Als Darsteller in den Karnevalssendungen seiner ARD schuftet er ja auch noch!
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Machen wir uns nichts vor: Das System Schlesinger hat nicht die entlassene RBB-Intendantin Patricia Schlesinger erfunden. Das System Schlesinger enthält eine Entwicklungsgeschichte – und die gilt für alle öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland. Von den üblichen Abscheu- und Empörungsbekundungen der anderen ARD-Sender darf sich die Öffentlichkeit nicht täuschen lassen. Sie sind heuchlerisch, solange die ARD nicht insgesamt ihre Struktur auf den Prüfstand stellt.
Wie wäre es mit einem Volksbegehren und Volksentscheid in Berlin und Brandenburg? Es gibt ein schönes Vorbild: das Volksbegehren Rundfunkfreiheit in Bayern 1972. Damals wollte die übermächtige CSU unter Franz Josef Strauß den Bayrischen Rundfunk teilpriva
teilprivatisieren und die Zahl der Rundfunkräte durch eine Übermacht von CSU-Abgeordneten aufstocken. Aber die Öffentlichkeit schaute nicht tatenlos zu. Ein breites Bündnis aus SPD-Opposition, Gewerkschaften, Bürgergruppen tat sich zusammen, um ein Volksbegehren mit anschließendem Volksentscheid durchzusetzen, den das Parlament 1973 übernahm. Damals war das ein parteipolitischer Kampf gegen einen versuchten parteipolitischen Beutezug – ein halbes Jahrhundert später wäre es eine zivilgesellschaftliche Aktion auf einer ganz anderen Ebene.Die „Öffentlichkeit“, für die dieses öffentlich-rechtliche System geschaffen wurde, darf nicht länger hinnehmen, wie Politik und Managerjournalisten die mediale Grundversorgung an Information und Bildung einschränken und teilweise entwenden, und die Sender, nicht nur der RBB, sich bis zur Unkenntlichkeit verändern. Öffentliche Anhörung und Beratung müssen klären, was die Öffentlichkeit will – an vielen Runden Tischen. In Berlin und Brandenburg könnte es anfangen.Die frühere WDR-Fernsehfilm- und Kino-Chefin Barbara Buhl, mehr als dreißig Jahre im Sender tätig, hat vor zwei Jahren in der Zeit einen Hilferuf veröffentlicht: „Nur die Zuschauer können uns verändern. Ich glaube, wir können uns nicht selber helfen, ich glaube, man muss uns von außen dazu zwingen.“ Die Insiderin kennt die Zwänge des öffentlich-rechtlichen Fernsehens genau: „Mittlerweile bewegen wir uns in einem weitgehend formatierten Fernsehprogramm, in dem es sehr wenig Möglichkeiten gibt, Grenzen zu sprengen. Sei es in der Länge, in der Finanzierung oder in den Genres. Fast jeder Sendeplatz ist mit einem Profil versehen, das sich noch dazu zunehmend verengt, nämlich durch die Nachsteuerung von Erfolg und Misserfolg. Beides wird lediglich an der Quote bemessen.“AlternativlosDie Zuschauer glauben, sich auf einem Markt zu befinden. „Das ist aber nicht wahr“, betonte Buhr. „Wir sind ein öffentlich finanziertes Medium, das von der gesamten Gesellschaft finanziert wird.“ Und diese sollte auch über das Angebot entscheiden. Und wenn es schiefgeht? Die Frage stellt sich natürlich. Volksbegehren können scheitern. Aber was ist die Alternative?„Die Umwandlung der Anstalten in GmbHs oder gGmbHs – mit der Möglichkeit der Insolvenz. Eine strikte Corporate Gouvernance dieser GmbHs, von A wie Aufsichtsrat bis Z wie Zusammenschluss. Der Umstieg der Finanzierung vom Gebührenmodell zu einem Streamingmodell mit verschiedenen Unterhaltungspaketen (Krimis, Sport, Talkrunden, Politkabarett, Gameshows).“ Das ist die Alternative. Stefan Lopiz beschreibt sie in einer Leserzuschrift an die FAZ. Das Streamingmodell erlaubt Kooperationen mit privaten Anbietern und Werbung. „Die Steuerfinanzierung bleibt für einen reinen Nachrichtenkanal und wenige reine Kulturkanäle im Fernsehen und im Radio.“In Frankreich wird die Alternative gerade umgesetzt. Ohne großes Aufsehen. Massenhafter Protest – sonst in Frankreich bei „Reformen“ üblich – blieb aus. In Großbritannien stand Gleiches auf der politischen Agenda. Die Öffentlichkeit hat es nicht zugelassen, Einspruch erhoben, Eingaben gemacht, eine Art Volksbegehren im Rahmen der Public Consultation. Es bleibt keine andere Möglichkeit. Auch bei uns nicht.Denn was tut sich beim RBB, wenige Monate nach dem Skandal? Was kommt von den verantwortlichen Politikern, den zuständigen Parlamenten, dem Sender selbst? Vom WDR kam eine Übergangsintendantin, Jahresgehalt 295.000 Euro. Und der Hauptausschuss im Brandenburger Landtag ging im November 2022 mit dem üblichen Mantra an die Öffentlichkeit: „Die Affäre muss Konsequenzen haben. Die Vorfälle sind geeignet, das gesamte Mediensystem zu schädigen.“Aha – und welche Konsequenzen sollten das sein? „Der Berliner Senat und die Brandenburger Regierung müssen den Staatsvertrag für den Sender so nachschärfen, dass die Standards für Transparenz und die Einhaltung von Regeln (Compliance) deutlich verbessert, die Aufsichtsgremien substanziell gestärkt und die Vergütungsstruktur maßgeblich verbessert werden.“Compliance ist das Lieblingswort zeitgenössischen Unternehmertums. Übers Programm kein Wort – übers Programmmachen erst recht nicht. Und das alles nach einem beispiellosen Skandal. Von selbst, das heißt durch die bisher mit der Sache Beauftragten, kommt keine Reform, die den RBB zu sich selbst bringen würde.Und da der RBB mehr als ein halber Ostsender ist, muss man auf die unterbliebene und mit Absicht unterlassene Reform des öffentlich-rechtlichen Systems in der Wendezeit zurückkommen.Wie hieß es so schön im ARD-Jahrbuch 1991?„– Darstellung der Zusammengehörigkeit und des aufeinander Angewiesenseins, Analyse von und Auseinandersetzung mit Überdrussgefühlen und Verweigerungshaltungen– Förderung des gegenseitigen Verstehens durch die Bekämpfung von Zerrbildern, Klischees und neuen Feindbildern– Verständnis wecken für die jeweiligen Besonderheiten der Entwicklung in den beiden Teilen Deutschlands– Kenntnisnahme und Respektieren der jeweiligen Erfahrungen– Vertiefung der Kenntnis von Kultur und Geschichte der beiden deutschen Teilstaaten mit dem Ziel, erhaltengebliebene Gemeinsamkeiten sowie Ansätze für neue festzustellen“Und weil das alles unterblieben ist, wird heute im Osten „als Lenkung aus der Ferne“ beides verstanden: sowohl der private Zeitungsverlag in Hamburg oder Köln als auch der Nachbau West beim MDR oder beim RBB. Im Fall der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten kommt verschärfend hinzu, dass die ostdeutschen Beitragszahler in ihren Augen die „Fernlenkung“ auch noch selbst finanzieren. Ebenso sensibel wird reflektiert, dass die postulierte neutrale Berichterstattung mit den tatsächlich westlastigen Sendeinhalten in Spannung steht. Die Dominanz westdeutscher Entscheiderinnen und Entscheider zeigt sich „beim Geld, bei den Themen und beim Personal“, konstatieren Medienpolitiker der Linkspartei in einem Grundsatzpapier. „Von den insgesamt zwölf Sendern bei ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutsche Welle gibt es nur eine Intendantin ostdeutscher Herkunft. Von 21 Programmdirektor/innen und Geschäftsführer/innen sind nur zwei ostdeutscher Herkunft. Das sind weniger als zehn Prozent dieses Spitzenpersonals.“ Und nur ein Bruchteil der Kosten fließt in den Osten.Besonders gehen die Medienpolitiker auf Tom Buhrow ein, der 2022 in einer viel zitierten Rede in Hamburg die „Große Reform“ als Ausweg aus der ARD-Misere vorgeschlagen hatte. „Tom Buhrow, Intendant des WDR, zudem Aufsichtsratsvorsitzender der Bavaria Film GmbH, Aufsichtsrat der ARD-Filmtochter Degeto, der WDR Mediagroup und der ARD-Rechteagentur Sport A und stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrates des Deutschlandradios, stellte im März 2020 fest: ‚Wenn man sich die Landkarte der Gemeinschaftseinrichtungen der ARD anschaut, sind wir in den ostdeutschen Bundesländern zu wenig vertreten und müssen dort präsenter sein. Der Verantwortung sind wir uns bewusst.‘“Ein halbes Jahr nach seiner Brandrede übernahm Buhrow den ARD-Vorsitz – und macht aus diesem Verantwortungsbewusstsein nichts. Das Papier der Linken blieb Papier. Die Zeit ging darüber hinweg. Ein gutes Jahr später flog das System Schlesinger auf. So dreht sich die Geschichte im Kreis. Wo ist Herkules, der ihn brechen könnte? Wer mistet den Augiasstall aus? Da wir keine Götter mehr haben, kommt die Aufgabe auf die Vielen und Gleichberechtigten in einer Demokratie zu: uns. Die global agierende Medienpolitik- und Medienwirtschafts-Lobby kommt ihrem Ziel immer näher, die öffentlich-rechtliche Bastion zu schleifen. Wer das verhindern will, muss jetzt handeln.