Dass die Hetze gegen Medien zunimmt, ist schon seit längerem zu beobachten. Dass die Übergriffe sich aber nun in Redaktionsräume hinein erstrecken, ist neu. Am Dienstag ist genau das im Berliner Recherchezentrum der Journalistengemeinschaft CORRECTIV geschehen. Das gemeinnützige, investigative und über Crowdfounding finanzierte Projekt, das auch vom Freitag unterstützt wird, hat anscheinend pro-russische Feinde. Ein ehemaliger freier Autor bei Russia Today, Graham W. Phillips, und Billy Six, der Beiträge für die rechtskonservative Junge Freiheit schrieb, stürmten die Redaktion des CORRECTIV auf der Suche nach Marcus Bensmann. Der deckte vor zwei Jahren die Hintergründe des Passagierflugzeug-Abschusses MH17 über der Ukraine mit auf.
Freitag: Herr Bensmann, Sie waren zum Zeitpunkt des Überfalls gar nicht in der Redaktion, sondern unterwegs. Wie haben Sie davon erfahren?
Marcus Bensmann: Ich habe einen Anruf von Herrn Phillips bekommen, der einen ganzen Beleidigungsschwall von „Prostituierte“ bis „Lügner“ auf mich losgelassen hat; ich würde mit meinen Lügen Menschen in der Ukraine töten. Ich habe erst mal gesagt, das sei doch keine Art zu kommunizieren, aber der ließ gar nicht mit sich reden.
Wussten Sie sofort, worum es ging?
Wenn man sich mit solch heiklen Themen beschäftigt wie ich – und ich weiß, dass es eine sehr aufgestachelte pro-russische Szene gibt – ist eigentlich immer klar, dass so etwas passieren könnte. Aber zwei Jahre nach der Veröffentlichung hätte ich nicht mehr damit gerechnet.
Marcus Bensmann arbeitete unter anderem für Deutsche Welle, ARD, Neue Zürcher Zeitung und die taz. Im Mai 2005 gehörte zu den wenigen journalistischen Augenzeugen des Massakers im usbekischen Andischan. Die Reportage über den MH17-Abschuss bei CORRECTIV wurde für den Nannen-Preis nominiert
Was war Ihre Rolle bei der Recherche zum Abschuss des Flugzeugs MH17? Könnten Sie sich noch mehr Feinde gemacht haben?
Das Spannende an der Recherche war, dass unser Team das erste war, das alle wichtigen Orte des Ereignisses in der Ukraine besucht und überprüft hat. Damit hat der ganze Informationskrieg ja erst begonnen und der Begriff der „Lügenpresse“ ist in der Ukraine richtig groß geworden, oft von Moskau aus geleitet. Natürlich gib es viele Leute, die nicht damit zufrieden sind. Dagegen habe ich nichts, im besten Fall findet ein Diskurs statt, aber diesen Leuten geht es ja nur ums Skandalisieren – die Erkenntnis bleibt zweitrangig.
Es geht also um Stimmungsmache?
Ja, genau. Um Emotionen, um den Skandal gegen die Erkenntnis. Das ist ein von Russland aus gesteuerter Informationskrieg.
Wie gehen Sie mit Beleidigungen und möglichen Bedrohungen um?
Ich fühle mich eigentlich nicht bedroht, ich habe schließlich auch schon in Zentralasien gelebt und gearbeitet. Es ist unangenehm. Inhaltlich habe ich wie gesagt nichts gegen die Auseinandersetzung. Ich habe Herrn Phillips gesagt, er solle mir doch seine Fragen aufschreiben, dann kann ich antworten. Bis heute habe ich aber keine einzige Frage von ihm bekommen. Das ist doch kein Dialog. Es geht nur darum, die russische Position durchzudrücken. Das ist ein Angriff auf den demokratischen Diskurs.
Wie geht es in der Redaktion jetzt weiter?
Ich denke, wir sind sehr professionell damit umgegangen, sehr ruhig. Jetzt müssen wir aber schon wieder abarbeiten, was auf dem Schreibtisch liegt.
Ist so ein Übergriff schon mal vorgekommen und könnte sich das wiederholen?
Das war eine Premiere. Wir wissen nicht, ob das spontan oder gelenkt war. Die Männer kamen ja nicht offiziell vom russischen Fernsehen, das war eher pro-russisches Unterholz. Ich kenne so etwas aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Es ist schon etwas verwunderlich, dass so ein Vorgehen jetzt auch in Berlin Einzug hält.
Die beiden Angreifer waren ja anscheinend pro-russisch beziehungsweise politisch rechts motiviert. Wie passt das zusammen und wie sind Ihrer Ansicht nach die Beziehungen Russlands zu den rechtsradikalen Parteien in Europa?
Es ist offensichtlich, dass die rechtsradikalen Parteien von Le Pen in Frankreich über die österreichische FPÖ bis hin zur AfD den Kontakt zum Kreml suchen und umgekehrt. Putin will die EU von innen sprengen und die rechtsradikalen Parteien dienen ihm als Hebel. Das ist schon ein Treppenwitz, dass ausgerechnet sogenannte „patriotische“ Parteien sich derart plump für die Interessen des Kremls gegen die demokratischen Institutionen des eigenen Landes aufstellen lassen. Herr Stein von der Jungen Freiheit hat sich von dem Vorfall bei CORRECTIV distanziert und gesagt, dass sie das Vorgehen missbilligen, und Billy Six nicht in deren Auftrag unterwegs war. Aber Billy Six ist natürlich ein Autor der Zeitung. Und es gilt zu bedenken, dass die Ideologen aus dem rechten Lager, die die Junge Freiheit als Plattform nutzen, sich an der Verächtlichmachung unserer Demokratie beteiligen. Das schafft vielleicht genau die Atmosphäre, die solche Überschreitungen erst möglich machen.
Am Freitag protestierten Asylgegner vor dem Gebäude des Tagesspiegel. Gibt es da ein Muster?
Ja, das sieht schon so aus, das ist Einschüchterung von Journalisten. Damit wird versucht, in den Diskurs einzudringen. Es ist ganz wichtig, diese Unverschämtheiten zurückzuweisen. Man kann alles diskutieren, aber diese Art und Weise ist die Zerstörung einer demokratischen Diskussionskultur und in der aufgeregten politischen Lage, in der wir uns befinden, ist das wahrscheinlich auch das Ziel.
Das scheint ganz gut zu funktionieren. „Lügenpresse“ ist schnell gerufen und verbreitet sich als Schlagwort. Mit medienfeindlichen Menschen in einen Diskurs zu treten, ist vermutlich schwieriger. Wie sollten Journalistinnen und Journalisten sich konkret dagegen wehren?
Wir dürfen uns das nicht gefallen lassen, wir müssen darüber berichten und zusammenhalten. Wir lassen uns unsere Demokratie von dieser russischen Aggression doch nicht kaputt machen! Erkenntnis scheint zwar nicht mehr so viel Wert zu haben, weil jeder in seinem Gedankengebäude sitzt. Aber ich glaube, wir müssen einfach weiter machen und dürfen uns nicht einschüchtern lassen. Und wir sollten uns daran erinnern, dass wir eigentlich in einem guten Land leben, ein bisschen Dankbarkeit für die Demokratie empfinden und auch die Bereitschaft zeigen, sie zu verteidigen.
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