Das ist doch mal ein passendes Kürzel für eine Raumfahrtorganisation: P.O.M.P. Das Philippines Official Moon Project hat seinen Sitz überraschenderweise nicht in Südostasien, sondern auf einem Bauernhof in Oberbayern. Dort bastelt Kidlat Tahimik, Regisseur und Hauptdarsteller des Films Who Invented the Yo-Yo? Who Invented the Moonbuggy?, unterstützt von einigen fröhlich herumtollenden Kindern an einer Mondrakete, die mit Zwiebelkraft betrieben wird. Man zweifelt, wenn man sich diesen gleichzeitig mit traumwandlerischer Sicherheit und gedankenschneller Leichtigkeit inszenierten Film anschaut, keine Sekunde daran, dass Kidlat Tahimik mit seiner Unternehmung Erfolg haben wird.
Es ist kaum zu fassen, dass diese im Jahr 1978 gedrehte Extravaganz zwischen Science-Fiction-Fantasie, audiovisuellem Tagebuch, polithistorischem Essay und Neoheimatfilm (wenn Tahimik nebelverhangene Wiesen und Felder überquert, fühlt man sich fast an die Landschaftsmalerei der Romantiker erinnert), erst im Jahr 2016 ihre Deutschlandpremiere erlebt. Eigentlich müsste Moonbuggy längst als Schlüsselwerk nicht nur des philippinischen, sondern auch des Neuen Deutschen Kinos in jedem halbwegs ambitionierten Filmkanon vertreten sein. Aber die Filmgeschichtsschreibung hatte schon immer Probleme mit hybriden Querschlägern, erst recht, wenn sie ihren Ursprung außerhalb Europas und Nordamerikas genommen haben. Wobei die Frage nach dem Ursprung in diesem Fall ja gerade auf dem Spiel steht.
Waldi verkaufen
Wie dem auch sei, es bedurfte der gerade im Berliner Kino Arsenal präsentierten Retrospektive, um den Moonbuggy wieder nach Deutschland zu holen. Kidlat Tahimik ist ein großer, (beinahe) vergessener Vagabund des Weltkinos. Zum Filmemachen war er über Umwege gekommen, in den 60er Jahren hatte er in den USA Wirtschaft studiert, anschließend in Paris für die OECD gearbeitet.
Ein paar Jahre später lebte er plötzlich in München, schlug sich unter anderem als Bauarbeiter durch, verkaufte Maskottchen der Olympischen Spiele 1972 („Waldi“), übernahm eine Nebenrolle in Werner Herzogs Jeder für sich und Gott gegen alle. Kurz darauf begann er, eigene Filmprojekte zu verwirklichen. Inzwischen sind fünf (zum Teil sehr) lange und eine Reihe kürzerer Arbeiten erschienen. Keine gleicht der anderen, und doch sind alle unzweifelhaft Teil desselben Projekts, fast schon derselben Kosmologie.
Kidlat Tahimiks Debüt Der parfümierte Alptraum (1977), der den Weg eines philippinischen Jeepney-Fahrers ins gelobte Europa nachzeichnet, hat einige Prominenz erlangt – auch dank eines nicht unumstrittenen Essays des Kulturwissenschaftlers Fredric Jameson, der in den flirrenden Acht-Millimeter-Bildern eine spezifisch „geopolitische Ästhethik“ identifiziert. Doch schon das bitterböse Zweitwerk Turumba (1981), in dem ein philippinisches Dorf in den Weltmarkt zwangsintegriert wird und Holzpferdchen fürs Münchner Oktoberfest zu produzieren beginnt, ist schwer aufzutreiben. Beinahe der gesamte Rest des Werks war in den letzten paar Jahrzehnten schlichtweg unsichtbar.
Solitär und mehr
Im äußerst produktiven, aber auf kommerzielle Genrefilme fixierten philippinischen Kino der 70er und 80er war für einen wie Tahimik sowieso kein Platz. Aber auch der internationale Kunstkinobetrieb konnte wenig anfangen mit den spielerischen Lowtech-Epen, in denen politische Kritik untrennbar ist von autobiografischen Impulsen und versponnenen, oft direkt Traditionen des fantastischen Films aufrufenden Fiktionalisierungen.
Im vergangenen Jahr tauchte Tahimik im cinephilen Bewusststein wieder auf – mit einem Meisterwerk. Sein jüngster und in der geschichts- wie weltumspannenden Erzählung vielleicht ambitioniertester Film Balikbayan #1 Memories of Overdevelopment Redux III wurde im Forum der Berlinale völlig zu Recht mit dem Caligari-Filmpreis ausgezeichnet. Im Anschluss an die Vorführung in Berlin startet Balikbayan am 10. März deutschlandweit in den Kinos.
Tahimik kommt für die Retrospektive nach Berlin, was erwähnenswert ist, weil seine Performances vor, nach und gelegentlich während Filmvorführungen berühmt sind. Die im besten Sinne filmarchäologische Werkschau Kosmos und Alptraum erschöpft sich nicht in der Präsentation eines Kinosolitärs. Die Kuratoren Tobias Hering und Tilman Baumgärtel stellen den Arbeiten eine Reihe von „Kontextfilmen“ zur Seite, die der Originalität Tahimiks nichts nehmen, sie aber filmhistorisch zu verorten helfen. Filme von afrikanischen, japanischen, deutschen Zeitgenossen stehen auf dem Programm, vor allem aber frisch restaurierte Klassiker des philippinischen Kinos. Ein Höhepunkt der Auswahl ist Himala (1982): Entlang der Geschichte einer jungen Frau, die über Nacht zur Wunderheilerin wird, enwirft Regisseur Ishmael Bernal ein Sozialpanorama zwischen wütender Religionskritik und ekstatischer Kinowahrheit.
Info
Kosmos und Alptraum. Die Filme von Kidlat Tahimik Bis 20. März im Berliner Arsenal und von 14. bis 23. März im Münchner Werkstattkino, kidlattahimik.de
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