Zweiter Klasse

Identität Lettland feiert 100 Jahre Unabhängigkeit – nur die russische Minderheit gehört nirgends recht hin. Begegnungen im Nachtzug Riga – Sankt Petersburg
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 25/2018

Am Bahnsteig in Riga wartet ein langer safrangelber Zug auf seine Abfahrt. Es ist früh am Abend. An den Türen haken Schaffner mit orangen Handschuhen Namen auf Listen ab oder informieren die Passagiere. „Sankt Petersburg, ja, weiter vorne!“ Hinter den spitzenbesetzten Gardinen im Zug richten sie sich ein. Es ist ein Waggon der dritten Klasse, „Platzkart“, mit mehr als fünfzig Liegen, die in einem offenen Raum stehen. Einige Passagiere ziehen sich Hausschuhe an, packen Essensvorräte aus – fünfzehn Stunden wird dieser Zug sie durch die Nacht tragen.

Es sind einfache Leute, die so von Riga nach Sankt Petersburg reisen – und überwiegend Angehörige der russischen Minderheit, die heute etwa 25 Prozent der lettischen Bevöl