Vom Untergrund

NSU Der neue Dengler ist brisant! Spannend! Aber: Für grelles Licht sorgt auch ein Sachbuch-Krimi
Ausgabe 46/2015

Wolfgang Schorlau wurde bekannt mit Krimis, die einen Anspruch auf politische Aufklärung erheben. Seine Romane spielen im Umfeld der Pharmaindustrie, in Afghanistan oder handeln vom Anschlag auf das Münchner Oktoberfest im Jahr 1980. Auch der neue Roman Die Schützende Hand, wieder mit Privatermittler Georg Dengler, versucht die Kür, nämlich zu unterhalten und – dieses Mal – einen relevanten Einblick in die NSU-Thematik zu geben.

Georg Dengler war einst ein hoch talentierter Kriminalist beim BKA. Irgendwann kündigte er aus moralischen Erwägungen, verzichtete somit auf alle Pensionsansprüche als Beamter und schlägt sich seither als Privatdetektiv durch.

Wie zu erwarten und ziemlich klassisch steht Dengler das Wasser also bis zum Hals, so rein finanziell. Aber plötzlich kommen per Post 15.000 Euro und ein Prepaidhandy mit nichts weniger als dem Auftrag, die Mörder der NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu finden. Dengler greift zu. Er lässt sich von einer BKA-Beamtin die Akten senden, er stellt immer mehr Widersprüche in der offiziellen Geschichte fest und gerät schließlich auf die Spur derer, die ihn ermordet haben sollen.

Spannend und lustig erzählen kann Schorlau durchaus. Es macht Spaß zu verfolgen, wie der Privatdetektiv Dengler immer mehr Ungereimtheiten aufdeckt. Seine besondere Stärke ist das Lesen. Erkenntnisfortschritte kommen oft einfach durch erneute Lektüre der Akten zustande. Das ist ein originelles Mittel des Spannungsaufbaus. Schorlau schafft es auf eine spielerische und luzide Art, zentrale Skandale der NSU-Ermittlungen darzustellen. Wer inzwischen (in der Realität) den Überlick verloren hat, über die NSU-Morde oder die dubiose Rolle der Ämter für Verfassungsschutz, der sieht mit diesem Krimi klarer. Um Wissenslücken aufzuarbeiten, ist das Buch sicher von einigem Nutzen. Dankbar sind auch die historischen Exkurse über das Verhältnis der Stasi zur Neonazi-Szene in der DDR und über die zwielichtigen Aktionen der Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung des Attentats auf Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen.

Ärgerlich ist indes die klischeehafte Darstellung von Frauen. Olga, Denglers Freundin, wird vom Erzähler als „Zigeunerin“ bezeichnet. Sie ist ein Sexsymbol, das wild, exotisch und geheimnisvoll erscheinen soll. In einer Familie von Taschendieben sozialisiert, ist Olga selbst eine geschickte Ganovin geworden. Wie bitte? Solche Stereotype dürfen gerade in einem Buch über rechten Terror nicht reproduziert werden. Eine weitere zentrale Frau ist Marlies. Sie arbeitet beim BKA und stattet Dengler großzügig mit geheimen Unterlagen aus. Sie tut das aber nicht, weil sie etwa eine mutige Whistleblowerin ist, die die skandalöse Unterstützungsarbeit des Verfassungsschutzes für den Rechtsextremismus an die Öffentlichkeit bringen will. Sie tut es, weil sie unglücklich in Georg verliebt ist. Diese Zeichnung einer naiven Göre ist vielleicht frauenfeindlich, vor allem aber ziemlich platt.

Pannen, Merkwürdigkeiten

Die Schützende Hand hat einen anti-amerikanischen Tenor, der immer wieder ins Ressentiment abgleitet. Wir begleiten oft den US-amerikanischen Botschafter Spencer. Von seinem Selbstverständnis ist er Kolonialherr und der eigentliche Herrscher über Deutschland. Sein Vorbild ist Pontius Pilatus. Als Bundeskanzlerin und Finanzminister ihm erklären, dass sie Steuern für US-amerikanische Konzerne erhöhen wollen, erpresst er sie erfolgreich. Es wird angedeutet, dass die CIA als der Drahtzieher den NSU-Komplex aufgebaut hat. So viel Unglaubliches über die Aktivitäten der Verfassungsschutzämter bislang auch bekannt geworden ist, ein Indiz für die Verwicklung der CIA gibt es nicht. Das behauptet nur Jürgen Elsässer. Es ist höchst irritierend, wie hier ein fiktionaler Text als Spielwiese für krude Ansichten missbraucht wird. Statt politischer Aufklärung wird hier dummes Halbwissen verbreitet. Man denkt ein wenig an Homeland und die verquere Schwarz-Weiß-Sicht der Gemengenlage (freilich eher pro-amerikanisch) hier.

Zum Thema NSU ist der bessere Krimi aktuell ein Sachbuch: Staatsaffäre NSU von Hajo Funke. Ausführlich und spannend beschreibt Funke, welche „Pannen“ und Merkwürdigkeiten bei den Ermittlungen der NSU-Morde aufgetreten sind. Er skizziert kenntnisreich die rechtsextreme Szene in Thüringen, die voll von V-Leuten war. Er erinnert an unzählbar viele Einzelfälle von mysteriösem Verhalten der Strafverfolgungsbehörden. Er zeigt, wie der Verfassungsschutz bis heute die Aufklärung durch „organisiertes Schweigen“ systematisch blockiert. In einem mangelndem Aufklärungswillen der NSU-Morde erkennt er institutionellen Rassismus. Schlüssig argumentiert er, dass sich der Verfassungsschutz einen rechtsfreien Raum geschaffen habe und eine Gefahr für die Rechtssicherheit in Deutschland sei. Ein echter Krimi.

Info

Die Schützende Hand Wolfgang Schorlau KiWi 2015, 284 S., 14,99 €

Staatsaffäre NSU Hajo Funke Kontur-Verlag 2015, 408 S., 20 €

* Bilder der Beilage

Wenn es Nacht wird. Verbrechen in New York zeigt Fotografien von realen Verbrechen im New York der Nullerjahre des vergangenen Jahrtausends. Um 1900 revolutionierte die noch junge Fotografie die Aufklärung von Kriminalfällen. Die Tatortfotografie hatte zu dokumentieren, was vorgefallen war. Die Angehörigen der Opfer, Täter und die beteiligten Ermittler sind verstorben, die Akten vernichtet. Zu einigen der etwa 200 Schwarz-Weiß-Fotografien und original Zeitungsartikel finden sich noch Notizen.

Herausgeber sind der Kölner Filmproduzent und Kameramann Wilfried Kaute und Joe Bausch, der Rechtsmediziner aus dem Kölner Tatort. Die Autoren recherchierten die Kriminalfälle in den Archiven, schrieben die Geschichten dazu und ergänzten so die eigentümliche Dramatik der Bilder. Der Band ist bei Emons erschienen und kostet 39,95 Euro.

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Geschrieben von

Lukas Latz

Student in Berlin, Spaziergänger überallTwitter: @lukaslac

Lukas Latz

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