Aus zwei mach eins

Gastkommentar Enquete-Kommission des Bundestages zur Kultur in Deutschland

Über 500 Seiten und gut vier Jahre Arbeit in zwei Legislaturperioden, geleistet von mehr als 40 Abgeordneten und Sachverständigen ... in solch einem Bericht, möchte man meinen, müsste doch auch etwas darüber zu erfahren sein, dass "Kultur in Deutschland" 40 Jahre lang in zwei Gesellschaften betrieben, gefördert, gefeiert, kritisiert wurde, dass es also zwei Kulturen gab - und zwar nicht parallel nebeneinander, sondern ganz bewusst auch gegeneinander in Position gebracht.

Möchte man meinen, ist aber ziemlich falsch. Die CDU/CSU-SPD-GRÜNE-FDP-Enquete-Kommission der 15. Legislaturperiode meinte dies überhaupt nicht. Und die Fortsetzungskommission, die nach den Neuwahlen 2005 mit dem Zuwachs der Linksfraktion, vertreten durch mich und Hakki Keskin sowie dem Sachverständigen Dieter Kramer, konfrontiert wurde, war auch dagegen, dass man sich mit solcher Thematik zu beschäftigen habe. Also ging der Streit los. Nach dem Motto, die Linke gegen alle Anderen, wurden unsere Vorschläge verändert und immer wieder mehrheitlich abgelehnt.

Was wollten wir? Ganz einfach: die Folgen der deutschen Teilung in kultureller Hinsicht beschreiben. Was wollten die anderen? Ganz einfach: Wenn schon Rekurs auf 40 Jahre Kultur in der DDR, dann nur im Raster von "SED-Diktatur", unter der kulturelle Qualität überhaupt nur von Systemkritikern geschaffen werden konnte.

Gerade mal 40 Zeilen - bei über 500 Seiten wohlgemerkt! - war die hochmögende Enquete-Kommission bereit, auf die Besonderheit der deutschen Kultur von 1949 bis 1989 und danach zu verwenden. Und wenn wir davon ausgingen, dass es durchaus legitim ist, darauf hinzuweisen, dass "die außerordentlich dichte und reiche Kulturlandschaft in den ostdeutschen Ländern ein Erbe der deutschen Geschichte und Kulturgeschichte vor der Gründung der DDR, aber auch einer eigenen Tradition der Kulturorganisationen und -beteiligung in der DDR ist", dann hatten wir uns aber schwer geirrt.

Kein Konsens hieß die Parole. Als wir eine nackte Statistik der zum Zeitpunkt der Vereinigung im Osten vorhandenen 217 Theater, 87 Orchester und 955 Museen, der 112 Musikschulen und 9.349 Bibliotheken vorlegten, hieß es zunächst "höchstens als Fußnote zitierbar", um bei der abschließenden Abstimmung gar die Fußnote aus dem Text zu verbannen. Und während wir meinten, es wäre wichtig zu erwähnen, dass "diese Kulturlandschaft einen tiefgreifenden Wandel durchgemacht hat, der auch mit schmerzhaften Verlusten verbunden war", sah die Mehrheit der Kommission zwar auch "große und empfindliche Veränderungen", denen freilich heute "eine in Vereine, Verbände, Stiftungen ... reicher gegliederte neue Struktur gegenübersteht". Die Devise ist klar: alles ist besser geworden, es kann nicht hingenommen werden, wenn wir feststellen, dass die Ostdeutschen die Rolle des Marktes im Kulturbetrieb kritisch sehen und andere Ansprüche gegenüber Künsten und Künstlern haben.

Insofern finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, falls Sie die 500 Seiten des Berichts Kultur in Deutschland interessieren, weit hinten auf den Seiten 440 bis 442 das Sondervotum der Linksfraktion.

Sehr aufschlussreich ist bei alldem das Fazit der Kommission: "Bald zwei Jahrzehnte nach der Vollendung der deutschen Einheit treten die systembedingten kulturellen Unterschiede zunehmend in den Hintergrund". Während es in unserem Sondervotum heißt: "Die bis heute zu konstatierenden mentalen Unterschiede zwischen Ost und West sind eine Herausforderung an Kulturpolitik, wobei es nicht darum geht, sie zu überwinden. Vielmehr gilt es, sie als Chance zu nutzen." Die Enquete-Kommission wollte diese Chance offenbar nicht nutzen.

Luc Jochimsen ist Publizistin und Bundestagsabgeordnete der Linken

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