Generation Golzow

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Die Bezeichnung Golzow für eine Generation ist unter Umständen nicht richtig gewählt für jene in der Mitte der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts Geborenen. Jedoch die Assoziation zu einem Meisterwerk dokumentarischen Schaffens ist naheliegend. Golzow - ein kleines Dorf im Oderbruch. Es ist 1961, Einschulung, und die 6- bis 7jährigen warten ungeduldig auf ihren ersten Schultag. Winfried Junge und sein Team sind dabei und begleiten bis 2007 die Protagonisten des international bedeutenden Films.

Generation Golzow, das ist meine Generation. Kinder, deren Eltern zum Ende des schrecklichsten aller bisherigen Kriege selbst noch halbe Kinder waren und im östlichen Teil etwas Besseres aufbauen wollten. Kinder, die interessante Zeitumbrüche miterleben konnten. Sie waren zeitgeschichtlich dabei, als das Kolonialsystem zusammenbrach. Sie verfolgten den ersten Flug eines Menschen in's Weltall. Die Durchdringung der Fernsehtechnik in den Haushalten - sie erlebten es hautnah. Die politischen Auseinandersetzungen um Vietnamkrieg, Militärputsch in Griechenland, faschistische Diktaturen auf der iberischen Halbinsel, Rassendiskriminierung und Ku-Klux-Clan in den USA, die 68er Bewegung, Tschechoslowakei 68, die Willi-Treffen von Erfurt und Kassel, Angela Davis und Nelson Mandela und Mikis Theodorakis u.v.a.m. bestimmten unser sich entwickelndes Bewusstsein zu gesellschaftlichen Themen. Namen fallen mir ein wie Ortrun Enderlein, Ralph Pöhland. Auf der einen Seite visafreier Verkehr nach Süden und Osten, und im Westen betonierte sich die Abgrenzung. Am Streit um den politischen Status von Westberlin scheiterte manch mögliche Entwicklung. Ruinen des Krieges verloren in den Städten ihr Dasein und Dörfer bekamen die Wege über's Land, die den Begriff des Stiefelabtreters in das historische Lexikon verbannten. Der Begriff NATO-Plane fällt mir ein. Wir waren es, zu jung für den 4/4-Takt, aber bereit für den richtigen Sound Ende dieser 60er Jahre. E-Gitarren, die rockten, die schrien, die verbrannt wurden. Hammerharte Keyboardklänge und Schlagzeuger, die mehr als den Takt der Frontleute stützten. Blasinstrumente in der Rockmusik, das schmeichelnde Sahnehäubchen. Und tiefe Bestürzung über unsäglich frühe Tode, Keith, Jimi, Janis...

Rockballaden begleiteten die erste Liebe, manchmal auch die zweite. Ausbildung und Beruf, Familie; der Alltag zog bei vielen ein. Der Alltag hielt dann bis 1990. Alle um die 35 Jahre alt. Die danach folgenden Knickpunkte im Leben dieser Generation Golzow prasselten herunter wie ungewollter Hagelschauer in schönsten Frühlingstagen. Schicksale, die die Wende schrieb.

Warum schreibe ich diese Zeilen? Am 2. April 2010 zeigt der RBB ab 20:15 Uhr die zweiteilige Dokumentation der Kinder von Golzow in einer Fassung von 2005 unter dem Titel: Und wenn sie nicht gestorben sind... Wer Authentizität der DDR erleben möchte, hier kann er es.

Es gibt, natürlich, auch eine Website zu der Langzeitdokumentation, zu ihren "Machern", zu den Kindern und anderen interessanten Informationen und Fotos.

www.kinder-von-golzow.de/

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Geschrieben von

luggi

Ein Veggie, der gern Fleischtomaten futtert.Vermeidet Ärztehopping durch gesunde Ernährung.

luggi

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