Arme Bauern

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Die Tagespresse von voriger Woche hat uns vom G8-Treffen im italienischen L´Aquila unter anderem eine schöne, frohe Meldung geliefert. Oder eher – überliefert, denn die pathetische Überschrift „G-8-Staaten wollen Kleinbauern in armen Ländern helfen“ (Süddeutsche Zeitung, 10.07.2009, S. 8) scheint mir bloß eine abgeschriebene Textpassage aus einer publikumswirksamen Pressemitteilung der G8-Medienzentrale zu sein.

Der Versuch, aus dem mittellangen Artikel herauszulesen, wie, wann und warum den „armen Kleinbauern“ geholfen werden soll, war nicht einfach, selbst für einen geübten „Zwischenzeilenleser“ und „Abkürzungskenner“. Auch das beigefügte Photo zweier lächelnder schwarz afrikanischer Bauern war keine wirkliche Hilfe. Der Versuch, etwas Konkretes aus der Mitteilung zu entnehmen scheiterte an der einfachen Tatsache, dass – siehe Ehrlichkeit der G8! - man sich noch über das „Wem, wie, mit wie viel“ noch gar nicht einig sei, bloß über das „dass“.

Die glorreichen Acht haben nämlich eine, oder eigentlich mehrere Ideen. Dass innerhalb von drei Jahren 15 Milliarden Dollar bereitgestellt werden sollen (von wem bereitgestellt, und von wem verwaltet – unklar), und dass man damit „den Kleinbauern“ „in den Entwicklungsländern“ „bei Gründung eigener Betriebe“ helfen möchte. Durch Billigkredite? Durch Direktzahlungen? Durch direktes Verschenken von Höfen, Agrarland, Vieh und Maschinen? Wäre eine feine Kopie der Pläne zum „Aufbau“ der Landwirtschaft im „realen“ Sozialismus der Nachkriegsjahre.
Aber ich las ja weiter, vielleicht würde man mir gegen Ende des Artikels doch die Lösung präsentieren? Ja, sieh her: Obama schlägt vor, einen „von der Weltbank verwalteten Lebensmittelfonds“ zu gründen, während die EU eher für „projektgebundene Hilfen über UN-Agenturen“ plädiert. Arme Bauern.

Und dann erinnerte ich mich an eine andere Pressemeldung, vor ziemlich genau einem Monat: Nach langem Druck seitens u.a. der „Initiative für Transparenz bei EU-Agrarsubventionen“ hatte die deutsche Bundesregierung doch die aufgeschlüsselte Liste der Empfänger der EU-Agrarsubventionen veröffentlicht. In der dann klar zum Vorschein kam, dass nicht, wie ich bisher blauäugig glaubte, „der EU-Bauer“ am stärksten subventioniert wird, sondern dass die größten Zahlungen Lebensmittelkonzerne wie Südzucker oder Nordmilch erhalten.

Laut der Website des Landwirtschaftsministeriums dienen die EU-Agrarsubventionen „den Landwirten“:
„Die Land- und die Forstwirtschaft erbringen neben der Erzeugung von gesunden und vielfältigen Lebensmitteln und der Produktion und Verwertung von nachwachsenden Rohstoffen eine Vielzahl von Leistungen für die Gesellschaft und übernehmen als hauptsächliche Landnutzer eine besondere Verantwortung für den Erhalt von Natur und Umwelt. Sie bewirtschaften und pflegen einen Großteil der Landesfläche, erhalten die Infrastruktur im ländlichen Raum und prägen das soziale Gefüge in den Dörfern.“ (www.agrar-fischerei-zahlungen.de/agrar_foerderung.html)

Soll ich nun glauben, dass europäische Agrar-Multis sich um den Erhalt der Umwelt kümmern und die Landschaft pflegen? Wenn ich mir diese Beschreibung nochmal durchlese, und dann vor Augen führe, wer da subventioniert wird, wird es zu einer Horrorvision: Südzucker pflegt den Großteil der Landesfläche und übernimmt die Verantwortung für die Natur!

Tatsache ist eher, dass die EU-Subventionen zwar unter anderen den Bauern helfen, und auch uns „helfen“, indem unsere Lebensmittel subventioniert werden, allerdings vor allem den Großkonzernen helfen, mittels Dumpingpreisen die Agrar- und Lebensmittelmärkte bis nach Afrika oder Südamerika zu füllen. Und somit die wirtschaftliche Existenz von Millionen Bauern (wie den zwei vom Photo) unmöglich zu machen.

Wie wäre es, wenn wir das EU-Budget um ca. die Hälfte kürzen? Und zwar um die EU-Agrarsubventionen in Höhe von über 42 Mrd. EUR pro Jahr.
Dadurch würde man „den armen Kleinbauern in den Entwicklungsländern“ am meisten helfen. Und nebenbei dem europäischen Bürger und seiner Steuerlast. Denn 42.000.000.000 Euro sind immerhin 84 Euro pro Kopf pro Jahr. (Nota bene: Schon lächerlich, wenn man bedenkt, dass nur knapp 170 Euro eines EU-Bürgers das EU-Budget ausmachen!).

Erscheinen diese 84 Euro als wenig? Oder wäre eine solche Subventionskürzung zu radikal?
Dann lassen wir doch diese Summe im EU-Budget, und verwenden diese direkt für die Pflege der Landschaft und den Erhalt der Umwelt und Natur. Bauer als Gärtner eben.
Teilweise geschieht es bereits ohnehin, indem seit 2005 die EU-Direktzahlungen vor allem an die Agrar- und Grünfläche eines landwirtschaftlichen Betriebs gebunden sind, und nicht an dessen Produktion. Dennoch, sie bleiben eine Subvention, die die Produkte des Bauern (und vor allem dessen Großabnehmern wie Südzucker) erheblich verbilligen und so nicht nur unseren Markt, sondern auch diejenigen Märkte stark verzerren (wenn nicht zerstören), wohin diese Lebensmittel exportiert werden.

Man mag argumentieren, die Subventionen helfen indirekt jedem von uns, indem die Lebensmittel nicht zu teuer werden. Zu teuer? Wann haben in Europa – jemals – die Kosten für ein Liter Milch, ein Kilogramm Kartoffeln oder Äpfel, ein Kilogramm Rind- oder Schweinefleisch so wenig im Vergleich zum Durchschnittseinkommen ausgemacht?
Natürlich, die Subvention macht die europäischen Lebensmittel auch für den senegalesischen Kunden billiger – nur dass er bei jedem Kauf eines subventionierten Produkts direkt oder indirekt seine eigene Erwerbsgrundlage zerstört. Denn während in der EU nur ca. 5% der Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt sind, sind es in den Entwicklungsländern oft bis zu 70 bis 90% der Bevölkerung.

Statt die Lebensmittelproduktion zu subventionieren, sollte man in der EU, wie auch in einzelnen Mitgliedsländern, die (ärmeren) Verbraucher unterstützen. Wenn die EU die Landschaft oder die Natur pflegen und erhalten möchte, also Werte und Güter, die sich nur schwer einem „Marktverhalten“ unterziehen können (und meiner Meinung nach auch nicht sollten) – möge man die „Naturerhalter“ und „Landschaftspfleger“ direkt für ihre Arbeit unterstützen.
Eine andere Frage wäre allerdings, ob man EU-weit die 42 Milliarden Euro nicht für Infrastruktur, Bildung und Forschung verwenden könnte.

Die Lebensmittel-Produzenten sollen aber ihre Produkte ohne Subventionen, ohne Dumping und „Exportförderung“ erzeugen und von mir aus auch in die s.g. „Dritte Welt“ exportieren. Vorausgesetzt, man bleibt fair, und öffne den afrikanischen und lateinamerikanischen Bauern unseren Markt. Viel Glück dann, Nordzucker, Südmilch & Co!

Mir persönlich wäre jedoch noch ein „revolutionäres“ Konzept am liebsten, oder zumindest eine Überlegung wert. Eine Regelung - auch wenn es „meinen geliebten freien Markt“ stören würde.
Die „200-km-Regelung“: In einem Lebensmittel-Geschäft dürfen nur die Lebensmittel verkauft werden, deren Ursprung sich im Umkreis von 200 km befindet. Natürlich würde das vor allem für „frische“ Lebensmittel wie Getreideprodukte, Früchte, Gemüse, Milchprodukte und frische Getränke gelten, ich verlange ja nicht, dass man in der Umgebung von Bielefeld nach Thunfisch fischt, Whisky brennt, oder versucht, Reis anzubauen. Durch eine solche Regelung hätte man vor Ort „regionale Produkte“, ohne danach im Supermarkt suchen zu müssen, und zusätzlich wären die Straßen (und Luft) reiner.

Klar, in 20 bis 25 Jahren wird es dies ohnehin geben, wenn der Marktpreis der Treibstoffe dafür sorgen wird, dass die Transportkosten „ferne“ Lebensmittel so verteuern werden, dass diese wieder zu einem exotischen Luxusgut werden dürften. Seien es Kaffee oder Bananen aus Brasilien, die wir importieren würden, oder Spreewaldgurken und Bier nach dem Reinheitsgebot, das wir zu exportieren versuchen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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