Nicht wegwerfen!

Recyling Designer entdecken den Charme gebrauchter Sachen. Sie verwandeln Abfall in Neues. Aber wie nachhaltig ist der Trend?

Schubladen. Große und kleine, aus Massivholz, Glas oder Metall. Zum Teil noch mit Aufklebern aus den achtziger Jahren oder voller Farbreste aus vorheriger Benutzung. Zu Hunderten stapeln sie sich im Lager des Berliner „Schubladens“ der Produktdesignerin Franziska Wodicka. Aus den Überbleibseln alter Küchenschränke und Apothekenregale macht sie neue Designer-Möbel. Der Kunde wählt seine Lieblingsschublade aus, dann wird ihm aus Holzplatten ein neuer Korpus um die Schubladen herum designt und von einer Tischlerin gebaut. Jedes Stück ein Unikat.

Recyclingdesign im Möbel- und Modebereich ist auf Online-Shoppingportalen wie utopia.de, karmakonsum.de oder treehugger.com sehr gefragt. Dort findet man Recycling-Sandalen von Worn Again, verspielte Trash-Roben von Enviro Couture oder in Basteloptik daherkommenden Schmuck aus Abfallprodukten.

Der Boom kommt kaum überraschend, sind Produkte mit Ökotouch doch das beste Argument, die Konsumlust der Verbraucher auch in Zeiten von Klimawandel und Ressourcenknappheit anzuheizen. Mit ihren individuellen Geschichten eignen sie sich perfekt für die Vermarktung in der individualisierten Shopping-Gesellschaft. Die Patina und Authentizität von Reyclingprodukten kontrastiert zudem reizvoll die visuellen Standards einer von Hochglanzästhetik längst gesättigten Konsumgesellschaft.

Dabei ist Reycling-Design nicht neu, verändert haben sich aber Image und Qualität. Schon die Umweltbewegung der achtziger Jahre brachte eine Flut an Recyclingprodukten hervor. Prototyp war das raue Grau eines Recycling-Toilettenpapiers – die Botschaft lautete damals Verzicht und Beschränkung –, wer umweltbewusst war, machte ästhetische Abstriche. Mitte der neunziger Jahre kamen dann erste Produkte für Großstädter auf den Markt, wie die Umhängetaschen aus ausrangierten LKW-Planen. Sie können als Vorläufer für das heutige Recyclingdesign gelten, das nachhaltig sein will, ohne so auszusehen. Eco-Fashion-Designer wie Rani Jones unterscheiden sich ästhetisch nicht von anderen Modedesignern ohne Nachhaltigkeitskeitsanspruch. Und die Schubladenmöbel tauchen in Designmagazinen auf, ohne als Recyclingmöbel klassifiziert zu werden.

Doch kann Recycling-Design die Ansprüche der Konsumenten an mehr Nachhaltigkeit wirklich einlösen? Hinter vielen Recycling-design-Labeln verbergen sich tatsächlich kleine soziale Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit in allen Phasen des Produktionsprozesses Wert legen. Die „Tin- Tuff-Hocker“ des deutsch-schweizerischen Duos Rafinesse Tristesse recyceln beispielsweise Olivendosen aus Restaurantbetrieben in Berlin und Basel. Die Dosen werden gewaschen und in einer Behindertenwerkstatt mit Streben stabilisiert und gepolstert. Ähnlich wandelt das Münchner Label Luxusbaba ausrangierte Secondhand-Mode in modische Streetwear um. Geschneidert werden die Einzelstücke in sozialen Werkstätten der Caritas.

Die aufwändige Produktion ist allerdings auch das Manko von Recycling-design. „Die meisten Recycling-design-Produkte sind teure Unikate oder werden in Kleinserien hergestellt, sind aber nicht für den Massenmarkt geeignet“, sagen Sebastian Feucht und Moritz Grund vom Berliner Sustainable Design Zentrum (SDZ). Weil die Materialgrundlage für Recyclingprodukte sehr heterogen sei, bleibe die Produktion zumeist auf Handarbeit angewiesen. Im Fall von Rafinesse Tristesse oder Luxusbaba ist diese Handarbeit finanzierbar, weil die Label mit staatlich geförderten Sozialprojekten zusammenarbeiten, also subventioniert werden. Mit industriell produzierten Massengütern können sie jedoch nicht konkurrieren – und fallen deswegen in der Ökobilanz kaum ins Gewicht.

Außerdem schieben viele Recycling-design-Produkte das Müllproblem nur auf. Die meisten Produkte stammen aus dem Accessoire-Bereich, sind aber keine langfristigen Investitionen. Und könnten dann nach Abflauen ihres Trendfaktors wieder weggeworfen werden, befürchtet Moritz Grund. Sebastian Feucht wertet den Recycling-design-Trend deshalb vor allem als symbolisch wertvoll, weil er zumindest das Thema Nachhaltigkeit für neue Zielgruppen erschließt.

Andere Kritiker monieren, dass das Kaufen von Recyclingmöbeln und -mode nur auf bestehende Konsummuster zurückgreife, nicht aber an den Grundfesten des herrschenden Produktionssystems rüttele. Und das sei notwendig, wolle man seinen Konsum wirklich nachhaltig gestalten.

Laut dem Berliner Sustainable Design Zentrum sind etwa 90 Prozent des Ressourcenverbrauchs eines Produkts bereits im Entwurf des Designers festgelegt. Da könnte man einsparen. Der konsequente Einsatz von nachwachsenden Materialien gehört hier genauso dazu wie eine transportarme Produktionskette. Und ein Design, das den Patinaeffekt – also das Altern in Schönheit – gleich miteinbezieht und so auf eine lange Lebensdauer abzielt. Die größte Herausforderung für Designer und Konsumenten besteht sicher darin, auf kurzlebige Trends zu verzichten. Denn: Am meisten schont die Umwelt immer noch, wer ein überflüssiges Produkt einfach nicht kauft. Dann muss auch nichts recycelt werden.

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