Es soll schon ein Frexit sein

Frankreich Eine Präsidentin Le Pen würde per Referendum über die EU-Mitgliedschaft ihres Landes abstimmen lassen
Ausgabe 06/2017
France first!
France first!

Foto: Jeff J. Mitchell/Getty Images

Es gibt Jutebeutel für die Teilnehmer der Konferenz des rechtspopulistischen Front National (FN) am Wochenende in Lyon. Mit einer Convention présidentielle und einem Auftritt von Marine Le Pen startet die Partei ihre Kampagne zur Präsidentschaftswahl am 23. April, bei der es mit Sicherheit am 7. Mai zum Stechen zwischen den beiden Besten des ersten Wahlgangs kommen wird.

Als stereotypes Hipster-Accessoire sind Jutebeutel geradezu exemplarisch für die Strategie des FN, seit Marine Le Pen die Partei führt. Gilbert Collard, seit 2012 Abgeordneter in der Nationalversammlung, fasst deren Absichten so zusammen: „Wir treiben unsere Entdämonisierung voran, wenngleich wir eigentlich nie Dämonen waren.“ Mit anderen Worten, man ist um ein moderates und versöhnendes Image bemüht. Wohl um Stimmen aus der Mitte der Gesellschaft zu gewinnen, würdigt der FN mittlerweile Charles de Gaulle, Gründer der V. Republik und Präsident von 1959 bis 1969, als großen Staatsmann. Parteichef Jean-Marie Le Pen (1972 – 2011 im Amt), geißelte den General noch als einen Verräter, weil der die Dekolonisierung vorantrieb und vor allem Algerien 1962 in die Unabhängigkeit entließ. Auch mit antisemitischen Äußerungen hält sich die Parteiführung nunmehr deutlich zurück. Ganz ohne geht es indes nicht, jedenfalls spricht auf dem Kongress in Lyon kaum ein FN-Politiker über den unabhängigem Präsidentenbewerber Emmanuel Macron, ohne raunend zu erwähnen, dass der einst für die Investmentbank Rothschild gearbeitet habe. Und manche Redner schaffen es, die Menge johlen zu lassen, wenn sie die Namen jüdischer Intellektueller nennen, die wie Bernard-Henri Lévy den Rechtsnationalen seit jeher besonders verhasst sind.

EU-Gelder veruntreut

Dem FN zufolge stehen sich im politischen Wettbewerb längst nicht mehr das linke und das rechte Lager gegenüber. Vielmehr verlaufe die Konfliktlinie zwischen „Mondialisten“, Befürwortern von Migration, Europäischer Union und anderen supranationalen Institutionen, und „Souveränisten“, die auf die Interessen Frankreichs bedacht seien. Deshalb sage der FN, das Land werde durch NATO und EU nur geschwächt – es verliere seine Unabhängigkeit. Um das zu ändern, will Marine Le Pen für den Fall ihrer Präsidentschaft sechs Monate nach Amtsantritt ein Referendum über den Verbleib in der EU abhalten, nicht mehr an die Schengen-Vereinbarungen gebunden sein und sich aus dem militärischen Kommando der NATO zurückziehen. Was nicht zu Lasten der nationalen Verteidigung gehen müsse. Schließlich gedenke sie einen zweiten, mit Kernwaffen bestückten Flugzeugträger bauen zu lassen. Zudem soll es mit ihr als Präsidentin gleichfalls nicht an Mitteln fehlen, um etwas für das französische Gesundheits- und Sozialsystem zu tun.

Zur Finanzierung all dessen, so Steeve Briois, FN-Bürgermeister von Hénin-Beaumont, einer 27.000-Einwohner-Stadt im Département Pas-de-Calais, werde seine Partei Steuerhinterziehung und Sozialbetrug bekämpfen. Habe Frankreich erst einmal die EU hinter sich, entfielen neun Milliarden Euro für deren Etat. „Außerdem werden wir die medizinische Versorgung für illegale Migranten streichen“, insistiert Briois, was für großen Jubel sorgt. Keine Überraschung, denn während sich Marine Le Pen in Lyon als Verfechterin von sozialer Gerechtigkeit und von Frauenrechten inszeniert, bewegt das Gros der aktiven Parteimitglieder vorrangig das Thema Migration. Es soll generell keinen Familiennachzug für Geflüchtete mehr geben und die französische Staatsbürgerschaft nicht durch Heirat zu erlangen sein, wie bisher möglich. Auch das sogenannte Bodenrecht steht zur Disposition, wonach jeder, der in Frankreich geboren ist, als dessen Staatsbürger anerkannt wird. „Man soll nicht mehr durch Zufall Franzose werden können“, sagt Florian Philippot, Vizepräsident der Partei und enger Berater von Marine Le Pen, als ob es kein Zufall wäre, französische Eltern zu haben. Le Pens mutmaßlicher Feminismus ist nichts weiter als ein rhetorisches Vehikel gegen den Islam. Sie spricht von Frauenrechten nur mit Blick auf Frauen, die verschleiert werden oder denen der Eintritt in manche muslimische Cafés verweigert wird. Lohngerechtigkeit ist für sie kein Thema, Gender Studies hält sie für „verworren“.

Obwohl sich der Front National als der allein glaubwürdige Widersacher gegen eine vermeintlich korrumpierte „politisch-mediale Kaste“ empfiehlt, muss sich die Partei gerade des Vorwurfs erwehren, öffentliche Gelder veruntreut zu haben. Ende Januar hat Marine Le Pen eine Frist verstreichen lassen, um dem Europaparlament 340.000 Euro zurückzuzahlen. Die Mittel, vorgesehen für Mitarbeiter in der EU-Legislative, hat die FN-Chefin für Angestellte in der Parteizentrale verwendet. Wie das Magazin L’Obs schreibt, schuldet die Partei dem EU-Parlament insgesamt 1,1 Millionen Euro. Zeitweise soll auch Jean-Marie Le Pens Privatsekretär vom europäischen Steuerzahler finanziert worden sein. Die Pariser Staatsanwaltschaft ermittelt seit einem Monat. Was sie früher oder später an Erkenntnissen vorlegt, dürfte den Wahlkampf beleben.

Die Parteimitglieder irritiert diese Affäre augenscheinlich nicht. „Bisher gibt es nur die Forderung des EU-Parlaments. Solange kein richterliches Urteil dazu gesprochen ist, interessiert mich das nicht“, argumentiert in Lyon ein Pariser Jurastudent mit Jutebeutel.

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Geschrieben von

Lukas Latz

Student in Berlin, Spaziergänger überallTwitter: @lukaslac

Lukas Latz

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