Das Lohnrunden-Ritual

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Mitten im ersten Quartal 2011 - traditionell die Zeit im Jahr, wo die Arbeitnehmer und Arbeitgeber über die neuen Gehalts- und Lohnabschlüsse verhandeln. Oft hört man auch: „feilschen“ oder „streiten“, was wohl darin begründet ist, dass in meisten Fällen nicht die Beteiligten persönlich, sondern deren Vertreter – Gewerkschaften einerseits, Arbeitgeberverbände oder Konzernvorstände andererseits – an den so genannten „Lohnrunden“ teilnehmen. Es kommt also kaum vor, dass sich die direkt beteiligten – der Arbeiter oder Angestellter einerseits, der Aktionär andererseits – an den Tisch setzen um miteinander über den Wert der zu entlohnenden Arbeit zu diskutieren.

Die Weiterleitung der Verhandlungen an Vertreter mag der Grund für die o.g. emotionellen Beschreibungen sein, die wenig mit nüchternen ökonomischen Begriffen zu tun haben. Aber klar: als Vertreter muss man nicht nur Verhandlungsgeschick und Wirtschaftswissen vorweisen können – sondern sich auch „laut“ und „werbewirksam“ darstellen – am besten schon vor dem Beginn jeglicher Verhandlungsrunden. Man will – als Gewerkschafter oder Personalvorstand - nicht nur dem Gegenüber an Masse und Profil gewinnen, sondern auch und vor allem gegenüber dem, den man da vertritt – sei es der Angestellte oder der Aktionär. Der soll ja nicht glauben, schlecht vertreten zu werden! - schließlich kommt er für den Gehalt des Gewerkschaftsführers oder des Vorstandsbosses auf.

Würde man jedoch den Ton und die Lautstärke der rituellen „Lohnrunden“ ausblenden, würden trotzdem Dysharmonien solcher Verhandlungen unübersehbar/hörbar bleiben. Nicht so sehr wegen der Differenzen, bzw. der weit entfernter Standpunkte. Denn selbstverständlich will der Proletarier immer mehr Lohn, und selbstverständlich will der Kapitalist immer weniger davon bezahlen.

Seltsam wirkt vor allem, daß beide Seiten bei ihren Vorstellungen über mögliche („machbare“, „realistische“, „längst verdiente“, „angemessene“ etc.) Erhöhungen der Gehälter und Löhne zwar immer wieder Zahlen nennen – doch kaum sich die Mühe machen, diese Werte zu begründen. Warum will die Gewerkschaft „verdi“ 6,5% mehr für die Telekom-Branche? Warum hat VW von sich aus 4,5% seinen Angestellten angeboten? Chemie-Gewerkschaft fordert gar bis 7%, während sich die „Metaller“ mit 3,6% begnügen. Und trotz meiner Bemühungen, mich auf der Suche nach Argumentation tiefer in Zeitungsspalten oder Internet-Seiten einzubohren – kaum findet man eine bessere Begründung als das platte „...weil es mit der Wirtschaft nun deutlich aufwärts geht“ (Gewerkschaftsbosse) bzw. „...dass der Aufschwung noch nicht als dauerhaft bezeichnet werden kann“ (Firmenbosse). Woher dann die Zahlen beiderseits? Sie sind höher als der BIP, niedriger als der Industriewachstum. Werden eher die gestiegenen Umsätze oder die Gewinne der Unternehmen herangezogen? Branchenspezifisch oder nicht? Wird die Inflation miteinbezogen, kommt deren Angleichung ohnehin automatisch? Fragen über Fragen, wobei meine Frage lautet:

Wieso wird nicht automatisch jedes Gehalt, jeder Lohn um die Summe aus Inflation und dem Produktivitätszuwachs erhöht? Damit würde man sich die ganzen testosteronaufgedunsenen Lohnrunden mit himmelshergezogenen Zahlen und lächerlichen Parolen („Wir fordern!“ - „Mehr können wir nicht!...“) sparen.

Warum die Produktivität als Hauptfaktor? Weil es nichts anderes ist, als der Wert der Arbeit, die ein Angestellter im Jahr dem Unternehmer/Arbeitgeber gegeben hat. Hat er nun mehr geleistet, sollte er dafür gerecht entlohnt werden – inklusive der Inflationsrate (da auch der Unternehmer diese in die Preise seiner Produkte einrechnet).

Aus Sicht der Angestellten kommen andere Faktoren nicht in Frage: Weder der Unternehmensgewinn noch der Umsatz. Denn in beiden Fällen – ob diese steigen oder fallen – ist der Einfluss des „durschnittlichen“ Angestellten eher gering. Ausser, man hat in seinem Vertrag eine „Provisionsklausel“

Selbstverständlich ginge es in der Praxis (leider) nicht so weit, dass man pro Angestellten genau dessen Produktivitätszuwachs messen könnte. Doch – je nach Betriebsgröße, ggf. per Abteilung oder Niederlassung, könnte man problemlos übergreifende Werte zur Hand nehmen. Eine kleine Produktionsfirma oder ein Amt wird kaum über genaue Produktivitätsstatistiken verfügen – doch da kann man problemlos auf so genannte „Branchen-“ oder „Sektorproduktivitäten“ zurückgreifen. Glaubt nun die Belegschaft, dass die Produktivität des eigenen Betriebes über diesen sektoralen Werten liegt – dann sollte dem Betriebsrat die Möglichkeit des Einblicks in die Unternehmenszahlen gewährt werden, so dass er/sie eine höhere Produktivität nachweist. Genauso in Fällen, wo die Angestellten behaupten, zwar nicht mehr an Zeit gearbeitet zu haben, jedoch – ob durch Motivation oder Geschicklichkeit – mehr als Umsatz geleistet hatten. In beiden Fällen müssten aber die Betriebsräte sich die statistische Arbeit machen – denn sie fordern ja das „Mehr“, nicht der Geschäftsführer. Dieser hingegen müsste selbst plausibel nachweisen, dass die betriebsinterne Produktivität unter der sektoralen liegt – ansonsten muss er die auszahlen.

Genauso möglich wäre es, falls wie 2008 / 2009 die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens - marktbedingt, nicht selbst verschuldet – schwierig ist, dass man sich zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern auf eine vorübergehende Aussetzung der Gehaltserhöhungen einigt – diese dann aber (statistisch summiert) später, in den „guten Jahren“ - nachzahlt. Genauso übrigens, wenn die Produktivität wegen schlechter Auftragslage sinken würde: auch da ist der Arbeiter nicht schuld, und auch da könnte man mit dem Arbeitgeber aushandeln, dass das Gehalt nicht gesenkt wird, dafür aber in den Folgejahren entsprechend weniger erhöht.

Die Absurdität des lautstarken Lohnrunden-Rituals ist umso erstaunlicher, je mehr man sich nüchtern die Zahlen der folgenden Tabelle ansieht, wo ich einerseits die durchschnittlichen Lohnerhöhungen in Deutschland, und andererseits die Summe aus Produktivitätszuwachs und Inflation gegenübergestellt habe. Man sieht zwar, dass es sowohl Jahre gab, wo „ungerechtfertigt“ der Lohn höher stieg als er sollte, wie auch Jahre, wo eine „gerechte“ Erhöhung ausgeblieben war. Das interessanteste aber ist die Tatsache, dass in den Jahren 2002-2009 die Gesamtsumme aus Lohnerhöhung minus Inflation minus Produktivitätszuwachs zwar negativ ist, jedoch nur 0,8% beträgt. Was nicht weniger bedeutet, dass insgesamt, über Jahre verteilt, die Löhne beinahe identisch mit Produktivität und Inflation gestiegen sind. Und dass so gesehen die Arbeitgeber und Arbeitnehmer doch nicht so schlecht verhandelt haben.

Tabelle unter:

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Ein Nachtrag muss noch sein: Diese -0,8% könnte jemand als weiteren Beleg für die „wachsende Einkommensschere“ deuten. Falsch: Wenn man die tatsächlich immer größeren Einkommensunterschiede in der Gesellschaft wieder senken will, bräuchte man nur (steuerpolitisch) zu Helmut Kohl zurückgehren: Einkommenststeuersätze rauf, Mehrwertsteuersatz runter. Nicht die Unternehmen sollen mehr von ihrem Umsatz zahlen, sondern deren Eigentümer von ihrem Einkommen.

Nachtrag Nummer zwei, da ich gerade von Steuern sprach: Eine automatische Inflationsanpassung sollte es auch für die Einkommenssteuerstufen geben. Denn ansonsten – bei fast immer positiver Inflation – haben wir den Fall, dass jemand zwar real nicht mehr bekommt, weil er jedoch nominell mehr verdient – nähert er sich einer höheren Besteuerungsstufe.

Ebenfalls inflationsangepasst gehören jedes Jahr, automatisch, die Beträge, die der Staat auszahlt -.wie Hartz4 oder Kindergeld. Denn auch hier nimmt jedes Jahr auch die geringste Inflation einiges weg. Gleichzeitig könnten diese Beträge jedes Jahr um die BIP-Wachstumsrate erhöht werden – denn wenn die gesamte Volkswirtschaft wächst, sollte deren Anteil an Hilfen nicht sinken. Und auch hier könnte man sich somit nervenzerreissende, ideologiegeladene, parteitaktische Streitrunden im Parlament ersparten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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