Bernie Sanders’ Kampagne begann im Frühsommer 2015 mit einem Widerspruch, der sich bis heute nicht aufgelöst hat: „Join the revolution“, lockte der selbsternannte Sozialist alle politfrustrierten Amerikaner, damit die ihn zum Präsidenten machten. Anführer eines unbeweglichen Staatsapparats, umzingelt von Vetokräften, dauerverpflichtet zur Diplomatie – und gleichzeitig ein Revolutionär? Das ist so, als würde man die Rettung der Musikindustrie versprechen und dann den ältesten Vinylladen der Welt übernehmen. Man sollte Wahlkampfrhetorik ja nicht zu ernst nehmen, und doch zeigte sich hierin von Beginn an Sanders’ Dilemma.
Der weiße, manchmal weise Mann wurde leider nicht Präsident, nicht mal Präsidentschaftskandidat, stattdessen zog ein Faschist an allen vorbei. Doch jetzt, da sich zügig Alternativen zu Trump formieren sollten, stellt sich erneut die Frage nach Sanders’ Rolle: Will er Anführer einer außerparlamentarischen Opposition sein? Oder Gesicht einer stagnierenden Partei?
„Das größte Problem mit Bernie ist am Ende, dass er als Demokrat antritt, als Mitglied einer Partei, die nicht nur vor rechter Demagogie kapituliert hat, sondern auch von einer kleinen Gruppe von Millionären und Milliardären kontrolliert wird“, schrieb die Bürgerrechtlerin Michelle Alexander im Februar, als Sanders noch im Wahlkampfrausch war. Dass er sich gegen die unabhängige Kandidatur entschied, wurde ihm nur vereinzelt vorgeworfen, zu offensichtlich war, dass der blaue Parteimantel entscheidender Faktor für die Mobilisierung von Millionen Menschen war. Wer war noch mal Jill Stein?
Der 75-jährige Sanders will parteiloser Senator für Vermont bleiben und sich so seine Unabhängigkeit bewahren. Gleichzeitig spricht er über die Zukunft der Demokraten, als wäre er ihr Chef. In einem Moment sagt er: „Die müssen ...“, im nächsten: „Wir sollten ...“ Sein Buch, das gerade erschienen ist, heißt genau wie seine neue Kampagne: Our Revolution. Die, wir, uns – wer?
Der Urbrooklyner hat das politische Spektrum und den Diskurs im Land erweitert, doch er war und ist nicht der radikale Außenseiter, zu dem er gemacht wird. In seinen Reden bezieht sich Systemkritiker Sanders immer wieder auf den New Deal der 30er Jahre, man könnte meinen, Präsident Roosevelt hätte damals den Kapitalismus abgeschafft, anstatt ihn zu stabilisieren. In jedem dritten Post-Wahl-Tweet schwört Sanders, dass er keine Kompromisse eingehen will. Doch er begann seine Karriere als Gegner der Demokratischen Partei und wollte später deren Hauptmann sein. Er beschimpfte Hillary Clinton monatelang als Wall-Street-Herzblatt und trommelte anschließend für sie, „aus Überzeugung“. Er dämonisierte Donald Trump, erklärte aber nun, er wolle ihn unterstützen, solange der sich an bestimmte Versprechen halte. Ein ewiges Wanken zwischen Idealismus und Diplomatie, zwischen Graswurzelaktivismus und Baumkronenthron.
„Auf welcher Seite steht die Demokratische Partei?“, fragte Sanders die Studenten der George Washington University vorige Woche. Und auf welcher Seite steht er selbst? Seine Popularität ist bis heute immens, speziell bei den Jüngeren. Seine Revolution wird er kaum in das Korsett dieser grandios unrevolutionären Partei quetschen können. Jetzt, da Sanders Millionen auf seiner Seite hat, jetzt, da es gilt, einen Faschisten zu bekämpfen, wäre der Zeitpunkt, eine echte Bewegung zu starten, eine echte Alternative anzubieten.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.