Oh du fröhliche Sorge

Kulturkampf Pünktlich zur Weihnachtszeit fürchten Populisten den Verlust christlicher Besinnlichkeit
Ausgabe 49/2015
Donald Trump wähnt sich in einem „war on Christmas“. Wegen dieser Becher
Donald Trump wähnt sich in einem „war on Christmas“. Wegen dieser Becher

Foto: Spencer Platt/Getty Images

Wir sind wieder im Krieg, das sagen inzwischen viele in den USA und in Europa. Es ist ein Angriff auf unsere Werte, sagen auch sehr viele. Es geht um unser Weihnachten, das sagt im Augenblick nur eine Minderheit. Aber diese Gruppe wächst. Donald Trump, republikanischer Bewerber um die US-Präsidentschaft, hat kürzlich laut darüber nachgedacht, ob er zum Boykott der Kaffeekette Starbucks aufrufen sollte. Starbucks nämlich hat das Design der alljährlichen Weihnachtsbecher geändert. Statt putziger Rentiere oder heimeliger Christbaumkugeln sind die Becher in dieser Saison rot getüncht. Einfach. Nur. Rot. Ein Skandal.

„Ist Rot nicht die klassische Weihnachtsfarbe?“, könnte ein Vernünftiger die Affäre runterkochen. Donald Trump aber greift die alte Angst der amerikanischen Evangelikalen auf. Diese hegen gegen Großkonzerne schon länger den Verdacht, sie führten einen war on Christmas. Sie werfen den Großkonzernen vor, man wolle den Weihnachtszauber aus dem öffentlichen Raum verdrängen. Und, was so nicht gesagt, aber als gewusst vorausgesetzt wird, dass an den Hebeln dieser Großkonzerne stets Juden säßen. Denn wer sonst könnte sich für den Krieg gegen Weihnachten begeistern? Muslime? Stimmt. Die auch. Donald Trump hat seine Invektive gegen Starbucks mit dem Wahlversprechen verbunden, dass unter seiner Präsidentschaft in Geschäften wieder mit „Frohe Weihnachten“ verabschiedet werden wird, statt freundlich und säkular „Frohe Feiertage“ zu trällern.

Ähnlicher Aktionismus findet sich neuerdings auch in Deutschland. Das dem Münchner Flughafen angeschlossene Shopping Center hat seinen Weihnachtsmarkt für dieses Jahr in „Wintermarkt“ umbenannt. Begründet worden ist die Neuerung damit, dass der Markt auch noch im Januar bestehen bleibt. Stramme Verteidiger des Abendlands hielten das für eine lahme Ausrede. Als Reaktion gab es einen zünftigen Shitstorm auf Facebook, organisiert von rechtsextremen Netzaktivisten. Den Nazis graut vorm Damoklesschwert fortschreitender Islamisierung, sie sehen einen Beweis dafür, wie Deutsche „im eigenen Land diskriminiert“ werden. Eine ähnliche Bedrohung sieht bekanntlich Pegida. In ihrem Kampf um die abendländische Kultur haben die Demonstranten kollektiv Weihnachtslieder gesungen, um den Multikulturalismus der Bundesrepublik zumindest kurzzeitig aus Dresden zu vertreiben.

Die Entwicklung in Deutschland überrascht ein wenig. Denn klassischerweise wird hierzulande nicht befürchtet, Weihnachten könnte aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden, sondern das Gegenteil. Es ist abgedroschenes Lamento jedweder Kulturkritik, Weihnachten würde zu sehr in der kommerziellen Massenkultur aufgehen. Das Problem sei, Weihnachten erscheine geradezu omnipräsent in der Öffentlichkeit, wodurch die traditionellen Werte des Weihnachtsfests ausgehöhlt würden. Es gehe nicht mehr um Familie, Besinnlichkeit und Gänsebraten, sondern um das Geschäftsklima im Einzelhandel. Das Fest der Liebe sei zu einem Fest des Konsums geworden.

Wovor ist die Angst unter deutschen Rechten nun größer? Davor, dass Weihnachten plötzlich verschwindet, oder davor, dass an Weihnachten zu sehr dem Konsum gefrönt wird? Wahrscheinlich vor beidem. Der deutsche Krieg um Weihnachten ist ein Zweifrontenkrieg. Wenigstens diese Tradition bleibt uns erhalten.

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Geschrieben von

Lukas Latz

Student in Berlin, Spaziergänger überallTwitter: @lukaslac

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