgeschichte in der Ofray-Show aufgetaucht? Nein, so etwas ist von vorne herein der totale Flop. Warum machen Sie nicht einen historischen Roman aus dem Stoff? Eine Geschichte mit viel Kostüm, die zu den Herzen spricht. Von mir aus mit Ihrer polnischen Schauspielerin als Hauptfigur, Schauspielerinnen haben schon immer die Phantasie angeregt. Wie die Künstlerin erst auf einen erfolglosen Schriftsteller, betrügerischen Goldschwäscher oder was auch immer hereinfällt, dann aber zu gut amerikanischer Selbständigkeit erwacht und berühmt wird. Haben Sie nicht auch Romane geschrieben, Susan? "
AUTORIN: "Ja schon, aber gewisse Formfragen sind nicht gelöst."
AGENT: "Ach Formfragen. Alteuropäischer Ballast. Die interessieren doch das heutige Publikum nicht. Fangen Sie einfach an zu erzählen, mit vielen Dialogen, der Rest kommt dann von allein."
AUTORIN: "Was soll ich aber mit dem ganzen kulturhistorischen Material machen, das ich in Jahren gesammelt habe?"
AGENT: "Ihr Problem. Etwas davon könnten Sie unter Umständen in die Dialoge einbauen. Oder lassen Sie Ihre Figuren Briefe schreiben oder noch besser Tagebücher führen, in die dann vieles hineinpasst. Sagten Sie nicht einmal selbst in einem Interview, der Roman sei ein behäbiger Ozeandampfer, der alles an Bord nehmen kann? Fangen Sie an!"
AUTORIN: "Ich werde es mir überlegen. Wie hoch ist übrigens der Vorschuß?"
Susan Sontags Projekt des Romans In Amerika ist auf diese Weise wahrscheinlich nicht zustande gekommen, obgleich der Roman sich liest, als sei er das romanartig hergerichtete Verwertungsderivat eines ganz anders angelegten Vorhabens, etwa eines biographisch ausgerichteten Essays, der ursprünglich von den Memoiren der im 19. Jahrhundert in die USA ausgewanderten polnischen Schauspielerin Helena Modjeska angeregt war. Susan Sontag braucht einen solchen zum Roman antreibenden Agenten gar nicht, weil der praktischerweise in ihr selber steckt. In einem Interview mit der Zeit hat die Autorin gerade erklärt, dass es ein Missverständnis sei, sie ihrer Essays wegen für eine "Intellektuelle" zu halten; ihre eigentliche Liebe gelte der Literatur, dem Romanschreiben.
Damit kein weiteres Missverständnis aufkommt über den Rang, den sie sich dort selbst zuerkennt, erwähnt sie Autoren wie Balzac, Thomas Mann, Tolstoj, Proust oder Musil, die ja bewiesen hätten, dass das, was sich in einem Essay sagen lässt, auch in einem Roman gemacht werden kann. Wenn ein Autor Musil heißt, mag das schon zutreffen. Der Romanerzählerin Susan Sontag allerdings stehen im Vergleich mit Musil Stilmittel von etwa der Raffinesse zur Verfügung, wie sie im Grundkurs kreatives Schreiben vermittelt werden. Das Resultat ist entsprechend dürftig: der Roman langweilt mit seitenlangen platten Dialogen, die man schon von woanders her kennt und gleich selber weiterschreiben könnte; daneben wird man durch kulturhistorische Basisinformationen von der Art belehrt, dass Amerika im Unterschied zu Europa keine Staatstheater und keine Staatsschauspieler mit Pensionsberechtigung hat, und durch ähnliches mehr. Bei Shakespeares Komödien, sagte sie, habe sie den Eindruck, dass die Leute anders zuhörten. Da werde, erklärte sie, ein ausgeprägterer linguistischer Charme erwartet. Was ist ein "ausgeprägterer linguistischer Charme"? Dieser geht in diesem Fall allerdings auf das Konto des Übersetzers Eike Schönfeld, der auch an zahlreichen anderen Stellen Vokabelsicherheit und Sprachgefühl vermissen lässt. Einmal verblassen etwa "eingegrabene Auren des Edlen"; potzblitz!
Trotz solch unfreiwilliger Komik liegt etwas geradezu Tragisches über diesem Roman, das allerdings nicht von der Geschichte der polnischen Schauspielerin herrührt, deren Träume von einem neuen ländlichen Gemeinschaftsleben in Amerika platzen müssen, damit aus dessen Trümmern der Bühnenstar triumphierend auferstehen kann. Einfühlung in so etwas wie eine innere Zerrissenheit ihrer Heldin hervorzurufen, gelingt Susan Sontag gerade nicht; warum man sich gerade für diese im Roman Maryna genannte Schauspielerin interessieren, an ihren Mühen und Erfolgen Anteil nehmen soll, vermag ihre brave Erzählweise nicht klarzumachen. Wenn es eine tragische Figur gibt, dann ist es eher die der Autorin Susan Sontag, die um kurzfristiger Roman-Ehren willen ihr Bestes, ihr Essaywerk, glaubt klein machen zu müssen. Der Fall weist Ähnlichkeiten mit dem des Filmregisseurs Marcel Ophüls auf, der mit A memory of justice, Le chagrin et la pitié und Hotel Terminus Meisterwerke des politischen Dokumentarfilms geschaffen hat, jedoch jedem, der es hören oder nicht hören will, zu versichern pflegte, dass dies nur Nebenarbeiten seien; der wahre Ophüls sei ein Spielfilmregisseur. Die eine oder andere unglückliche Filmkomödie hat Ophüls in der Tat gedreht, nur sind die Streifen zu Recht längst vergessen. Wird es Susan Sontags Romanen besser ergehen? Mit Wehmut denkt der Sontag-Leser an den Essay Krankheit als Metapher und an die Studie über Antonin Artaud zurück.
Wen es nach einem Theaterroman, gar einem polnischen, verlangt, der sowohl literarisch als auch geistig Gewicht hat, dem sei der Roman Rondo des verstorbenen polnischen Schriftstellers Kazimierz Brandys (deutsch 1988) wärmstens empfohlen.

Susan Sontag: In Amerika. Roman. Aus dem Englischen (USA) von Eike Schönfeld. Carl Hanser Verlag, München 2002. 464 S., 24,90 EUR

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