1. September - Ein Tag zum Feiern

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Am siebzigsten Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs und des Überfalls Deutschlands auf Polen fühle ich mich gut. Ich kann mich ehrlich freuen. Denn neben dem Wissen, was damals und in den darauf folgenden fünf (bzw. fünfzig) Jahren geschah, überwiegt bei mir Freude und Erleichterung, aber auch Stolz. Dafür ist mir und Millionen Europäern Danzig das Symbol: hier begann der 2. Weltkrieg und die Teilung Europas, aber hier begann auch die Solidarnosc-Bewegung und in der Folge das Ende dieser Teilung. Es ist die Freude und der Stolz, dass der 1.09.1939 ferne Vergangenheit ist, heute (hoffentlich) undenkbar, unumkehrbar unmöglich gemacht.

Wer weiß, ob es ohne jenes schrecklichen Krieges so ein Europa wie heute geben würde? Damit will ich den Krieg nicht schön reden, und mir ist auch bewusst, dass Europa vor 100 Jahren durchaus schon sehr offen war was Handel, oder Reise- und Niederlassungsfreiheit war, und dass erst die beiden Weltkriege dies zunächst einmal zunichte machten. Doch ohne eines Schocks wie der 1. September wären wir vielleicht wie verschlafen-verschlossene Nachbarn, die zwar eher friedlich, doch eher getrennt nebeneinander leben. Statt miteinander. Also ähnlich wie die meisten südamerikanischen Staaten und Völker, oder wie Russland und China – meist konfliktfrei, doch oft ohne sich überhaupt zu kennen.

Ich bin froh, dass unsere – ob europäische, oder polnisch-deutsche – Vergangenheit und Gegenwart so verbunden, so verknüpft sind. Im Guten wie im Bösen. Lieber Zoff als Ignoranz, lieber Streitgespräch als Unwissenheit. Und noch lieber – Freundschaft und Kenntnis.

Ich kann nicht umhin, gerade heute eben nicht nur an den 1.09.1939 zu denken, sondern an heute – den 1.09.2009. An die Tatsache, dass es zwischen Deutschland und Polen nur rein formell eine Staatsgrenze gibt (die z.B. ein spanischer Tourist erst spät, nach einigen Kilometern, erkennt). Oder dass es keinen wundert, dass ich in Berlin kommunal, in Polen auf Staatsebene mein Wahlrecht ausübe, und es mir für die EU-Wahl aussuchen konnte. Es ist einfach genial, dass man in der Görlitzer Straßenbahn die Hinweise auch auf Polnisch, und in einer polnischen Kneipe in Niederschlesien das Menu auch auf Deutsch zu lesen ist. Es ist auch sehr praktisch, dass ich im („deutschen“) Hornbach günstigere und bessere Farben bekomme, während ich lieber beim „polnischen“ Metzger, paar Kilometer weiter, Fleisch einkaufen würde. Es ist auch „geil“, dass ich mit meinem Sohn an allen vier Orten beide Sprachen benutzen kann (wenn wir über die Abenteuer der Biene Maja reden), ohne dass es jemanden stören oder wundern würde, und dass immer mehr Menschen beide verstehen.

Die nette Verwobenheit der Gegenwart verschleiert nicht die Vergangenheit. Denn diese gehört immer zur Gegenwart, zum Leben, selbst wenn man sie nicht (ganz) selbst erlebt hatte. Ich und meine Familie sind vielleicht einer der (Millionen) europäischen Sonderfälle, da aus Oberschlesien stammend, also einem Gebiet, das seit Jahrhunderten an der Schwelle zwischen polnischen und deutschen Kulturkreis und Staat war. Dennoch ist auch das Wissen über die (Familien)Geschichte, die Vergangenheit, sicher nicht ein „Sonderfall“, denn vielen ist das Wissen über die Verwobenheit der Vergangenheit vertraut und wohl bekannt. In unserem Fall: dass mein Großvater mütterlicherseits – immer ein polnischer Patriot - in der Wehrmacht diente, während seine Frau in Deutschland Zwangsarbeiterin war. Beides nur wenige Monate, dennoch „unvergesslich“. Der andere Großvater war im September 1939 in der polnischen Luftwaffe (ja, wir hatten nicht nur die glorreiche Kavallerie, die gegen die Panzer kämpfte, wir hatten auch ein paar Klapperkisten), während seine Frau – die immer besser Deutsch als Polnisch sprach – sich kurz darauf darum bemühte, als (Volks)Deutsche anerkannt zu werden. Wenn man sich die Familie weiter ansehen würde, so gab es einen polnischen Widerstandskämpfer – der kurz nach dem Krieg eine Deutsche heiratete und nach Berlin zog. Oder einen SS-ler, der 1945 so schnell nach Deutschland floh und untertauchte, dass seine Frau & Familie erst 1946 folgen konnten: in einem Viehwaggon, als „Deutsche“ vertrieben.

Der Vorteil solcher „Familiengeschichten“ war und ist das Persönliche, das Echte, das Nahe. Daher wäre „in der Sippe“ niemand auf die Idee gekommen, über das polnisch-deutsche Verhältnis so zu reden wie Erika Steinbach oder Jaroslaw Kaczynski. (Wobei ich bei beiden überzeugt bin, dass sie im Stillen viel konstruktiver und weise sind, als wenn sie als Politiker den Mund aufreißen). Weder die beiden, noch die wahren Extremisten von Radio Maryja oder NPD können das gefährden, was spätestens seit 1989, aber in Wirklichkeit seit 1945 wieder aufgebaut wurde und wächst – und das nicht nur Dank der polnischen Bischöfe 1965 oder der Außenpolitik Willy Brandts, sondern Dank vieler Millionen „anonymer“ Deutscher und Polen.

Für mich bleibt dennoch das Jahr 1989 das wichtigste, eben als Antwort, als Lehre, aber auch als „späte Rache“ an 1939. Und die Versöhnungsmesse am 12. November im niederschlesischen Kreisau/Krzyzowa, als sich Tadeusz Mazowiecki und Helmit Kohl im Zeichen des Friedens umarmten. Jenes Bild ist bei vielen Polen als Erinnerung, aber auch als klares Zeichen verstanden worden: Es beinhaltete nicht nur Reue, nicht nur Frieden, sondern auch Begrüßungsfreude bei der Begegnung auf gleicher Ebene, und einen Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Wer heute Donald Tusk und Angela Merkel bei der Erinnerungszeremonie in Danzig vor sich oder auf dem Bildschirm hat, sieht, dass es um das deutsch-polnische Zusammenleben sehr gut bestellt ist, und dass – neben wenigen deutschen und polnischen Nationalisten – nur die Telekom-Anbieter beider Länder daran festhalten, dass es zwischen Polen und Deutschland eine fixe, harte Grenze gibt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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