Die Hürde liegt hoch. Knapp 92.000 Stimmen braucht am Sonntag das Abwahlverfahren, das den Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland aus dem Amt drängen soll. Es ist das Schlusskapitel einer tragischen Geschichte von Versäumnissen, Verantwortung und einem Stadtoberhaupt, das bisher jeder Rücktrittsforderung trotzte.
Außerhalb Duisburgs versteht kaum jemand, warum Sauerland nach der Loveparade-Katastrophe vom Juli 2010 mit 21 Toten und 500 Verletzten überhaupt noch im Amt ist und sich nun dieser Abwahlstrapaze unterzieht. Dem Spiegel gab Sauerland zuletzt ein langes Interview, doch auch darin findet sich keine klare Antwort.
Für seine Partei, die CDU, steckt in dem Abwahlverfahren jedenfalls ein Dilemma: Sauerland ist alternativlos. Nur mit ihm gelang es den Christdemokraten, im Oktober 2004 in der traditionellen SPD-Hochburg Duisburg den Oberbürgermeisterposten zu erobern. Bei der Stichwahl entschieden sich damals nur 38,7 Prozent der Wähler für Amtsinhaberin Bärbel Zieling (SPD), aber 61,3 Prozent für den Newcomer Sauerland. Nach seiner Bestätigung 2009 ist er noch gewählt bis August 2015. Käme es jetzt zur Neuwahl, wäre die CDU chancenlos.
Auch Jürgen Hagemann, heute Vorsitzender des Vereins „Loveparade Selbsthilfe“, in dem sich die Eltern der auf der Loveparade Getöteten und Verletzten zusammengeschlossen haben, hat Sauerland 2009 seine Stimme gegeben. Ihm, damals gerade neu nach Duisburg gezogen, erschien Sauerland als „jemand von unten“, so ganz anders als übliche Politiker. „Dabei bin ich klar Sozi und hatte vorher noch nie CDU gewählt“, sagt Hagemann, dessen Tochter auf der Loveparade schwer verletzt wurde.
Sauerland hatte schon den Wahlkampf 2004 mit dem Slogan „Einer von uns“ bestritten. Wahlplakate zeigen ihn mit dem Fanschal des MSV Duisburg „Wir sind Zebras - Weiss – Blau“. Der Mann aus dem Volk an der Spitze der Verwaltung: Das klingt verlockend, ist aber vielleicht bereits eine Erklärung für das Versagen bei der Loveparade.
Im Genehmigungsverfahren der Mammutveranstaltung zerstreiten sich Sauerlands Dezernenten Wolfgang Rabe (Recht und Ordnung) und Jürgen Dressler (Bau) heillos. Sauerland lässt sie walten und verabschiedet sich für die entscheidenden Tage vor der Veranstaltung in den Urlaub. Auch seinen Stellvertreter, den Grünen Stadtdirektor Peter Greulich, zieht es in die Ferne. Trotz schwerer Bedenken zahlreicher Projektverantwortlicher und externer Berater werden die Genehmigungen zur Loveparade in letzter Sekunde erteilt.
Ein bestelltes Gutachten
Oberbürgermeister Sauerland kehrt erst am Veranstaltungstag nach Duisburg zurück. Auf der Pressekonferenz nach der Loveparade zeigt er sich dementsprechend ahnungslos. „Wir haben viele Fragen“, sagt er immer wieder. Beantworten wird er sie nicht. Dem Spiegel sagt er jetzt: „Wissen Sie, im Nachgang habe ich immer überlegt: Hätte ich mich persönlich noch mehr damit beschäftigen sollen? Aber wir hatten ja Experten. Ich habe mir berichten lassen, was kann man noch mehr machen? Ich wüsste nicht, was. Wir haben alles getan, dass es zu dieser Katastrophe nicht kommen kann.“
Dies ließen sich Sauerland und sein Verwaltungsvorstand auch in einem Gutachten bestätigen, dass sie für fast 400.000 Euro bei einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei in Auftrag gaben. Darin wird der Stadt ein korrektes Genehmigungsverfahren zur Loveparade bescheinigt. Allerdings fehlen in dem Gutachten und seinen Anlagen wichtige Fakten und Dokumente.
Die Duisburger Staatsanwaltschaft kommt jedenfalls zu einer völlig anderen Wertung. Sie hält das Duisburger Genehmigungsverfahren zur Loveparade für rechtswidrig und ermittelt gegen elf Mitarbeiter der Stadtverwaltung, darunter die Dezernenten Rabe und Dressler, wegen fahrlässiger Tötung.
Diese Widersprüche kann Sauerland seither nicht auflösen. Der Oberbürgermeister wiederholt nur stereotyp, an seiner Verwaltung könne die Katastrophe nicht gelegen haben. Auch mit dem Gedenken tut sich der CDU-Politiker schwer. Nach dem Bebauungsplanentwurf für das Loveparade-Gelände am alten Duisburger Güterbahnhof vom April 2011 soll der Ort der Katastrophe unter einem Betondeckel verschwinden. Erst nach massiven Protesten der Hinterbliebenen und Verletzten kommen Gespräche zum Erhalt des historischen Ortes in Gang.
Das Versagen bei der Loveparade ist der wesentliche Grund für das Bürgerbegehren „Neuanfang für Duisburg“, dem sich auch Jürgen Hagemann angeschlossen hat. Die Initiative hat 79.149 Unterschriften gesammelt und damit die Abstimmung am 12. Februar auf den Weg gebracht. Die meisten Parteien und einige Gewerkschaften stehen hinter dem Antrag. Die CDU war lange uneins, ob sie zur Unterstützung Sauerlands oder zum Ignorieren der Abwahl aufrufen sollte. Jetzt wirbt sie doch dafür, für Sauerlands Verbleib im Amt – also mit „Nein“ zum Antrag – zu stimmen. Nötig für die Abwahl ist ein Quorum von 25 Prozent. Scheitert Sauerlands Abwahl bleibt alles beim Alten. Ansonsten wird binnen sechs Monaten neu gewählt.
Lothar Evers ist freier Journalist in Köln
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