Ihr hängt wirklich verdammt weit zurück hier in Deutschland, was die Entwicklung neuer Modelle für Schulbauten und des Lernens betrifft“, sagt Rosan Bosch einmal während ihrer Keynote Anfang dieser Woche auf der von der Architekturgalerie Aedes in Berlin veranstalteten Tagung zum Thema „Zukunft Schulbau“. Die Niederländerin Rosan Bosch berät auf der ganzen Welt Bildungsträger und -einrichtungen und propagiert ein Lehrmodell, das auf die natürlichen Bedürfnisse und die Abenteuerlust der Kinder eingeht; ein Modell, das in Variationen im skandinavischen Raum seit langer Zeit zum erfolgreichen Standard geworden ist. „Compulsion, Boredom, Fear“ prägten dagegen das System des traditionellen frontalen Unterrichts, sagt sie: Nötigung, Langeweile und Angst.
Es ist ja nicht so, dass dieses System nicht auch in Deutschland in Frage gestellt würde – und es gibt auch hierzulande Unterrichtsformen, die sich vom frontalen Unterricht absetzen oder ihn zumindest ergänzen, und das nicht nur an den Gesamtschulen. Zugleich hat man sich auch schon seit Ende der 1960er Jahre Gedanken darüber gemacht hat, ob man Schulen nicht anders bauen sollte als bisher. Also ohne kalte Treppenhäuser und lange Flure, an denen sich ein Klassenraum an den anderen reiht, mit Schulhof oder Mobbing-Space draußen davor.
Aber wirklich viel getan hat sich nicht, und nicht wenige der zunächst enthusiastisch begrüßten, dann später ebenso heftig geschmähten „Lernfabriken“ sind inzwischen schon wieder abgerissen worden. Erinnert sich noch jemand an die Trostlosigkeit des Englischunterrichts in den Mini-Käfigen der Sprachlabore? Die Situation Anfang der 1970er Jahre ähnelt ohnehin ein wenig der Situation heute: So wie man damals für die geburtenstarken Jahrgänge den Bau von Schulen verschlafen hatte, so perplex reagierten die Verwaltungen vor einiger Zeit auf die gegen alle Prognosen steigenden Schülerzahlen. Ging man bis etwa 2010 noch von einer sinkenden Bevölkerungs- und damit Schülerzahl aus, hat sich das zumindest für die Metropolen inzwischen in das Gegenteil verkehrt. Der Zuzug von außen, aber auch steigende Geburtenzahlen – vor allem, aber nicht nur in den migrantischen Quartieren – sind verantwortlich dafür
Laut einer Berechnung des Berliner Senats von 2015 wird der Anteil der 6- bis unter 18-Jährigen in dieser Stadt bis 2030 um 23 Prozent auf rund 416.000 steigen. Wenn man nichts unternähme, gäbe es für 70.000 Schüler spätestens 2026 schlicht keine Schulen – und die, die es heute gibt, befinden sich nicht selten in einem erbarmungswürdigen Zustand.
Dänen geht es besser
Berlin wird 5,5 Milliarden Euro investieren, mindestens 60 neue Schulen sollen in den nächsten 10 Jahren entstehen, daneben die alten modernisiert und umgebaut werden. Endlich, muss man sagen, nachdem für so lange Zeit die Investition in die einzige nennenswerte Ressource dieses Landes, seine Menschen, so brutal vernachlässigt worden ist. Eine eigene Task-Force und Steuerungsgruppe ist beim Senat eingerichtet worden, um die gewaltige Aufgabe zu stemmen; um die in Berlin traditionell zähen Prüf- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, werden 200 neue Mitarbeiter alleine für die Verwaltung dieser Aufgabe neu eingestellt.
Man wird also wieder Schulen bauen, und dieses Mal soll alles besser und anders werden. Und man muss ja auch nicht erst die Neurowissenschaften oder Rosan Bosch bemühen, um zu erkennen, wie sehr ein als angenehm empfundenes, freundliches, überschaubares und offenes Umfeld die Lust am Lernen und Ausprobieren fördert. Die „Flurschule“ und das auf den frontalen Unterricht ausgerichtete pädagogische Modell sollen endgültig beerdigt werden. Der Berliner Architekt Timo Klumpp dämpfte auf dem Podium aber gleich wieder die Erwartungen: „So schöne Schulen, wie ihr sie in Dänemark habt, werden wir in hier in Deutschland nicht bauen“, sagte er in Richtung Rosan Bosch, „die Dänen bauen Schulen für die Dänen, die Deutschen für die Deutschen. Wir wollen keine Schönheit, sondern Sicherheit und Brandschutz.“
Sicherheit first, ein wenig deprimierend hört sich das schon an, aber warten wir’s ab. Denn ein wenig in Richtung Rosan Bosch geht es trotzdem: Das neue Zauberwort ist der „Cluster“, oder in der Berliner Variation das „Compartment“, und das Modell dafür steht in Wien in Gestalt des von den Architekten Anna Popelka und Georg Poduschka gebauten Bildungscampus Sonnenwendviertel. Sie haben gerade einen Wettbewerb für den Neubau einer Schule an der Allee der Kosmonauten in Berlin gewonnen, und wie in Wien werden sie dort die Klassenräume um einen offenen, zentralen inneren Bereich anordnen, der auch Ruhezonen, Projekträume und daneben den Teamraum für die Lehrer enthält, die dann nicht mehr nach dem Ende ihrer Stunde in das zentrale Lehrerzimmer entschwinden. Die gesamte Schule besteht aus vielen dieser Cluster, die sich auf mehreren Etagen raumgreifend um Licht- und Innenhöfe sortieren. Die Kinder könnten sich mit ihrem eigenen Cluster identifizieren und ihn wie eine Art Heimat empfinden. Wenn man jetzt noch die Lehrer und Pädagogen fände oder heranbildete, die diese andere Art des Lernens und der Schule unterstützten, könnte man vielleicht tatsächlich ein wenig Hoffnung tragen, dass in der Bildung etwas geht.
Info
Noch bis zum 8. August ist im Aedes Architekturforum in Berlin die Ausstellung Zukunft Schulbau zu sehen
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