Die blonde He

Olympia 36 Zu den Olympischen Spielen in Berlin nominierte die NS-Sportführung zwei jüdische Athletinnen als Alibi-Kader. Besonders das Komitee der USA ließ sich davon blenden

Hitler selbst war zunächst nicht sonderlich interessiert, die Olympischen Spiele 1936 in Berlin auszurichten. Kein Wunder, widersprachen doch die humanistischen Ziele von Olympia der nationalsozialistischen Weltauffassung. Die Völker verbindende Idee des Sports missfiel den Nazis außerordentlich – sie lief ihrem Verständnis von der Dominanz einer Nation und Rasse entgegen. Doch ausgerechnet der spätere Olympiakommissar Theodor Lewald konnte Hitler vom außenpolitischen Wert der Spiele überzeugen. Der war bald ganz erpicht darauf, sein nationalsozialistisches Deutschland der Welt als friedfertiges, tolerantes Land präsentieren zu können. Unter dem Druck des IOC musste sich der Ausrichter verpflichten, jüdische Sportler „prinzipiell“ nicht von den Spielen auszuschließen, was wenig daran änderte, dass man in den Reihen der SA zu singen pflegte: „Wenn die Olympiade vorbei, schlagen wir die Juden zu Brei!“

Nominiert und relegiert

Der jüdische Sport hatte bereits seit dem Machtantritt der Nazis alle Stufen der Erniedrigung durchlitten und musste nun sportpolitische Winkelzüge ertragen, die bis zur Eröffnung der XI. Sommerspiele am 1. August 1936 in Berlin besonders drei Personen galten – der Hochspringerin Gretel Bergmann, der Fechterin Helene Mayer sowie dem Sportfunktionär Theodor Lewald. Die im NS-System hartnäckig propagierte Überlegenheit der arischen über die „degenerierte jüdische Rasse“ durfte nicht durch „Muskeljuden“ konterkariert werden. Die Weltklasse-Athletin und Goldhoffnung Gretel Bergmann wurde – um kritische Stimmen im Ausland zu beschwichtigen – vor den Spielen zunächst demonstrativ nominiert, kurz vor Beginn der Wettkämpfe aber aus fadenscheinigen Gründen des Teams verwiesen. Verbittert erinnerte sich Bergmann später, sie sei die „Trumpfkarte“ bei einem „betrügerischen Poker“ gewesen. Mitgespielt hat dabei nicht zuletzt das amerikanische IOC-Mitglied Avery Brundage, der eine Allianz mit der NS-Sportführung schmiedete, um die Spiele von Berlin zu sichern. Für seinen Club in Chicago gebe es gleichfalls einen „Arierparagraphen“, wonach keine Juden erlaubt seien, bemerkte Brundage süffisant.

Der Deutsche Leichtathletikverband entledigte sich des „Falls Bergman“ auf sportlich und moralisch schändliche Weise: Er meldete im Hochsprung der Frauen statt der erlaubten drei nur zwei Teilnehmerinnen, wobei sich eine der beiden „Springerinnen“ (später) als Mann erwies: Dora Ratjen, die Olympia-Vierte. Zum ersten und bisher einzigen Mal war ein Mann in der Frauenmannschaft bei internationalen Wettkämpfen gestartet und anschließend enttarnt worden. Auch das war Berlin 1936. Dabei erwies sich Gretel Bergmanns Relegierung aus dem deutschen Olympiakader als genau kalkuliert und erfolgte in dem Moment, als sich die US-Olympiamannschaft bereits nach Europa eingeschifft hatte und Boykottaufrufe verstummt waren.

Mit ihren 1,60 Meter, die sie fünf Wochen vor den Spielen unter diskriminierenden Bedingungen sprang, wäre Bergmann in Berlin mit Goldmedaillengewinnerin Ibolya Czák – einer ungarischen jüdischen Sportlerin – ins Stechen um den Sieg gekommen. Aber es kam anders – während im Olympia-Stadion die besten Leichtathletinnen der Welt antraten, sprach Gretel Bergmann beim amerikanischen Generalkonsulat in Stuttgart vor und beantragte ein Visum für die USA.

Die eigentliche Rolle als „Alibi-Jüdin“ war jedoch einer anderen Sportlerin vorbehalten: der Florett-Fechterin Helene Mayer, die bis 1930 sechs nationale Meistertitel errang, 1928 bei der Olympiade in Amsterdam eine Goldmedaille gewann, in den Jahren 1929, 1931 und 1937 Einzel-Weltmeisterin sowie 1929 und 1931 Europameisterin wurde. Helene Mayer, die attraktive „blonde He“, so ihr Spitzname, mit ihren unverwechselbaren Zöpfen und dem weißen Stirnband, galt als Deutschlands erste Fechterin von Weltklasse. Im Olympiajahr war sie bereits als Mitglied ihres Offenbacher Klubs gestrichen und blieb doch Deutschlands größte Goldhoffnung im Fechten.

Ihre Nominierung für das Olympia-Team sollte ein Zeichen für die vorgebliche Rassentoleranz Hitler-Deutschlands sein und die USA darin bestärken, an den Spielen teilzunehmen. Der „Fall Mayer“ lag auch deshalb anders, als nach der Rassenarithmetik der Nürnberger Gesetze die Fechterin laut NS-Terminologie eine „arische“ Mutter hatte und damit „Halbjüdin“ war. Insofern konnten die Nazis ihre Olympiateilnahme gerade noch goutieren.

Aus Altersgründen

Helene Mayer gewann in Berlin die Silbermedaille. Siegerin wurde Ilona Schacherer-Elek aus Ungarn, dritte Ellen Preis aus Österreich. Welche Blamage für die Nazis – alle drei Medaillengewinnerinnen waren jüdischer Herkunft. Bei der Siegerehrung erhob auch Helene Mayer den Arm zum „deutschen“ Gruß, was Victor Klemperer in seinem Tagebuch zu der Notiz veranlasste: „Die silberne Fechtmedaille für Deutschland hat die Jüdin Helene Mayer gewonnen; ich weiß nicht, wo die größere Schamlosigkeit liegt, in ihrem Auftreten als Deutsche des Dritten Reiches oder darin, dass ihre Leistung für das Dritte Reich in Anspruch genommen wird.“

Eine besondere Rolle im Spiel um die Olympischen Spiele in Berlin spielte schließlich der ehemalige Staatssekretär im Reichsministerium des Inneren, Dr. Theodor Lewald. Er war Präsident des Olympischen Komitees und Berliner Olympiakommissar. Lewald holte die Spiele nach Berlin, schützte sie gegen Angriffe aus der internationalen Sportbewegung und lieferte die Argumente, um aus einer bescheidenden Sportveranstaltung ein gigantisches Ereignis zu machen. Ohne Lewald wären die Spiele von 1936 nicht das geworden, was sie waren – das größte Fest des NS-Regimes.

Die Nürnberger Gesetze hatten Lewald zum „Halbjuden“ erklärt, auch wenn er – nicht zuletzt durch Taufe und Familientradition – keinen Bezug mehr zum Judentum besaß. Er wurde von vielen NS-Chargen heftig angegriffen, doch konnte es Hitler kaum riskieren, ihn vor dem 1. August 1936 aus Amt und Würden zu jagen, ohne einen Boykott des IOC heraufzubeschwören. Lewalds Freunde in den USA hatten ihm wiederholt zum Rücktritt geraten, um das NS-Regime bloßzustellen. Doch Lewald sonnte sich im Glanz der Spiele: Diese 14 Tage mit ihrer nicht abreißenden Kette von festlichen Banketten und Empfängen schmeichelten seiner Eitelkeit und entschädigten ihn für all die Selbstverleugnung, die er sich zuvor hatte auferlegen müssen. Als alles vorbei war, wurde ihm von der deutschen Sportführung nahegelegt, seine IOC-Mitgliedschaft aus Altersgründen aufzugeben.

Ausländische Besucher, die im Hochsommer 1936 nach Berlin kamen, fanden ein Reich vor, das mächtig, ordentlich und zufrieden aussah. So schrieb die amerikanische liberale Zeitschrift The Nation am 1. August 1936: „Man sieht nicht, wie jüdische Köpfe abgeschlagen oder auch nur gehörig geprügelt werden. Die Menschen lächeln, sie sind freundlich und singen begeistert in den Biergärten. Unterkunft und Verpflegung sind gut, billig und reichlich, und niemand wird von raffgierigen Hoteliers übers Ohr gehauen. Alles ist schrecklich sauber, und der Besucher hat alles gern“.

Die NS-Führung übte sich in der Kunst der Camouflage, indem sie antisemitische Schilder aus dem Straßenbild entfernte. Die Zeit um Olympia 36 in Berlin war für die deutschen Juden nichts als eine illusorische „Schonzeit“. Mit dem Ende der Spiele zog das Regime die Zügel dann wieder straffer. Es bleibt der bittere Nachgeschmack, dass viele Mitglieder des IOC willfährig und bedenkenlos mit den Machthabern in Berlin kooperierten. Sie halfen der NS-Sportführung tatkräftig dabei, die Welt für die Dauer der Spiele zu täuschen: Die alltägliche Diskriminierung deutscher Juden sollte – da waren sich Nazis und IOC einig – zumindest während der Wettkämpfe in der Reichshauptstadt gegenüber der Weltöffentlichkeit vertuscht werden.

Ludger Joseph Heid ist Historiker für deutsch-jüdische Geschichte und Publizist

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