Direkt im Wahllokal, direkt neben der Urne, meinen die Wähler einen „Feind des Volkes“ erkannt zu haben – aufgebracht führen sie die Kamera als ihren Zeugen nach innen. Dort sieht man einen Mann fortgeschrittenen Alters sitzen, vor sich hat er einen Haufen Stimmzettel. Was er mit denen anstellt, ist im Film nicht zu erkennen. Was in der Szene aber sichtbar wird – oder eher: fühlbar, in der Anspannung aller Beteiligten –, ist die Anstrengung, die die Durchführung einer Wahl hier schon in materieller Hinsicht bedeutet. In einem Land wie der Demokratischen Republik Kongo, das bitterarm ist und kaum über moderne Infrastruktur verfügt.
Bevor die Stimmen richtig oder falsch ausgezählt werden können, bevor – könnte man zynisch sagen – an Wahlbetrug zu denken ist, muss es gelingen, zumindest einige Wähler zu den Wahlkabinen und einige ausgefüllte Wahlzettel in die (wie man in einer anderen Szene sieht: bald hoffnungslos übervollen) Urnen zu bugsieren.
Atalaku, ein Dokumentarfilm des jungen Regisseurs Dieudo Hamadi, entstand 2011 kurz vor, während und nach der Kongolesischen Präsidentschaftswahl, aus der der amtierende Staatschef Joseph Kabila als umstrittener Sieger hervorging. Hamadi porträtiert Akteure der Wahl abseits der Schlagzeilen: einen Prediger, der sich im Wahlkampf als Helfer für einen der Kandidaten verdingt und mit einer Handvoll Banknoten in der Nachbarschaft auf Stimmenkauf geht; Mitarbeiterinnen einer NGO, die den Wahlberechtigten den korrekten Umgang mit den Stimmzetteln erklären; eine Band, die für einen Wahlkampfauftritt angeheuert wird.
Zu sehen war Atalaku in einer Reihe im Berliner Kino Arsenal, die den (aus kulturwissenschaftlicher Perspektive) fast schon allzu generischen Titel „Re_Imagine Africa“ trägt. Zwei der stärksten Filme, Beispiele eines neuen, wagemutigen Autorenkinos, das sich nicht mehr allzu sehr an den Erwartungen des europäischen Arthaus-Marktes orientiert, liefen zum Abschluss direkt hintereinander. In beiden geht es auf jeweils sehr unterschiedliche Weise um die Repräsentation von Herrschaft. In Hamadis dokumentarischer Mikrostudie gibt es am Ende zwei Präsidenten. Der unterlegene Kandidat Étienne Tshisekedi akzeptierte die Niederlage nicht und ließ sich, in Eigenregie, ebenfalls vereidigen. Hamadi legt beide Eide auf der Tonspur übereinander – den Bildraum überlässt er weder Kabila noch Tshisekedi; stattdessen zeigt er einen Friedhof.
In Le Président, einem sich in Split-Screen-Montagen entfaltenden, von staubtrockenen Hiphop-Beats unterlegten Multimedia-Agitprop-Essay von Jean Pierre Bekolo, gibt es dagegen nicht einen Präsidenten zu viel, sondern einen zu wenig. Das Staatsoberhaupt, das von Bekolo auf eine kleine Odyssee über staubige Landstraßen geschickt wird und dabei vielleicht sogar einmal seine Ex-Frau im Paradies besucht, bleibt im Film namenlos. Gemeint ist offensichtlich Paul Biya, der seit 1982 quasidiktatorisch herrscht – über das Land Kamerun, aber auch, wie Bekolo einmal meinte, über die Psyche der dort lebenden Menschen, die sich ein Leben ohne oder nach Biya kaum vorstellen können. Der Film mobilisiert die Mächte der Fiktion, eröffnet einen Möglichkeitsraum: Was wird denk-, sag-, fühlbar, wenn es den Präsidenten nicht mehr gibt? Nicht mehr diesen einen oder vielleicht sogar: gar keinen mehr?
Lukas Foerster gab kürzlich mit heraus: Spuren eines Dritten Kinos. Zu Ästhetik, Politik und Ökonomie des World Cinema
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