Jedes Semester stellt sich aufs Neue die Frage, warum Universitätsseminare so oft so schlecht sind. Zur Klärung sei die Lektüre von Richard Münchs Texten empfohlen. Zwischen 2007 und 2011 hat der inzwischen emeritierte Soziologieprofessor, verteilt über drei Bücher, mehr als 1.000 Seiten über jüngste Strukturreformen der deutschen Universitäten veröffentlicht. Diese Reformen sind verbunden mit Buzzwords wie Exzellenzinitiative oder Bologna-Prozess. Man hört sie tagtäglich und kann ihre Bedeutung doch nicht ad hoc in ein, zwei Sätzen zusammenfassen.
Es braucht Vermittlungsarbeit. Und die leistet Münch unermüdlich. In seiner akademischen Karriere hat der Wissenschaftler, der am 13. Mai 70 Jahre alt wird, in erster Linie theoretische Soziologie betrieben. Etwa ab den 90er Jahren arbeitete er vermehrt an Gegenwartsdiagnosen. Sein zunächst wichtigstes Thema war der europäische Einigungsprozess. In der Studie Die Konstruktion der europäischen Gesellschaft (2008) stellt er juristische und sozialwissenschaftliche Expertendebatten dar, die danach fragten: Wie kann die europäische Integration mit dem Ziel vorangetrieben werden, dass ihre Institutionen so demokratisch wie möglich sind? Immerhin Jürgen Habermas, Deutschlands einziger Weltstar der Philosophie, hat die Monografie Münchs gewürdigt und seinem populären Essay Zur Verfassung Europas zu Grunde gelegt.
Wie langweilig!
Auch wenn die Bücher Münchs zu den Hochschulreformen keine stilistischen Meisterwerke sind – sie bieten einen hohen Erkenntnisgewinn für jene, die bereit sind, sich von ihnen nicht langweilen zu lassen.Gerade Studierende sollten diese Sachen lesen, denn Münchs Perspektive bietet viele Anknüpfungspunkte für die je eigenen schlechten Erfahrungen mit dem Universitätsbetrieb. Hier wird die Anschauung zum Begriff erhoben, und eine Politisierung wird geradezu automatisch stattfinden. Münch kritisiert etwa die Einführung standardisierter Bewertungen. Ihm zufolge haben die traditionellen Formen gegenseitiger Kontrolle im Wissenschaftsbetrieb recht gut funktioniert. Sie durch sogenanntes New Public Management zu ersetzen, ein modisches Verfahren des Neoliberalismus, das den vermessenen Anspruch hat, sämtliche Formen staatlicher Institutionen auf der ganzen Welt am effektivsten verwalten zu können, bringe schlicht keinen Fortschritt. Das freie Denken, dem sich die Universitäten eigentlich verschreiben sollten, wird in der uferlosen Flut der Formulare schlicht unmöglich gemacht. Für jedes Phänomen gibt es eine standardisierte Übersetzung – wie langweilig!
Zudem kritisiert Münch die strengen Hierarchien im Universitätswesen. Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen mächtigen Professoren und ihnen untergebenen, sogenannten Forschungssklaven mache den Beruf des Wissenschaftlers in Deutschland extrem unattraktiv. Aufstiegschancen existieren kaum, für lustvolle Forschung ist kein Platz. Nach Vorbild des US-Systems setzt sich Richard Münch für die Schaffung zahlreicher neuer Juniorprofessuren ein. Auch die damit einhergehende Minderung der professoralen Autorität würde er begrüßen.
Die Universitäten in Düsseldorf und Bamberg, an denen Münch als Professor lehrte, sind im Zuge des massiven Ausbaus des deutschen Universitätswesens in den 60er und 70er Jahren entstanden. Dieser Umbau ist intellektuell vor allem von Ralf Dahrendorf angeregt und politisch von der SPD umgesetzt worden. Münch verteidigt das Erbe der dezentrierten Massenuniversität gegen die neue Tendenz zur Monopolbildung, die durch die Exzellenzinitiative vorangetrieben wird. Deren Ziel ist es, wenige deutsche Universitäten auf das Niveau der weltweit führenden Forschungsstandorte zu bringen. Im Zuge der Initiative entstehen große Graduiertenkollegs und Exzellenzcluster. Münch führt dagegen an, dass gerade für die Geistes- und Sozialwissenschaften kleinere Forschungsverbünde produktiver wären. Zur Vergabe großer Fördersummen könnte die Forschungsprojekte selbst oft kaum qualitativ geprüft werden. Die Vergabe werde oft durch das bessere Marketing entschieden, wobei sich gutes Marketing wiederum nur Institute leisten können, die sowieso schon pekuniär gesegnet sind. „Wer hat, dem wird gegeben“ ist das herrschende Vergabeprinzip. Lustigerweise ist ein sekundäres Auswahlkriterium der Deutschen Forschungsgemeinschaft auch die rein touristische Attraktivität der Stadt für Gastdozenten.
Bleibt am Boden
Die Reformen verlieren vor allem das Grundstudium aus dem Auge. Vehement kritisiert Münch die zunehmende Abkopplung von Forschung und Lehre. Professoren erhalten immer mehr Möglichkeiten, sich von der Pflicht zur Lehre zu befreien. Vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften führe das bei wissenschaftlichen Publikationen einerseits aufgrund fehlender Bodenhaftung zu einem Mangel an daran interessierten Studierenden. Andererseits kann in der Lehre nur schwer systematisch, relevantes Wissen vermittelt werden, wenn Lehrbeauftragte häufig nur Anstellungen erhalten, die auf ein Semester befristet sind.
Als Einstiegslektüre bietet sich übrigens Münchs Globale Eliten, lokale Autoritäten an. Es ist nicht nur sein kürzestes Buch zum Thema, es verhandelt außerdem Schulpolitik. Auch wenn es nicht ganz so materialreich und detailliert daherkommt wie die anderen Veröffentlichungen, spannt es den breitesten Horizont auf.
Vier Funktionen hat Talcott Parsons, ein Guru der Soziologie, einst den Universitäten zugeschrieben. Wenn es um die Auswirkungen der Reformen geht, erfasst Münch nur zwei jener vier Funktionen auf systematische Weise, nämlich zentral die Aufgaben der Forschung und untergeordnet jene der Lehre. Die Funktion der Vermittlung von Kultur und die der Aufklärung der politischen Öffentlichkeit ignoriert er fast komplett. Dabei hätten Störungen gerade in diesen Bereichen höchste gesellschaftliche Relevanz. Vielleicht eine Motivation für Richard Münch, alsbald die nächsten 1.000 Seiten vorzulegen.
Info
Akademischer Kapitalismus. Über die politische Ökonomie der Hochschulreform Richard Münch Suhrkamp 2011, 459 S., 18 €
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