„Alles, was automatisiert werden kann, wird auch automatisiert“, das sagte Allianz-Chef Oliver Bäte jüngst dem Spiegel. Und so denkt wohl jeder Chef einer Firma, die Menschen für Arbeit bezahlt: Dies ist der Kern des Dramas, das sich heute im reifen Spätkapitalismus abspielt. Der Reichtum der Industriegesellschaften und die vielen durch Arbeit und Automaten hergestellten Güter und Dienstleistungen werden in einer weltumspannenden arbeitsteiligen Gemeinschaft hergestellt, die sich durch Preise und offene Märkte selbst steuert. Solange die ganze Sache wächst, ist alles gut: Angebot und Nachfrage gleichen sich aus, alle suchen stets das günstigste Angebot und finden es heute meistens bei Amazon. Die Arbeitgeber suchen immer die billigsten Arbeitskräfte und finden sie vielleicht in Indien oder Mexiko – oder in den Angeboten der Hersteller von Industrierobotern.
Rad ohne Antrieb
Solange der technische Fortschritt das Wachstum nicht überholt, bleibt die Ökonomie im Gleichgewicht. Wenn aber das globale Wachstum nachlässt oder stagniert, gerät sie ins Schwanken: Sie droht umzukippen, wie ein Fahrrad ohne Antrieb.
Viele Ökonomen und politische Parteien glauben weiter unbeirrbar an ewig steigerbares Wachstum. Aber das Wachstum lässt sich offenbar seit einigen Jahren nicht wiederbeleben – trotz extremer Niedrigzinsen, immer aufwendigerer Werbekampagnen und immer absurder überdimensionierter Produkte. Unter Ökonomen macht sich die Angst vor dem „Gespenst der Stagnation“ breit, und zwar vor einer säkularen, bleibenden, und nicht nur vorübergehenden, konjunkturbedingten Stagnation.
Weil die Sparvermögen weltweit so hoch angestiegen sind, meinen die einen, es sei am Geld an sich etwas falsch, und wollen es abschaffen. Doch das Geld ist nur ein Tauschmittel, das sofort neu erfunden wird, ist es einmal „abgeschafft“. Als in Deutschland nach dem Krieg keine gültige Währung verfügbar war, tauschten die Menschen eben mit Zigaretten oder Damenstrümpfen. Andere wollen in die Steuerung der Marktwirtschaften eingreifen und umverteilen – die Arbeit, das Geld oder beides. Wenn die Menschen immer schwerer eine Arbeit finden, die sie ernährt, dann sollen sie das Geld zum Leben eben ohne Arbeit erhalten, als Grundeinkommen. Diese Idee wurde gerade sogar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos diskutiert. Oder aber wir verteilen die Arbeit, die zu tun ist, auf mehr Hände und Köpfe.
Diese Umverteilung lässt sich institutionenökonomisch als Transaktionskosten verstehen: Es bedeutet Aufwand, Geld von den einen einzusammeln, um es anderen als Grundeinkommen zukommen zu lassen, und es bedeutet Aufwand, die Arbeit zu verknappen, um sie auf mehr Stellen zu verteilen. Wir alle wissen nun, dass der technische Fortschritt, die Automaten, Roboter und Informationssysteme, die die menschliche Arbeit so ergiebig machen, nicht aufzuhalten ist. Diese Transaktionskosten werden also immer höher steigen – kann das eine dauerhafte Lösung sein?
Von den Unternehmen ist unterdessen nicht unbemerkt geblieben, dass die Nachfrage nachgelassen hat und nicht mehr so lange unbefriedigt bleibt wie zu Zeiten des Opel Laubfrosch oder der Nordmende-Fernseher. Damals konnten sie sich Jahre Zeit nehmen, um ein Produkt zu entwickeln, die dazu erforderliche teure Fertigungsanlage aufzubauen und Personal zu schulen, sodass sich dann jahrelang ein und dasselbe Produkt vertreiben ließ. Sie konnten sich auf anhaltende Nachfrage verlassen. Heute haben sich die Produktlebenszyklen drastisch verkürzt, und mit ihnen die Produktentwicklungszeiten. So wird es sehr teuer und riskant, Produktionsanlagen für jeweils nur ein bestimmtes Produkt aufzubauen. Darum streben Unternehmen heute nach möglichst flexiblen, schnell änderbaren, kleinen und billigen Produktionsanlagen, die sie fix an sich ändernde Kundenwünsche anpassen können. Möglich machen dies Fortschritte in der Fertigungstechnologie und in der Mikroelektronik, die die früheren Kostenvorteile des Skaleneffekts außer Kraft gesetzt haben: Produzenten müssen nicht mehr möglichst viel vom Gleichen herstellen, um durch proportional sinkende Stückkosten höhere Erträge zu erzielen.
Die viel zitierte Konzeption der Industrie 4.0 versucht dies in idealer Weise zu verwirklichen: Produkte, die vielleicht im direkten Kontakt mit dem Kunden per Internet gestaltet oder individualisiert worden sind und dann auf dessen Anforderung hin – „on demand“ – ihren Weg durch die Produktionsanlage starten und alle Daten zur Steuerung des Produktionsprozesses selber mit sich führen. Idealerweise sind Fertigungsanlagen heute universal. Sie können heute dies und morgen jenes produzieren, oder genauer: innerhalb von Sekunden von der Produktion des einen auf die eines anderen Produktes umgeschaltet werden. Man nennt dies resiliente Produktion. Fertigungsanlagen sind nicht gleich obsolet und haben sich mit dem Wegfall der Nachfrage für ein bestimmtes Produkt nicht gleich erledigt. Dies ist für 3-D-Drucker ein Leichtes. Sie sind innerhalb ihres Anwendungsbereiches universal einsetzbar. Allerdings lassen sich mit 3-D-Druckern bis dato noch kaum Produkte des gewöhnlichen Endkonsums herstellen.
Ließe sich mit einer solchen hochkomplexen und flexiblen Fertigungstechnologie denn nicht diese ganze hochspezialisierte Arbeitsteilung und Marktvermittlung möglicherweise umgehen? Beispielsweise könnte eine „Community“, eine irgendwie zustande gekommene Gemeinschaft von Konsumenten, einmal durchrechnen, was sie in einem überschaubaren Zeitraum so zu konsumieren gedenkt, all das auf einen großen Konsumplanzettel schreiben und dann kalkulieren, was sie dieser Plankonsum kostet, wenn sie in so eine universale Produktionsanlage investiert und alles selbst produziert, anstatt es zu kaufen.
Womöglich käme dies die Community dann billiger. Tatsächlich kann man für einfache Produkte mit 3-D-Druckern und Open-Source-Designs heute schon zu Einsparungen kommen, wie der US-Materialwissenschaftler Joshua Pierce in seinen Studien nachgewiesen hat.
Aber Communities und solche hochkomplexen und teuren Fertigungsanlagen sind dann doch ein anderer Fall. Als simple Interessengemeinschaften kämen sie wohl nicht zustande. Doch „Communities“ in Gestalt der gut bekannten Kommune existieren ja. Wenn aber städtische Kommunen investieren, dann bisher nur zum Zweck der allgemeinen Daseinsvorsorge, also in Energieerzeugung, Wasser- und Abwasserversorgung, Kultur, Bildung, Gesundheit oder städtische Bäder.
Für jedes Alter
Solche kommunalen Institutionen müssen keine Gewinne erwirtschaften – was sie mit den weltweit immer weiter verbreiteten Fabrication Laboratories, den Fab Labs (der Freitag 52/2015), gemeinsam haben. Mit Letzteren dringt die Produktion von Dingen nun in den öffentlichen, nichtkapitalistischen Bereich vor. Fab Labs sind kein Geschäftsmodell, sagt ihr Erfinder Neil Gershenfeld. Meist sind sie Universitäten angeschlossen oder werden von Vereinen getragen; Universitäten verstehen sie als Teil ihres Bildungsauftrags, um Menschen aller Altersstufen an die Nutzung moderner Hightechproduktionsmittel heranzuführen. Im Falle des Projekts der „Self Sufficient City“ Barcelona sollen sie auch schon der Versorgung mit Konsumgütern dienen. Neil Gershenfeld versteht sie als Labore, in denen eine Technik schon genutzt werden kann, während sie entwickelt wird. Als Ziel dieser Entwicklung sieht er genau solche universalen Fabrikationssysteme, wie sie in der Industrie gegenwärtig heranwachsen.
Die Industrie wird dieses Ziel möglicherweise schneller erreichen, denn sie hat mehr Geld. Sie kann mehr investieren, tut dies aber nur, um wiederum mehr Geld zu verdienen. Das kann sie nur, indem sie ihre Kosten senkt, und in einer stagnierenden Ökonomie heißt dies immer: Jobs streichen. So stehen dann immer mehr Menschen auf der Straße und schauen hungrig den Maschinen, die ihnen nicht gehören, bei der Arbeit zu.
Was aber, wenn Fab Labs oder allgemein öffentliche, nichtkapitalistische, gemeinnützige Betriebe ohne Geschäftsmodell, über so hoch entwickelte Produktionstechnik verfügen, dass sie mit der Leistungsfähigkeit kapitalistischer Betriebe konkurrieren können? Tendenziell wäre zu erwarten, dass sie bei gleicher Qualität billiger produzieren können als kapitalistische Betriebe: denn sie müssen ja keinen Gewinn, keinen Unternehmerlohn erwirtschaften. Allerdings dürften sie auch keine Verluste machen. Dieses Gebot der Wirtschaftlichkeit solcher dann recht kostspieligen Betriebe ist nicht zu unterschätzen.
Wenn aber die Menschen dieses Angebot annehmen und ihre Konsumwünsche bei kommunalen Fab Labs erfüllen, wenn sie ihre Wunschprodukte via App editieren und dort fertigen lassen, anstatt sie wie heute im Laden zu kaufen oder bei Amazon zu ordern – dann sieht die kapitalistische Welt schon ganz anders aus.
Würde statt Wachstum
Die Menschen, die Allgemeinheit, kämen zunehmend in den Besitz der Produktionsmittel. Das bedeutet zunächst nicht unbedingt, dass die Produkte billiger werden, und es bringt zunächst auch keine neuen Arbeitsplätze, abgesehen von denen, die entstehen, um solch eine postindustrielle öffentliche Infrastruktur herzustellen. Aber mit zunehmender Automation könnten die Produkte tatsächlich immer billiger werden, bis hin zu Grenzkosten von null – was in kapitalistischer Produktion wegen des Gewinn- und Risikoaufschlags prinzipiell nicht möglich ist. Wichtig ist auch: Es entfiele der Wachstumsdruck.
Ein weiterer wichtiger Faktor wäre die Verschiebung der Machtverhältnisse. Wenn die Produktion der Gebrauchsgüter immer mehr automatisiert wird, muss sich der Beschäftigungsschwerpunkt verlagern in nicht automatisierbare Beschäftigungen jenseits der Konsumgüterindustrie: in Bildung, Wissenschaft und Forschung, Pflege und andere soziale, künstlerische und sonstige freie Berufe. Diese Tätigkeiten sind zum größten Teil gegen technische Substituierung immun – es sei denn, man ist barbarisch genug, um Roboter etwa zur Altenpflege einzusetzen.
Die dafür wohl nötige Regulierung der Beschäftigung ist heute politisch meist nicht durchsetzbar, wegen der zu hohen, angeblich wachstumshemmenden Kosten. Bei hinreichender Verschiebung der Machtverhältnisse und Werteauffassungen aber sähe dies anders aus. Arbeitszeitverkürzungen und praktikable Regulierungen hätten erheblich mehr Aussicht auf Erfolg.
Statt der ewigen, immer absurderen Wachstumsorientierung wäre der Weg frei zu einer Orientierung auf Kultur und zur Wertschätzung der nicht zweckgebundenen Würde des Menschen. „Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was über allen Preis erhaben ist und kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde“, schrieb Kant. In der kapitalistischen Welt, wie wir sie kennen, ist der Satz „Alles, was automatisiert werden kann, wird auch automatisiert“ eine Bedrohung. In einer Welt der kommunalen, überprivaten, nichtkapitalistischen gemeinnützigen Produktion wäre er eine Verheißung.
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