Jenseits von jedem

Wiedervorlage Sirtaki, Wurstbrote, Fahrräder – Eindrücke vom Filmfestival "16. Hofbauer-Kongress" in Nürnberg
Ausgabe 02/2017

Was für ein Schlusssatz: „Sie waren schon lange tot, bevor sie gestorben sind.“ Gesprochen wird er von einer der wenigen Überlebenden eines grandios überzeichneten griechischen Melodrams, das in Deutschland 1966 unter dem leicht beknackten, aber nicht komplett irreführenden Titel Syrtaki – Erotik ohne Maske in den Kinos zu sehen war. Da der Film nie auf DVD oder VHS erschienen ist, dürfte ihn in den vergangenen fünf Jahrzehnten außerhalb Griechenlands kaum jemand zu Gesicht bekommen haben.

Am Nachmittag des 7. Januars 2017 erlebt die Leidensgeschichte der jungen Maro im Rahmen des außerordentlichen Kongresses des Hofbauer-Kommandos ihre Wiederaufführung. Und bringt einen bis auf den letzten Platz gefüllten Kinosaal zum Kochen. Besonders während einer Szene, in der es der Hauptfigur gelingt, sich von den patriarchalen Fesseln zu befreien. Betrunken steigt Maro auf einen Kneipentisch und tanzt sich in eine Ekstase, die ums Haar die Grenzen der Leinwand sprengt.

Die Hofbauer-Kongresse waren reine Liebhaberveranstaltungen. Eine Handvoll Filmverrückte schließt sich für ein paar Nächte im Nürnberger KommKino ein und schaut Filme, von deren Existenz der Rest der Welt nicht einmal etwas ahnt. Inzwischen hat sich daraus ein veritables Filmfestival entwickelt, das am ersten Januarwochenende 2017 bereits in die 16. Runde ging. Wobei sich seit den Anfängen nur der Maßstab geändert hat. Inzwischen reisen mehrere Dutzend Filmverrückte aus dem deutschsprachigen Raum an, um sich in Nürnberg die Nächte um die Ohren zu schlagen. Das Erfolgsprinzip ist simpel. Wer einmal kommt, kommt wieder und bringt ein paar Freunde mit. So sollten eigentlich alle Festivals funktionieren.

Längst sind die Kongresse ein, wenn nicht das Zentrum deutscher Cinephilie im Geheimen. Der Veranstaltungstitel verweist auf ein zentrales Interesse der Zusammenkunft. Ernst Hofbauer war in den 70er Jahren der wichtigste Regisseur der Schulmädchen-Report-Reihe. Die Kongresse haben sich der nicht immer schmerzfreien, aber durchweg faszinierenden Aufgabe verpflichtet, das bundesdeutsche Sex- und Kolportagekino der 60er und 70er Jahre einer Wiedervorlage zu unterziehen.

Auch dieses Jahr war manches aus diesem Bereich zu sehen, etwa ein Film von Jürgen Enz, einem weiteren Säulenheiligen des Hofbauer-Kommandos: Verbotene Spiele auf der Schulbank ist ein Schulmädchenporno aus dem dunklen Herzen der deutschen Mittelschicht.

Wo das erotische Kino sonst auf das Imaginäre zielt, auf Wunscherfüllungsfantasien und Eskapismus, inszeniert Enz mechanischen Sex vor den unglamourösesten Kulissen, die man sich vorstellen kann. Konsterniert sitzt man im Kino. Das ist, bis in die fusseligen Texturen der Tapeten, unsere Welt und doch ein anderer Planet. Ein Film wie Verbotene Spiele auf der Schulbank wird noch bei jeder Diskussion ums bedrohte „Filmerbe“, bei allen jährlich neu ausgerufenen „Digitalisierungsoffensiven“ unter den Tisch fallen. Deutsche Filmgeschichte, das ist aber eben auch, wenn Gymnasiastinnen auf einem Bootssteg sitzend ihre Lehrer zu verführen versuchen und dabei Wurstbrote verzehren.

Die Organisatoren der Kongresse – zwei junge Cinephile, die das Festival bis heute fast komplett in Selbstausbeutung auf die Beine stellen – spannen ihre Netze weit. Neben teutonischem Wurstbrotgebumse läuft dann eine maximal alberne Erotikkomödie aus Brasilien oder ein wuchtiges Frauenmelo aus Griechenland. Dieses Jahr waren außerdem vier Filme aus der Filmfabrik des Schmuddelkino-Großmeisters Joe D’Amato zu bewundern; unter anderem Dirty Love, ein schwitzig-meditativer, gnadenloser Tanzfilm, in dem die Heldin lernen muss, ihren Körper rückstandslos in Kapital zu übersetzen. Aber einmal bekommt sie aus heiterem Himmel ein Fahrrad geschenkt. Alles ist möglich auf den Hofbauer-Kongressen.

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