Eine Institution im US-amerikanischen Networkfernsehen, das CBS-Newsmagazin 60 Minutes, geriet 2004, in der Hochphase des US-Präsidentschaftswahlkampfs, in einen Skandal. Zunächst betraf er nur die Vergangenheit des amtierenden und bald darauf im Amt bestätigten Präsidenten George W. Bush. Bush war zwischen 1968 und 1974 Mitglied der texanischen Nationalgarde gewesen und hatte sich dort zum Piloten ausbilden lassen – ein langwieriges Training mit dem praktischen Nebeneffekt, dass Bush nicht zum Kampfeinsatz nach Vietnam abberufen werden konnte. Ein Beitrag der CBS-Sendung präsentierte Kopien von Aktenvermerken und Zeugenaussagen, aus denen sich schließen ließ, dass der spätere Politiker schon bei der Vergabe der begehrten Ausbildungsplätze nicht aufgrund des eigensten Verdienstes, sondern der Fürsprache einflussreicher Bekannter zum Zug kam; und dass er es mit dem Training, bisweilen mit der bloßen Anwesenheitspflicht, nicht allzu genau genommen hat.
Mit anderen Worten: CBS wollte Bush einen Strick daraus drehen, dass er in den späten 60er und frühen 70er Jahren, wie schätzungsweise 95 Prozent seiner Altersgenossen, wenig Lust auf das Gemetzel in Vietnam hatte, dass er sich lieber, mit der Unterstützung von Familienfreunden, auf Militärbasen und Flugplätzen in der US-Provinz herumtrieb; und dass der seinerzeit recht partyaffine junge Mann die Uniform zwischendrin eventuell einmal ganz an den Nagel gehängt haben könnte.
Mit Sicherheitsabstand
Noch einmal anders ausgedrückt: CBS machte Bush ausgerechnet die vielleicht einzige Phase seiner Biografie zum Vorwurf, in der er – Nepotismus hin oder her – eindeutig auf der richtigen Seite stand, weil er die auch individualpsychologisch rundum nachvollziehbare Entscheidung getroffen hatte, sich dem Mitwirken an einem moralisch hochgradig fragwürdigen Krieg zu entziehen – und stattdessen das Leben zu genießen.
Dass diese Vorwürfe möglicherweise nicht einmal komplett zutreffen oder zumindest auf einer unsicheren Beweislage basieren, macht die Affäre noch einmal fragwürdiger: Konkurrenzsender, konservative Blogger und vielleicht im Hintergrund das Weiße Haus selbst begannen in Windeseile, den CBS-Bericht zu attackieren. Die Authentizität einzelner Akten wurde angezweifelt, Zeugen zogen ihre Aussagen zurück, die verantwortliche Redakteurin Mary Mapes wurde entlassen, dem langjährigen Moderator Dan Rather der Rücktritt zumindest nahegelegt.
Ein Schlamassel, anhand dessen man sicherlich über die moderne Mediengesellschaft und deren Verquickung mit politischen und ökonomischen Interessen nachdenken könnte. Nur: Wie genau, darauf gibt zumindest der Kinofilm keine Antwort, der jetzt mit einem Sicherheitsabstand von fast zwei kompletten Obama-Legislaturperioden der CBS-Angelegenheit nachgeschoben wird.
Der Moment der Wahrheit von Zodiac-Autor James Vanderbilt basiert auf einem Buch, in dem Mapes 2005 ihre Sicht der Dinge dargelegt hatte. In der Filmversion übernimmt die Rolle der geschassten Journalistin Cate Blanchett. Sie kultiviert mit einigem Aufwand eine heisere, fast bellende Medienprofistimme und den zugehörigen resoluten, manchmal ins Fahrige abgleitenden Machergestus. Das ist die Art von Power-Performance, der man eine halbe Stunde lang sehr gern zuschaut, die auf die Dauer aber ermüdet. Immerhin strengt Blanchett sich an. Dan-Rather-Darsteller Robert Redford dagegen, ewiges Aushängeschild des liberalen Hollywood, versucht nicht einmal mehr zu simulieren, dass es bei seinem Mitwirken um etwas anderes geht, als mit seinem Gesicht für die richtige politische Gesinnung des Films zu bürgen.
Ohne echten Mehrwert
In den Nebenrollen werden so großartige Darsteller wie Dennis Quaid und Elisabeth Moss als bloße zeithistorische Stichwortgeber verschenkt. Der Sprung ins Fiktionale liefert auch sonst kaum Mehrwert. Einige wenige Szenen, die eng am prozeduralen Klein-Klein des investigativen Journalismus bleiben, entwickeln einen gewissen Sog: Wird der lange schwer fassbare, endlich telefonisch dingfest gemachte Zeuge die Dokumente authentifizieren? Wird es den Reportern gelingen, in den Aktenbergen ein „hochgestelltes th“ zu finden, jenes typografische Sonderzeichen, von dem die Gegenseite behauptet, dass es in den 70er Jahren kaum gebräuchlich war?
Der Rest ist wohlfeile linksliberale Empörung über finstere Mächte, die in irgendwelchen Konzernzentralen 2004 durchaus die neokonservativen Fäden gezogen haben mögen und das, wer weiß, noch heute tun – denen aber schon 60 Minutes offensichtlich nicht allzu gefährlich geworden ist. Und die Vanderbilts Film mit seinem kreuzbraven, gelegentlich mit ungelenk konstruierten Seifenoper-Elementen unterfüttertem Dokudramatonfall erst recht nicht dingfest machen kann.
Info
Der Moment der Wahrheit James Vanderbilt Australien/USA 2015, 125 Minuten
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