Reise nach Teheran Selbsterfahrenes aus der Islamischen Republik oder West-östlicher Divan – was würden Goethe und Hafis heute über die iranische Hauptstadt schreiben?
Eine Woche im Iran – mehr Gegensätze kann es kaum geben. Gegensätze zwischen den mitgebrachten Vorurteilen, den Erfahrungen und Erlebnissen. Gegensätze aber auch innerhalb der Erfahrungen selbst. Eine Fahrt mit der Achterbahn. Wenn sie zum Anhalten kommt, steigt man aus und muss sich erst wieder zurechtfinden. Vorher allerdings muss man sich rechtfertigen: Warum reist man überhaupt in ein Land wie den Iran? Warum spricht man mit Vertretern dieses Regimes?
Ich habe diese Reise als Mitglied des Unterausschusses für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik des Bundestages gemacht. Zusammen mit Peter Gauweiler, Claudia Roth, Monika Grütters und Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt während der letzten Legislaturperiode. Unser Moti
Unser Motiv ging von der Frage aus, wann auswärtige Kulturpolitik besonders wichtig wird? Vor allem dann, wenn es außenpolitisch schwierig ist. Wenn sich die internationalen Beziehungen verschärfen. Wenn Bedrohungen ins Spiel kommen. Wenn gegenseitig Angst herrscht. Wenn zu befürchten ist, dass die Diplomatie abgelöst wird von Sanktionen, Drohgebärden und schlimmstenfalls das Mittel kriegerischen Handelns als „Lösung“ erscheint.Deshalb also haben wir Ende Oktober Erfahrungen vor Ort gesammelt. Es war die Zeit zwischen dem Libanon-Besuch Mahmud Ahmadinedjads und neuen EU-Sanktionen gegen Iran. Eine Zeit, in der Revolutionsführer Ali Khamenei zum ersten Mal nach drei Jahren die „heilige Stadt“ Qom besuchte, um den hohen Klerus auf die Linie der Regierung einzuschwören. Ein Jahr lang war kein Bundestagsabgeordneter mehr im Iran, das Goethe-Institut ist geschlossen, der Akademiker-Austausch fast zum Erliegen gekommen. Die deutsche Schule müsste dringend vergrößert werden – im Frühjahr 2011 wird dort erstmals wieder das Abitur abgelegt, von acht Schülern.Ohne eine Spur OrientDer verblüffendste Eindruck: Teheran wirkt wie eine amerikanische Millionenstadt, nur noch größer und bauwütiger. Ein Moloch ohne eine Spur Orient. Im Großraum leben 16 Millionen Menschen. 3,6 Millionen Autos sind angemeldet. Das heißt, jeder vierte Teheraner besitzt ein Fahrzeug. Das Land hat eine eigene Produktion, stellt vier Typen her, den billigsten, einen robusten, kleinen Viertürer, kann sich fast jede Familie leisten. Und so quält sich alles in einem Tag-und-Nacht-Stau durch eine zersiedelte Mega-Baustelle, wo offenbar jeder, der sich ein Stück Boden aneignen kann, bauen darf, was er will, und wie er will. Hochhäuser, Mickey-Mouse-Appartements wie aus Disneyland, Shopping-Malls, Supermärkte, Werkstätten, Fabriken, ein städtebauliches Chaos. Entlang der Stadtautobahn allerdings neu angepflanzte Grünanlagen, bewässert und gepflegt, Oasen neben dem achtspurigen Autoverkehr.Neon überall, Großreklamen für Filme, für Coca-Cola und in den Schaufensterauslagen alle Moden der westlichen Welt von Bennetton über Calvin Klein bis Zara. Und auch die Interieurs wie in den Vereinigten Staaten. Nescafé in Alutüten auf den Tischen neben den Papiertaschentuchbehältern, Sessel oft noch mit Plastikschutzhüllen überzogen, Flachbildschirme, in denen ständig die Programme von Press-TV laufen, die alle nach US-Vorbild aufgemacht sind: Nachrichten, Talk-Runden, selbst die Rubrik: Eine Minute ohne Kommentar, die Bilder und Originaltöne von Brennpunkten des Tages aus aller Welt übermittelt – Streikende und Polizei in Paris, Gegner einer Müllverbrennungsanlage und Polizei bei Neapel, ja: und Stuttgart 21 – Gegner und Polizei.Stadtaußen- und -innenansichten, als wären sie Teil des American Way of Life. Und das gilt dann auch für die Gespräche mit den Politikern. Jedes von ihnen beginnt mit der Formel „Im Namen Gottes“, so wie man auch von amerikanischen Senatoren verabschiedet wird: „God bless“. „God bless you“, „God bless our country“.Christliche Minderheit Eine Art Stadt in der Stadt ist das Parlament. Es besteht aus einem spektakulären Zelt – oder einer Pyramiden-Halle für das Plenum, einem lang gestreckten Verwaltungskomplex und den alten Prunk-Palästen aus der Zeit von Reza Schah Pahlavi (1925 bis 1941 im Amt). Ein Hauch Orient in den Treppenaufgängen und Spiegelglas geschmückten Hallen. In solch einer Foyer-Halle, an einem langen weißgedeckten Tisch essen wir mit einer iranisch-deutschen Parlamentariergruppe – so etwas gibt es! – und dem Vorsitzenden des Kulturausschusses zu Mittag. Haddad Adel ist ein renommierter Kant-Übersetzer, andererseits droht er Dissidenten brutal die Kahrisch an, Wegsperren und Folter. Gegensatz in einer Person.Am Tisch entwickelt sich ein heftiger Streit – zwischen Abgeordneten der Regierungspartei und der Opposition. Der Oppositionspolitiker Hojatoleslam Khodratollah Alikhani sagt ganz offen: „Regierungen kommen und gehen, Parlamente bleiben. Auch diese Regierung wird abgewählt werden. Ayatollash Khomeini hat gesagt: ‚Die Regierung des Irans ist das Parlament‘. Das können Sie übrigens auf großen Plakaten überall in der Stadt lesen. Ich kritisiere die Regierung für vieles. Für mich gilt die Verfassung. Wir sind eine lebendige Opposition, aber wir wollen natürlich keine Demokratie nach westlichem Vorbild – damit keine Missverständnisse aufkommen!“ Im Namen Gottes …Die iranische Verfassung legt in Artikel 13 fest: Iranische Bürger des zaroastrischen, jüdischen und christlichen Glaubens sind als offizielle religiöse Minderheiten anerkannt, die völlig frei ihre religiösen Pflichten im Rahmen des Gesetzes ausüben können. Die Personenstandsangelegenheiten und die religiöse Erziehung werden nach der eigenen Religion geregelt.An der Sonntagsmesse in der Eglise Sacré Coeur im Zentrum von Teheran nehmen ungefähr hundert Männer und Frauen, auch einige Kinder teil. Erzbischof Jean-Paul Aimé Gobel sagt hinterher: „Es gibt die Freiheit des Kults – aber nicht die Freiheit der Religion.“ Eine Konversion zum Christentum ist unmöglich. Christen können studieren – Ämter in der Verwaltung oder Justiz des Landes sind ihnen versperrt. Ein Christ als Richter – unmöglich! Mischehen sind eine „Tragödie“. Die Zahl der Christen im Iran nimmt ständig ab.Gleiches berichtet am nächsten Tag der Präsident der jüdischen Gemeinde, Siamak Marehsedegh. Er ist Arzt, leitet das jüdische Hospital in Teheran und vertritt die jüdische Gemeinde als Abgeordneter. „Die seit 700 Jahren im Iran lebende Minderheit gehört zu diesem Land“, sagt er. Und er sagt auch, dass die heutige Gemeinde kleiner und kleiner wird.Im Moloch Teheran gibt es zwei Gebäude und Plätze aus der Schah-Zeit, die eine große Anziehungskraft besonders auf junge Leute haben. Das Stadttheater und das Museum für Zeitgenössische Kunst. Auch hier lässt Amerika grüßen. Das Museum entstand zwischen 1970 und 1977. Es wurde von Farah Dibah gegründet als Vorzeigeobjekt des „reichen, modernen Persien“ – als eine Mischung aus Guggenheim Museum in New York und dem Museum of Modern Art. Es heißt MOCA in Anlehnung an MOMA und stellt „Meisterwerke der größten Künstler der Welt“ aus. Und das ist wahrlich nicht übertrieben. Picasso, Max Ernst, Kandinsky, Henry Moore. Ausgestellt „Im Namen Gottes vom Ministerium für Kultur und islamische Führung“, so steht es im neuen Katalog aus dem vergangenen Jahr. Direktor Mahmoud Shalouee schreibt im Vorwort: „Im Namen des einzigen Schöpfers der Kunst! Die Dinge zu beschreiben, die ganz selbstverständlich zu unserer Zeit gehören, ist schwierig. Und zu diesen Dingen gehört die ‚Kunst‘, die viele Denkschulen in der Geschichte der Philosophie beschäftigt hat. Kunst zu beschreiben, ist schwierig … Sie ist wie eine Quelle mit klarem Ursprung, aber immer im Fluss. … Unsere Ausstellung und unser Katalog sind ein Tribut, an diesem großartigen, reichen Fluss …“Atemloses PublikumAlso doch: West-östlicher Divan! Im großen Stadttheater, auch einem Vorzeigebau aus der Schah-Zeit, gibt es Hamletmaschine von Heiner Müller, übersetzt und inszeniert von Nasser Hosseini-Mehr. Für zwei Wochen auf dem Spielplan einer Werkstattbühne für 250 Zuschauer, immer ausverkauft. In der Mitte auf dem Podest ein Glaskasten. König, Königin, Polonius und Ophelia kommen aus Falltüren, die im schwarzen Boden eingelassen sind. Sie tragen Shakespeare-Kostüme mit Versatzstücken von heute. Ophelia stöckelt auf schrill-roten Stiletto-Pumps einher. Selbstzufrieden hocken sie am Anfang, wenn die Zuschauer in den dunklen Raum kommen, beim Hochzeitsschmaus. Gelächter erfüllt sie alle. Ihnen ist ein Coup gelungen. Sie sind an der Macht. Dann stürzt aus einer der Klapptüren Hamlet mit Harnisch und Schwert. Was schreit er?„Ich war Hamlet. Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung BLABLA, im Rücken die Ruinen von Europa … Ich spiele Hamlet. Dänemark ist ein Gefängnis …something is rotten in this age of hope…“Ein großer Theaterabend, ein atemloses Publikum. Hinterher treffe ich Nasser Hosseini-Mehr mit seinem Ensemble im Flur vor den Garderoben. Sie freuen sich über den „internationalen Besuch“. Sie kämen gern nach Berlin. Warum sie ausgerechnet Heiner Müller jetzt in Teheran aufführen?Warum ausgerechnet jetzt nicht?Finanziell ist das Theater ein Hungergeschäft, aber ein Publikumsmagnet. Geld kann man im Iran durch Film- und Fernsehproduktionen verdienen. 70 Filme werden in diesem Jahr produziert. Können das alles Propaganda-Schinken sein? Nein, auf keinen Fall. Es gibt hervorragende Streifen, ihr Zustandekommen allerdings ist stets ein Risiko.Wie geht das alles zusammen – im kulturellen, islamischen Kontext? Es muss wohl zusammengehen. Allerdings: mehr Gegensätze gibt es selten.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.