Marsch durch den Geheimdienst

Thüringen Stephan Kramer wird neuer Chef des Landesamts für Verfassungsschutz. Mit der Vergangenheit brechen kann er aber nur, wenn sich dort Linksliberale als Mitarbeiter bewerben
Tritt in Helmut Roewers Fußstapfen: Stephan Kramer
Tritt in Helmut Roewers Fußstapfen: Stephan Kramer

Bild: Imago/Karina Hessland

Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz steht im Verdacht, die Arbeit an der Aufklärung der NSU-Morde blockiert zu haben. Es wird vermutet, dass V-Leute der Behörde dem Unterstützernetzwerk des Nationalsozialistischen Untergrunds angehört haben. Neben schwerwiegenden Verdachtsmomenten herrscht über eines Konsens: Statt der rechtsextremen Szene im Land etwas entgegengesetzt zu haben, wirkte das Thüringer Landesamt als Brandbeschleuniger - durch das haarsträubende V-Mann-System und sprichwörtliche Blindheit auf dem recht Auge. Eine Hauptschuld daran trägt: Helmut Roewer, Chef des Landesamtes von 1994 bis 2000. Er sah in Linksbündnissen gegen rechte Gewalt oder Anti-Atom-Demonstrationen die größte Bedrohung für Landesverfassung. Den Untersuchungsausschuss des Landtages zum NSU-Skandal bezeichnete er als „stalinistischen Schauprozess“.

In Roewers Fußstapfen tritt nun Stephan Kramer, zuvor zehn Jahre lang Generalsekretär des Zentralrats der Juden. Dem Quereinsteiger wird zugetraut, dass er den Verfassungsschutz wieder transparent und zu einem brauchbaren Instrument des Rechtsstaates machen kann. Wie er bereits klarstellte, sieht er den Rechtsextremismus als größte Gefahr im Bundesland. Die Arbeit des Geheimdienstes will er entsprechend neu ausrichten. Kann das funktionieren? In erster Linie ist ungewiss, ob er die Beamten in der Behörde für den neuen Weg begeistern kann. Einige von ihnen werden schließlich immer noch die blockierende rechtsnationalistische Haltung haben, die Roewer und andere in die Behörde eingeführt haben.

Aber die Neuausrichtung wird funktionieren, sofern Kramer nicht allein gelassen wird. Wichtig ist vor allem Unterstützung von unten. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat er implizit zur Bewerbung aufgerufen: „Wir brauchen auch gute Sozial- und Kulturwissenschaftler, Religionsexperten, Politologen. Sonst sehen wir viel und begreifen wenig.“ Angesprochen sind offenbar Vertreter der linksliberalen Zivilgesellschaft. Wenn die daran teilnehmen wollen, den Verfassungsschutz von innen zu reformieren, wird Kramer Erfolg haben. Nach 1968 hat es in weiten Bereichen von Staat und Öffentlichkeit einen linken Marsch durch die Institutionen gegeben. Warum sollen der nicht bald auch im Verfassungsschutz beginnen?

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Geschrieben von

Lukas Latz

Student in Berlin, Spaziergänger überallTwitter: @lukaslac

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