Die Besetzungslogik ist genial. Der indifferente Blick, den Ryan Gosling auf die Welten wirft, in die er seit Jahren gepflanzt wird, konnte im Grunde auf nichts anderes hinauslaufen als darauf, irgendwann endlich einen echten Klon zu spielen, endlich nur noch Fassade zu sein. Auch Harrison Ford tut seit einiger Zeit nichts lieber, als als gealterte Variante seiner selbst aufzutreten (man denke an die Star-Wars- und Indiana-Jones-Spin-offs, aber auch an die eher langweilige Schnulze Für immer Adaline, wo er als ehemaliger Liebhaber einer aus dem Biorhythmus gefallenen Blake Lively aufkreuzt).
Und witzig ist eigentlich auch, dass die Schweizer Schauspielerin Carla Juri, die vor ein paar Jahren noch – in der Verfilmung von Charlotte Roches hygieneskeptischem Roman Feuchtgebiete – ihre Scheide über die Oberflächen einer öffentlichen Toilette rieb, nun in Blade Runner 2049 ihr komplettes Dasein ausgerechnet in einem keimfreien Raum fristet, wo sie als Erinnerungsbastlerin für einen gigantischen Replikanten-Konzern freelanct (Da Replikanten 2049 technisch hochgerüstet sein sollen, wird ihnen eine künstliche Biografie auf die Festplatte gespielt, an die sich zum Zwecke der Erinnerung anschließen lässt).
Saurer Smog, immer noch
Regisseur Denis Villeneuve – das kann man gleich mal schlussfolgern; ganz nüchtern, ohne zu hyperventilieren, nun läuft der Film ja auch schon eine Weile – hat die Sache im Griff. Und die Sache ist schließlich keine kleine. Die Sache ist die Fortsetzung zu einem der schwergewichtigsten Filme der Kinogeschichte: Ridley Scotts düster-cyberpunkige Bioethik-Parabel Blade Runner von 1982 über den legendären Detective Deckard (ein knackiger Harrison Ford), der mit dem Auftrag, gefährlich emanzipatorische, das Gleichgewicht der Welt in Frage stellende Replikanten abzuknallen, durch ein siffig-überbevölkertes L. A. latschte und sich dabei in eine Klon-Frau namens Rachael verliebte.
Die Geschichte von damals spielte 2019. Der Kapitalismus hatte die Welt eingematscht, Polizeiautos schwirrten fiepend durch die schnurverregnete Atmosphäre, nahezu alle Gebäude waren unwohnlich – es war keine schöne Welt. Und heute, also 30 Jahre später, 2049, hat sich daran nur graduell etwas geändert.
Immer noch ist Kalifornien in sauren Smog gehüllt. Gigantische Werbehologramme behaupten sich in Coca-Cola-Farben gegen den Dampf, der über den Städten liegt. Polizeiautos fliegen martialische Flaktürme an. Und immer noch operieren die Blade Runner: Polizisten, die aufmüpfige Replikanten erschießen und somit die Mensch-Maschine-Grenze sauber halten. Allen voran ist da K (Ryan Gosling); der ist zwar selbst ein Klon, er gehört aber einer als sicher vor Ausrastern geltenden Produktionsserie an. Von seiner whiskey-süchtigen Chefin (Robin Wright) wird er auf eine heikle Mission geschickt. Offenbar gelang es nämlich einer Replikantin vor etwa 30 Jahren auf natürlichem Wege ein Kind zu gebären. Nicht vorzustellen, was wäre, wenn das herauskäme und sich wiederholen würde. Das Gleichgewicht der Welt und so. Replikanten sind Arbeitssklaven, sie gehören nicht zum Menschengeschlecht.
Natürlich – da verrät man jetzt nicht zu viel – führt die Spur dieser quasi-unbefleckten Empfängnis zurück zu Rachael und Deckard, zurück zum Originalfilm also, in dessen letzter Szene sich das Liebespaar auf die Flucht begibt. K muss Deckard in einem durch Radioaktivität orange gefärbten Las Vegas aufspüren und dabei zugleich mit einer gewaltigen Identitätskrise klarkommen: Die Kindheitserinnerung an ein handgeschnitztes Holzpferd – war sie gelebt oder nur programmiert? Ist K womöglich selbst der Sohn einer Mutter und nicht das Produkt eines Klonkonzerns? Es beginnt sich krisenhaft zuzuspitzen an der Demarkationslinie zwischen Mensch und Maschine – was überdies auch abzusehen war, nachdem der allmachtsfantasierende Replikantenhersteller Wallace (Jared Leto) immer übermenschlichere Klone aus dem Lehm herausformte. Die tollste Zuspitzung findet diese Krise allerdings in einer Kussszene – mehr sei nicht verraten.
Auf Blade Runner 2049 hatte die Welt nur gewartet – zumindest ist es dem Marketing-Apparat hinter der Produktion gelungen, genau dieses Gefühl zu verbreiten: einen Film, der schon als Hype an den Start gehen will. Mit Villeneuve (Arrival, Sicario, Prisoners) steht ein Name über dem Projekt, der viele verschiedene Kinogänger an die Kassen zieht. Umso sympathischer ist es deshalb, dass Villeneuve mit dieser Fortsetzung nicht den Star-Wars-Weg geht und ein mit Nostalgie- und faden Aha-Effekten ausgeschmücktes Blockbustertempo anschlägt, sondern dass er, im Gegenteil, äußerst akkurat darum bemüht ist, in den geradezu anti-eskalativen – sinnvollerweise langatmig zu nennenden – Rhythmus des Originals zu finden.
Die Mensch-Maschine
Dieser Film ist nicht nur Fortsetzung, er ist selbst eine Weise des Sehens, eine Weise, den Originalfilm noch mal zu schauen. Manchmal sehen wir Szenen von damals, manchmal werden sie neu aufgeführt; K sieht sie sich beispielsweise auf Computerbildschirmen an. Das Original ist Vorgänger, es ist aber auch Artefakt. Es geht nicht darum, einfach Ikonen zu reproduzieren, um Fangemeinden ins Gebet zu locken. Es geht darum, durch die überbordende, dröhnende, zentnerschwere, stets an der Grenze zwischen dem Monströsen und Sakralen lagernde Audiovisualität Villeneuves hindurch etwas von diesem bestimmten 1980er-Jahre-Kino zu aktualisieren: die Zeitlichkeiten, ja die Langsamkeiten, die Filmerfahrung.
Und genauso wie sich die Demarkationslinie zwischen Mensch und Maschine auflöst, verschwindet die zwischen dem Kino von Scott und dem von Villeneuve. Dessen großes Meisterwerk ist dieser Film nun nicht geworden; das kommt schon noch. Blade Runner 2049 – Gott sei Dank lässt sich das alles bescheidener denken, als es die PR-Kampagnen trompeteten – ist vor allem eine saubere Arbeit und in diesem Sinne eine durchaus beeindruckende Studie über ein Kino, das 35 Jahre zurückliegt.
Und ein Film, der zuerst genau weiß, dass dem Geheimnis der Replikanten von damals heutzutage nicht nachzuspüren ist, ohne Ryan Gosling zu besetzen.
Info
Blade Runner 2049 Denis Villeneuve USA/GB/KAN 2017, 163 Minuten
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