Keep cool and carry on

Reife Tausende Foodsaver sammeln und teilen in Berlin Lebensmittel. Der Erfolg wird zum Problem
Ausgabe 34/2016
Über 20 „Fair-Teiler“ gibt es in der Hauptstadt
Über 20 „Fair-Teiler“ gibt es in der Hauptstadt

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Ein gesellschaftlicher Missstand, eine idealistische Ader und schließlich eine zündende Idee: Kleine autonome Unternehmen, gerade wenn sie ökologisch ausgerichtet sind oder etwas mit „Sharing“ zu tun haben, sind schnell ins Leben gerufen und populär. Das Prinzip von Foodsharing – „teile Lebensmittel, anstatt sie wegzuwerfen“ – musste in Berlin einfach funktionieren und expandierte in kürzester Zeit auch in den Rest von Deutschland. Gewachsen ist seit 2013 jedoch nicht nur der gute Wille, etwas gegen Lebensmittelverschwendung zu tun, sondern auch der Bedarf an Organisation und Absprachen, die mit den ursprünglichen Idealen nicht immer im Einklang stehen – typische Probleme also, denen kleine uneigennützige Projekte sich stellen müssen, wenn sie zu großen werden.

In Berlin kämpft Foodsharing gleich an zwei Fronten: mit der internen Verwaltung und den Hygieneauflagen der Lebensmittelaufsichtsbehörden. Die sind auf die über 20 „Fair-Teiler“ aufmerksam geworden, die es in der Hauptstadt gibt. Was als selbstgezimmertes Regal im Hinterhof einer WG begann, sind inzwischen professionell eingerichtete und allseits bekannte Standorte, häufig sogar mit Kühlschränken und einer hohen Fluktuation von Nahrungsmitteln. „Ich habe mal mitbekommen, wie zwei Kühlschränke eines Fair-Teilers in Kreuzberg gefüllt und in einer Stunde komplett leer geräumt worden sind. Hundert Kilo Brot und noch mal hundert Kilo gekühlte Lebensmittel wurden da in kürzester Zeit bewegt“, sagt Elke, die sich als „Botschafterin“ für Foodsharing einsetzt. Da „Foodsaver“ und Abholer sich nicht zwangsläufig begegnen, fällt das für die Lebensmittelüberwachungsämter nicht mehr unter private Weitergabe von Essen – öffentliche Kühlschränke müssen jetzt die gleichen Anforderungen erfüllen wie ein Betrieb. Früher beriefen die Essensretter sich auf Eigenverantwortlichkeit. Ob Obst mit Schönheitsfehlern und andere Lebensmittel nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums noch genießbar sind, sollte jeder selbst entscheiden. Nun müssen die Fair-Teiler ständig beaufsichtigt, jedes Nahrungsmittel geprüft, die Kühlschränke täglich gereinigt werden.

Das ließe sich organisieren und würde aus einer guten Idee ein professionalisiertes Erfolgsprojekt machen. Aber ist das noch mit dem Autonomiegedanken vereinbar? Die Zeiten, als der Bioladenbesitzer genau wusste, wen er anrufen musste, wenn Reste übrig waren, sind bei über 18.000 Aktiven ohnehin vorbei. Längst kennt nicht mehr jeder jeden, gibt es eine Hierarchie von Botschaftern und Betriebsverantwortlichen; Konsensprinzip war gestern. Gleichzeitig häufen sich „Regelverstöße“, immer wieder erschienen Foodsaver nicht zuverlässig zu Abholungen, die Homepage wurde gehackt, als Reaktion darauf haben schon Botschafter gestreikt.

Elke und ihr Lebensgefährte Gregor stehen für ein anderes Modell. Seit zwei Jahren betreiben sie einen privaten Fair-Teiler in ihrer Wohnung; die Online-Plattform nutzen sie nur, um ihre „Ausbeute“ bekannt zu geben und Abholungen zu organisieren. „Das mit den Fair-Teilern ist ohnehin ein Luxusproblem von Ballungsräumen“, glaubt Elke. „In kleineren Orten kennen die Leute noch ihre Nachbarschaft, Kindergärten, Kollegen, bei denen sie das Essen loswerden.“ Gregor ist sicher: „Selbst wenn die Fair-Teiler geschlossen werden, wäre das nicht das Ende von Foodsharing.“ Genau das könnte die ursprüngliche Idee vielleicht auch retten: der offensive Rückzug aus der breiten Öffentlichkeit.

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Geschrieben von

Louisa Theresa Braun

Studentin und Journalistin mit Schwerpunkt Feminismus und Philosophie

Louisa Theresa Braun

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