Wie AfD und Pegida ticken

Rechtspopulismus Ein Essay über Vorurteile und die Notwendigkeit sie zu hinterfragen. Und darüber, wie Rechtspopulisten aus ihnen politische Waffen schmieden

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Was bleibt, ist Argumentieren
Was bleibt, ist Argumentieren

Bild: Jens Schlueter/Getty Images

Der Mensch, darüber herrscht weitgehend Konsens, unterscheidet sich von anderen Lebewesen durch das abstrakte Denken. Dabei nimmt er den jeweiligen Gegenstand als etwas aus verschiedenen Eigenschaften Zusammengesetztes wahr und ordnet ihn damit bestimmten allgemeinen Kategorien zu, die er dann in ein jeweils spezifisches Verhältnis zueinander setzt. Bei der Frage, welches Phänomen welchen Kategorien zuzuordnen ist, spielt die Erkennung von Mustern eine wichtige Rolle. Die konkreten Zuordnungskriterien werden in der Informatik als Klassifikatoren bezeichnet.

Auch beim menschlichen Denken erfolgt die Unzahl tagtäglich anfallender Zuordnungen praktisch-notwendigerweise durch Klassifikatoren, die gewissermaßen erfahrungsmäßig ‚bewährte Vorurteile‘ mit bedingter Gültigkeit und begrenzter Haltbarkeit darstellen. Freilich ist dieser Prozess normalerweise ziemlich komplex, so dass es bei ein und demselben Wahrnehmungsgegenstand auch oft zu einander widersprechenden Zuordnungen kommt, die Anlass sind oder sein sollten, die angewendeten Klassifikatoren auf ihre Tauglichkeit zu hinterfragen und nötigenfalls zu modifizieren oder sogar durch neue zu ersetzen. Sonst droht nämlich dem betroffenen Denken ein Realitätsschwund, der sich sowohl auf den ‚Betreiber‘ eines solchen Denkens, als auch die Menschen, zu denen er in einer praktischen Beziehung steht, fatal auswirken kann.

Dergleichen kann aber auch zur politischen Methode werden: Rechtspopulistische Gruppierungen und Parteien wie Pegida und AfD wollen im Denken ihrer Adressaten als Klassifikator für die Einordung der aktuellen Ereignisse die unwahre Behauptung verankern, dass an nahezu jeglichem Problem die Ausländer schuld seien, insbesondere die ins Land kommenden muslimischen Flüchtlinge. Die Anwendung von Klassifikatoren ist hier nicht mehr funktionales Element des Erkennens der Wirklichkeit, also dessen, was auf der Welt geschieht, aus welchen Gründen und mit welchen Zielen.

Vielmehr dienen umgekehrt vorgefertigte Deutungen der Realität als Mittel zur Stabilisierung und Immunisierung des einen – im wahrsten Sinne des Wortes – totalitären Klassifikators. Erfolgreich sind Rechtspopulisten, wenn bei ihren Adressaten die politische Mustererkennung mehr und mehr von der monistischen Musterprojektion abgelöst wird. Bei diesem ressentimentgesteuerten Denken geht es also einzig und allein darum, mit allen Mitteln das Hinterfragen des oben genannten Klassifikators zu verhindern, ihn also zu dogmatisieren. Das dazu nötige ‚Trainingsprogramm‘ beinhaltet außer der permanenten Fütterung des Ressentiments mit dumpfer Propaganda die ‚Warnung‘ der Adressaten vor Andersdenkenden (die diffamiert werden), Stichworte: „Lügenpresse“, „Volksverräter“ usw.

Und wer davon überzeugt ist, mit seiner Weltsicht so prinzipiell, also unwidersprechlich Recht zu haben, der wähnt sich auch im Recht und nachgerade verpflichtet, dem, was er für das Recht hält, gegen innere und äußere Feinde – auch mit Gewalt – Geltung zu verschaffen.

Was dagegen helfen könnte? Bestimmt nicht, die Rechtspopulisten öffentlich auszugrenzen und sie genau dadurch publikumswirksam in die Rolle derjenigen zu drängen, gegen die den „Volksverrätern“ nichts Vernünftiges mehr einfiele. Was bleibt, ist Argumentieren: den Schwachsinn und seine Inhumanität bloßstellen; auch, seine objektive Nutzlosigkeit für die „besorgten Wutbürger“ aufzeigen. Den Blick auf die Realität zu lenken versuchen. Ein mühevolles Unterfangen ohne jede Erfolgsgarantie, aber auch ohne Alternative.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lothar Thiel

LT ist Gymnasiallehrer, in der interkulturellen Pädagogik engagiert und schriftstellert nebenbei, derzeit vor allem im Bereich der Lyrik.

Lothar Thiel

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