Die beiden Bücher, die hier besprochen werden sollen, könnten unterschiedlicher nicht sein: In beiden geht es um die Vereinigten Staaten von Amerika. Aber man hat den Eindruck, als schrieben die Autoren über verschiedene Länder. Bei Noam Chomsky wähnt man sich im "Reich des Bösen", wohingegen Josef Joffe das Klischee des "wohlwollenden Hegemons" wieder reaktivieren möchte. Er zeigt sehr viel Verständnis für die USA. Zum Glück bedient er sich nicht der kämpferischen Anti-Islam-Rhetorik wie in einigen Artikeln der von ihm herausgegebenen Zeit. Beide Autoren sind auf ihre je eigene Weise differenziert oder einseitig. Sie leisten Aufklärungsarbeit, aber mit unterschiedlichen Vorzeichen.
Chomsky ist für die Schattenseiten der imperialen Politik seines Landes zuständig, Joffe beschreibt die Sonnenseiten des Empires und bringt sehr viel Verständnis für die "Hypermacht" auf. Doch warum hat Joffe den vom ehemaligen französischen Außenminister Hubert Védrine geprägten Begriff von der "Hypermacht" als Buchtitel gewählt, der die von ihm empfundene Hegemonie der USA zur Jahrtausendwende eigentlich kritisch beschrieb?
Chomsky, einer der berühmtesten Linguistikprofessoren der USA, hat nun ein weiteres politisches Buch mit dem bezeichnenden Titel Der gescheiterte Staat vorgelegt. Die Lesenden stellen sich darunter wohl eher Länder wie Somalia, Haiti, Afghanistan, Irak oder einige "Bananenrepubliken" vor, die von den US-Analysten gern als "gescheiterte Staaten" klassifiziert werden. Chomsky sieht dagegen sein eigenes Land als "gescheitert" an. Dies hat natürlich viel mit der verhängnisvollen Politik des derzeitigen Präsidenten George W. Bush zu tun, aber nicht nur: Der Autor kritisiert die Außenpolitik der US-Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg generell.
Wie kommt der Autor dazu, die USA als "failed state" zu klassifizieren? Er wendet nur die Kriterien an, anhand deren die diversen US-"Think tanks" andere Staaten als "gescheiterte" einstufen. So könnten diese Staaten ihre Bürger nicht vor Gewalt schützen, weil ihre Entscheidungsträger diesen Fragen einen nachgeordneten Stellenwert zuwiesen, da sie primär an ihrem eigenen materiellen Vorteil interessiert seien. Des Weiteren hielten sich deren Machthaber nicht an das Völkerrecht und andere internationale Abkommen. All dies träfe auch auf die USA zu, argumentiert Chomsky.
Viel staatstragender dagegen Joffe: So seien die USA der Dreh- und Angelpunkt der Weltpolitik. Nur sie könnten halbwegs für "Ordnung" im internationalen System sorgen. Keine andere Großmacht könnte diese Ordnungsfunktion auf absehbare Zeit wahrnehmen. Sprechen Irak, Afghanistan oder der Umgang mit dem Nahostkonflikt nicht gegen Joffes Annahme? Ober ist das Chaos nur dem missionarischen Eiferer George W. Bush geschuldet? Der Autor gibt sich alle Mühe, die Politik Bill Clintons im Bush-Licht erscheinen zu lassen, bescheinigt ihm aber, sie rhetorisch geschmackvoller für die Europäer verpackt zu haben.
Chomsky weist auf die Widersprüche und die doppelten Standards der US-Außenpolitik hin: So habe die Bush-Regierung die Genfer Konvention und das Völkerrecht mit Füßen getreten, wie das Gefangenenlager in Guantánamo Bay auf Cuba zeige, das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet, die Unterschrift Präsident Bill Clintons unter das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes zurückgezogen sowie den Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen torpediert. Noch 2000 verpflichteten sich die USA zu konkreten Abrüstungsmaßnahmen, aber unter Bush wurden diese einseitig aufgekündigt. Was man vom Saddam-Regime verlangte, nämlich die punktgenaue Einhaltung der UN-Resolutionen, lasse man Israel permanent durchgehen. Die USA seien folglich die größte Bedrohung für den Weltfrieden. Diese These wird noch durch die Tatsache untermauert, dass die Weltöffentlichkeit die USA ebenfalls zunehmend in dieser "Spitzen"-Position verortet.
Joffes Thesen zum "Antiamerikanismus" und "Amerikanismus" sind bizarr und ideologischer Voreingenommenheit geschuldet. So weist er die Meinungsumfragen des Pew Research Centers und die vom German Marshall Fund of the United States zusammen mit dem Council on Foreign Relations in Chicago in Auftrag gegebenen Umfragen mit dem Argument vom Tisch, dass sie nur nach der Bewertung der US-Politik fragten. Dass diese zu einem negativen Ergebnis kommen, überrascht empirisch orientierte Zeitgenossen nicht. Joffe unterstellt dem "Antiamerikanismus", eine "hidden agenda", und begibt sich damit auf verschwörungstheoretisches Terrain, was er den "Antiamerikanisten" gerne vorhält. Doch wer wollte bestreiten, dass es in der arabischen Welt antiamerikanische Klischees und Stereotypen gibt. Dass auch einige Europäer gegen diese Stereotypisierung nicht gefeit sind, haben die Bilder bei den Demonstrationen zum Weltwirtschaftsforum in Davos gezeigt. Gleichwohl gibt es aber auch eine große Amerikabewunderung. Mit welchen Unterstellungen der Autor arbeitet macht seine schräge These vom "Antiamerikanismus" als "Ersatznationalismus" der Europäer deutlich. Eine gemeinsame europäische Identität definiere sich in Opposition zu den USA. Hat Joffe den Brief der zehn europäischen "Willigen" in Sachen Irak-Krieg vergessen, die sich päpstlicher als der Papst gegenüber Bush verhalten haben?
Ob Joffes Analysen in 30 Jahren immer noch Bestand haben werden, sei dahingestellt. Seine US-amerikanische Sympathie scheint wohl ein Ausdruck der Dankbarkeit zu sein für die gratis servierte Sicherheit im Kalten Krieg und der indirekten Hilfe beim Fall der Mauer. Der Autor weiß sicherlich, dass Deutschland dafür auch einen hohen Lastenausgleich in all den Jahren gezahlt hat. Wer dagegen zum Beispiel Chomskys Analyse der US-Nahostpolitik in dem erstmals 1983 erschienen Buch Fateful Triangle liest, das 1999 wieder als Reprint erschienen ist, kann feststellen, dass sich fast nichts im Verhalten der USA in Bezug auf den Nahostkonflikt geändert hat.
Chomsky wird gern von seinen Kritikern des "Anti-Amerikanismus" geziehen. Dieser Vorwurf wird von denjenigen erhoben, denen die Gegenargumente ausgegangen sind. Mit gleichem Recht könnte man Joffe "Amerikanismus" vorwerfen. Beide Unterstellungen sind ungefähr genauso sinnvoll wie der Vorwurf gegenüber jüdischen Bürgern, sie seien "self-hating Jews", weil sie die Unterdrückungspolitik Israels gegenüber den Palästinensern kritisieren. Warum kann die deutsche Meinungs- und Politelite nicht sine ira et studio mit der Kritik der Politiken an anderen Staaten umgehen? Wo Kritik notwendig ist, wie im Falle der USA unter George W. Bush oder der Politik Israels, muss sie vorgetragen werden können, ohne sich gleich des Vorwurfs des "Anti-Amerikanismus" oder des "Antisemitismus" auszusetzen. Chomskys überaus kritisches, weil realistisches Buch hat aber nichts antiamerikanisches, sondern argumentiert ausschließlich auf der Grundlage von Fakten, die nicht für die US-Politik sprechen. Ob die USA wirklich für alles "Böse" in der Welt verantwortlich gemacht werden können, wie die massiv vorgetragene Kritik Chomskys manchmal vermuten lassen könnte, werden die Leser und Leserinnen entscheiden. Spannend ist die Lektüre allemal. Wem dies zuviel des "Anti-Amerikanismus" ist, kann ja zu Joffes Hypermacht greifen. So werden beide Seiten der deutschen Gesellschaft bedient: die "anti-amerikanische" und die "pro-amerikanische".
Noam Chomsky: Der gescheiterte Staat. Aus dem Amerikanischen von Gabriele Gockel, Bernhard Jendricke und Thomas Wollermann. Kunstmann, München 2006, 400 S., 24,90 EUR
Josef Joffe: Die Hypermacht. Warum die USA die Welt beherrschen. Hanser, München 2006, 263 S., 21 EUR
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