Die Herren posieren im Reifrock, Seiden-BHs oder nackt in hochhackigen Schuhen, die Damen in Zylinder und Frack. Damen- und Herrenimitatoren waren ab Ende des 19. Jahrhunderts äußerst beliebt. Im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin lächeln sie nun kokett von historischen Starpostkarten.
Das DHM betritt mit der Ausstellung Homosexualität_en Neuland: Gemeinsam mit dem Schwulen Museum zeigt es die Geschichte jener, die abseits der geschlechtlichen Norm lebten und liebten. Verschlüsselt und lückenhaft ist diese Geschichte. Vieles wurde aus Scham und Hass zerstört. Ausgerechnet das DHM, sonst Ausstellungsort bundesdeutscher Gewissheiten, versucht jetzt, Homosexualität aus ihrer gefühlten Geschichtslosigkeit zu heben. Abgesehen von einer Schau im Berlin Museum 1984 ist es das erste Mal, dass ein großes, etabliertes Haus sich an das Thema heranwagt.
Und wie! Schon das Plakat zur Ausstellung soll provozieren. Ein muskelstrotzender Körper mit kleinen Frauenbrüsten und ausgebeultem Slip, der Mund ist rot bemalt. Das Bild schreit nach Einordnung: männlich oder weiblich? 23 Wochen hat die kanadische Performancekünstlerin Heather Cassils Muskeln aufgebaut, um ihre Betrachter derart zu verwirren, um ihnen vor Augen zu führen, wie sehr sie sich geschlechtliche Eindeutigkeit wünschen.
Was bedeutet ein Kuss?
Entsprechend interpretiert das DHM den Titel nicht nur als Suche nach Homosexualität in den Jahrhunderten, sondern stürzt sich in das Dickicht der Identitäten: Von Höhlenmalerei bis zu Judith Butlers Gender Trouble, von der Antike bis Conchita Wurst zeigt es, dass Geschlecht nie bloß dual war, sondern im Spiel von Worten, Gesten, Körpern immer unterschiedlich hergestellt und inszeniert wurde. Als roten Faden will die Ausstellung die Entwicklung des Paragrafen 175 beleuchten, der ab 1872 homosexuelle Handlungen verbot – und sie will herausfinden, wo die deutsche Gesellschaft zwei Jahrzehnte nach seiner Abschaffung steht. Und so neigen sich auf zwei Stockwerken Frauenhälse auf Gemälden zum Kuss, buntbeschmierte Türen zeugen von schlüpfriger Heimlichtuerei in Westberliner Schwulenclubs und Delfindildos erzählen von queerfeministischen Diskursen. Immer wieder erstaunen die Exponate, obwohl sie nur ausführen, was klar ist: Dass Homosexualität alles andere als Mode ist, dass es zu allen Zeiten Menschen gab, die aus dem Korsett der Geschlechterkategorien ausbrachen.
Wie die beiden schnurrbärtigen Soldaten. Verträumt halten sie auf einem Foto Händchen, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Auf einem anderen warten Transfrauen in wallenden Röcken vor dem Institut für Sexualwissenschaften in Berlin. Dort kämpfte der Arzt Magnus Hirschfeld in den 20er Jahren für die Rechte Trans- und Homosexueller, bevor die Nazis sein Archiv zerstörten.
Ein Stockwerk höher wird es endgültig unbehaglich. Ein Elektroschocker steht dort sinnbildlich für all die Versuche der Umerziehung. Homophobe Zitate schallen aus schwarzen Sitzkojen. „Die Regierung sollte Homosexuelle einfach töten“, schlägt ein US-amerikanischer Baptistenprediger vor. Zwei Besucherinnen sitzen in der Koje und knutschen.
Was bedeutet ein solcher Kuss heute an verschiedenen Orten der Welt? In Istanbul ging die Polizei am Wochenende mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Gay-Pride-Demonstranten vor, in neun Ländern steht auf Homosexualität die Todesstrafe. Andernorts wird sie wie nun in den USA mit der „Ehe für alle“ immer mehr Teil einer hippen neuen Bürgerlichkeit. Doch die Kuratoren machen nicht den Fehler, die Normalisierung als letztes Ziel zu feiern. Besonders in der Sektion, die im Schwulen Museum zu sehen ist, denken sie nicht daran, von der Subversivität zu lassen. Auf Videoleinwänden laufen Lesbenpornos, Frauen mit Penis tanzen. Selbstironisch eignen sich hier Künstler die politischen und moralischen Schmuddelecken an, in die Schwule und Lesben gesteckt werden, und schmieden aus ihnen neue Utopien.
Und immer wieder schimmern andere Machtverhältnisse durch. Auf Fotos wehren sich „Krüppel-Lesben“ gegen Diskriminierung von Behinderten, Transgender-Personen gegen Transphobie, Frauen mit „jede Möse ist eine gute Möse“-Schildern gegen schwul-männliche Vorherrschaft in der Szene, schwarze Lesben gegen Rassismus.
Was bringt sie, die Zukunft für LGBTIQ, für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transpersonen, Intersexuelle und alle anderen Queers? Am Ende lässt das Schwule Museum in Videos Menschen sprechen, die sich mit dieser Frage seit Jahren befassen. „Die festgefügten Geschlechterrollen führen auf der ganzen Welt immer wieder zu großen Tragödien“, sagt ein mexikanischer Aktivist. Wenn die queere Szene Keimzelle des Wandels sein will, so glaubt er, müsse sie größer denken, sich mit allen Arten der Unterdrückung befassen.
Homosexualität_en hat diesen Diskurs aufgenommen. Während die Aktivisten von der Zukunft träumen, zeigt das DHM den Besuchern schon mal deren queere kollektive Vergangenheit.
Info
Homosexualität_en DHM und Schwules Museum Berlin, bis 1. Dezember
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