Ein eindeutiger Held

Kino Clint Eastwood macht mit der Verfilmung des Wunders vom Hudson, was der Pilot „Sully“ gemacht hat: seinen Job
Ausgabe 48/2016

Wieder und wieder rufen die Flugbegleiterinnen unmittelbar vor der unsanften, unplanmäßigen Landung des US-Airways-Flugs 1549 im Hudson River: „Heads down, stay down!“ Der bestimmte, aber gleichzeitig beflissen-freundliche Tonfall, mit dem sie kurz vorher die Passagiere begrüßt und den sie auch noch aufrechterhalten hatten, als sie beim ersten Anzeichen von Turbulenzen beschwichtigend durch die Sitzreihen gelaufen waren, ist urplötzlich in eine harsche, quasimilitärische Befehlsstimme umgeschlagen, die keinen Widerspruch duldet. Köpfe runter, unten bleiben.

Keine leichte Geschichte

Dieser Wechsel im kommunikativen Modus lässt uns vom sicheren Kinosessel aus nachvollziehen, wie die millionenfach erprobten sozialen Rituale zivilisatorischer Alltagsroutinen im Angesicht der Katastrophe zusammenbrechen und einem Ausnahmezustand weichen – der freilich gleichfalls mittels eingeübter Regeln hergestellt und stabilisiert wird. Schuld an der kontrollierten, sozusagen von allen Seiten umzingelten Grenzerfahrung, als die Sully einen gerade noch einmal verhinderten Flugzeugabsturz darstellt, trägt kein Terroranschlag, auch keine zwischenmenschliche Tragödie oder das Versagen eines labilen Einzelnen, noch nicht einmal eine die menschlichen Maßstäbe übersteigende Naturgewalt. Sondern allein der pure Zufall: ein Vogelschwarm, der sich zur falschen Zeit am falschen Ort befand und dessen Kollision mit einem Airbus A320 am 15. Januar 2009 zu jenem „Wunder auf dem Hudson“ führt, dem Clint Eastwood seinen aktuellen Film widmet.

So viel dürfte damals auch von Deutschland aus mitbekommen haben, wer nur einigermaßen regelmäßig die internationalen Nachrichten verfolgt: Es geht alles gut aus. Alle 155 Menschen an Bord der Maschine, die, infolge der Vogelkollision beinahe direkt nach dem Abheben beider Triebwerke beraubt, inmitten des Hudson River notlanden muss, können gerettet werden. Zum Helden und in der Folge zum Medienstar und zweifachen Buchautor avanciert der Pilot, der dem Film seinen Titel gibt: Chesley B. „Sully“ Sullenberger, ein kurz vor der Pensionierung stehender Routinier. Tom Hanks, wie stets die Ruhe selbst, verkörpert ihn für Eastwood – eine naheliegende, aber eben auch ziemlich ideale Besetzung.

Es ist gar nicht so leicht, aus einem Ereignis wie dem Wunder vom Hudson einen Hollywoodfilm zu machen, also einer Form des Erzählkinos gerecht zu werden, die mit Figuren und dramatischen Bögen operiert. Zum einen steht, siehe oben, von Anfang an fest, dass alles gut ausgeht; zum anderen gibt es zwar einen vorzüglichen Helden, aber keine Widersacher. Eine Weile sieht es so aus, als sollte in der fiktionalen Version die Rolle des Bösewichts eine Untersuchungskommission übernehmen, die auf Druck von Versicherungsunternehmen nachzuweisen versucht, dass zum Zeitpunkt des Triebwerkausfalls eine Rückkehr zum Flughafen noch möglich gewesen wäre und Sully deshalb fahrlässig gehandelt habe. Letztlich gibt das Verfahren dem Film aber nur einen Rahmen und die Erzählperspektive vor: Die Geschichte setzt wenige Tage nach der Notwasserung ein und beschreibt jene Phase, in der es darum geht, das Ereignis über die Zeitungsschlagzeilen des Tages hinaus längerfristig mit Sinn aufzuladen.

Dem Titel zum Trotz unternimmt Eastwood nicht den Versuch, Sully zu einem klassischen Biopic auszubauen. In American Sniper, dem faszinierend ambivalenten Vorgänger- und in mancher Hinsicht Zwillingsfilm, musste er seinem Publikum den Helden noch aufwendig vermitteln und in ausführlichen Rückblenden nachzeichnen, wie Chris Kyle vom texanischen Hinterwäldler zum „tödlichsten Scharfschützen in der Geschichte der US-Armee“ heranwuchs. Sullys Heldentum dagegen bedarf keiner ausführlichen Kontextualisierung, weil es ganz in seinen Handlungen aufgeht – fast schon in seinen Handbewegungen, insbesondere in dem sicheren Griff um den Steuerknüppel noch in der Extremsituation. Ein paar Telefonate mit seiner Ehefrau Lorraine (Laura Linney), zwei kurze Erinnerungen an prägende Flugerlebnisse aus der Jugend und der Militärzeit, das war’s. Chesley Sullenberger ist, im Sinne eines uramerikanischen Pragmatismus, nichts weiter als ein Mann, der seinen Job macht. Viel mehr braucht ein gleichfalls uramerikanischer, von Eastwood mit unnachahmlicher Effizienz inszenierter Film wie Sully über ihn deshalb auch nicht zu wissen.

Hochhäuser im Hintergrund

Der Rest ist, wie es im Film selbst heißt, dann vor allem eine Frage des Timings: Nach dem Ausfall der Maschinen blieben dem Piloten und seiner Crew nur wenige Sekunden, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wieder und wieder kehrt der Film zu diesen entscheidenden Momenten zurück, beleuchtet sie von allen Seiten, einmal sogar als Computersimulation. Indem er zusätzliche Akteure ins Spiel bringt – unter anderem den Kontrollturm der Luftsicherheit, die Besatzung der glücklicherweise in Minutenschnelle aktivierten Rettungsschiffe, eine Handvoll hinzuerfundener Flugzeugpassagiere –, baut Eastwood seinen Film auf elegante und unaufdringliche Weise zum Porträt einer Gesellschaft aus, in der im Zweifelsfall eben doch alle entscheidenden Räder effektiv ineinandergreifen.

Am Beginn steht freilich ein kontrafaktisches Worst-Case-Scenario, das sich gleich darauf als Albtraum des Piloten entpuppt: Weil er sie nicht unter Kontrolle bringen kann, kracht die Maschine in eines der vielen Hochhäuser Manhattans, womit von Anfang an 9/11 als untergründig anwesende Zweitreferenz aufgerufen ist.Nicht zuletzt geht es Eastwoods Heldenfilm Sully nämlich darum, New York und Passagierflugzeuge wieder miteinander zu versöhnen.

Info

Sully Clint Eastwood USA 2016, 96 Minuten

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