Grenzen überwinden und überschreiten

Blockupy Wieder einmal ging das kapitalismuskritische Aktionsbündnis blockieren, diesmal das Bundesarbeitsministerium. Der Erfolg hält sich in Grenzen, die Ziele bleiben bestehen

„Zwei zu null für Blockupy“, ruft ein Demonstrant aus der Menge. „Stimmt doch gar nicht, bei den ganzen Leuten, die wir heute schon verloren haben“, antwortet sein Genosse mit Sonnenbrille und Kapuzenpulli und spielt auf vereinzelte Festnahmen an. Beide Aussagen sind übertrieben.

Der Kapitalismus wird wegen der heutigen Blockade des Arbeitsministeriums keine Rezension erfahren, und zu großen Schlachten mit der Polizei, wie 2015 in Frankfurt, kam es auch nicht. Gerade mal hundert statt der angekündigten 1.000 Demonstrierenden trafen sich Freitagmorgen am Potsdamer Platz in Berlin, um gegen die Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und den Neoliberalismus im Allgemeinen zu protestieren.

Eine gute Absicht, umgesetzt in einer achtbaren Aktionsform: Bunte Banner, laute Parolen, Sitzblockaden und ziviler Ungehorsam gegenüber der „öffentlichen Ordnung“ schaffen Aufmerksamkeit für Überzeugungen und Werte, die sonst vermutlich nie ins ernsthafte, bürokratisierte politische Geschäft durchdringen. Die richtige Balance der Grenzüberschreitung zu finden ist nicht leicht. Schließlich möchten die Protestierenden wahr- und ernst-, aber nicht festgenommen werden. Zumindest die meisten.

Einige wenige legten es auch heute auf Gewalt an und warfen gleich zu Beginn Steine auf die Polizei, die mit insgesamt 2.000 Einsatzkräften sowie Unterstützung aus fünf Bundesländern vertreten war und kurzerhand mit Pfefferspray konterte. Ohne große Aufregung wurden die Wenigen abgeführt, doch auch die Mehrheit provozierte nicht allzu gekonnt.

Eher bemüht zog der schwarze Block durch die abgesperrten Straßen zum Bundesministerium für Arbeit und Soziales – vielmehr ein Symbol für die soziale Spaltung der Gesellschaft, die die rechten Parteien stärke. Alles wahr. Aber den Politikerinnen und Politikern, die sich sonst nicht dafür interessieren, dürften auch die Menschen, die sich heute vor der Tür ihrer eigenen Arbeitsstelle auf dem Asphalt niederließen, herzlich egal gewesen sein.

Irgendwie wirkte es auch mehr wie ein Picknick als wie eine Sitzblockade. Zwar waren die Protestierenden von Polizistinnen und Polizisten mit Schutzhelmen und Schlagstöcken umringt, die ließen sie aber unbehelligt unter bunten Schirmen in der Sonne sitzen oder liegen und wahlweise rauchen, Bier trinken oder Bio-Fertigsalate löffeln. Hier und da lief etwas Musik, ab und zu brachte jemand „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!“ hervor. Mehr zum Nachdenken regten die großen Fotos Geflüchteter an, die auf dem Boden ausgelegt waren – ein Mahnmal an die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.

Die Highlights des Tages, an welchen man erkennt, dass es auch anders geht, waren die Transpi-Aktionen am Hauptbahnhof und am Leipziger Platz. „Gemeinsam kämpfen gegen Rassismus und Sozialabbau!“ hängten Aktivisten in einer Kletteraktion an die Glasfront der Bahnhofshalle, solange bis sie mitsamt dem Banner abgeseilt wurden – der Aufruf dürfte trotzdem hundertfach gelesen worden sein. Und als die Demo vom Arbeitsministerium zurück zum Potsdamer Platz zog, bot sich von der „Mall of Berlin“ der kuriose Anblick der Autonomen mit Transpi auf der unteren, und der Schaulustigen mit Einkäufen auf der oberen Verbindungsbrücke des Einkaufszentrums. Ersteren galten Jubel und Konfettiregen, letzteren der Ruf: „Bitte lasst das Shoppen sein, reiht euch in die Demo ein!“ Das Banner überdauerte trotzdem keine fünf Minuten, die obere Reihe blieb stehen. Eins zu zwei für den Staat, wie es scheint.

Wirklich verändern kann ein Bündnis, dessen Aktionen heute offenbar kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervorlocken, mit einem Demo-Wochenende nicht viel. Um mehr Gehör zu finden, sollten sie einerseits mehr Menschen mobilisieren, ihr Gewaltpotenzial andererseits aber besser gegen fragwürdige Normen als gegen Menschen richten, was im Bahnhof und der „Mall of Shame“, wie Blockupy das Shopping-Center nannte, sehr gut gelungen ist. Die aufregendste Aktion kommt aber am Abend: Eine Kissenschlacht im Anti-Wettbewerb-Wettbewerb im Foyer der Grimm-Bibliothek bei der Friedrichstraße. Das Motto: „Alle gegen alle bis auf die letzte Feder". Dann also raus aus den Federn für eine bessere Welt.

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Geschrieben von

Louisa Theresa Braun

Studentin und Journalistin mit Schwerpunkt Feminismus und Philosophie

Louisa Theresa Braun

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