Das Oettinger-Phänomen

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Ostern ist seit genau einer Woche vorbei, also eine gute Gelegenheit, sich zwar nicht dem Thema „Auferstehung“, sondern dem Spruch „Totgesagte leben länger“ zu widmen.

Als bildhaftes Beispiel – das „Oettinger-Phänomen“.
Nein, ich meine nicht den baden-württenbergischen Ministerpräsidenten Oettinger (der – sofern bekannt - weder gestorben, noch auferstanden ist), sondern das Bier: Das Oettinger-Bier.
Auch dieses hat weder den Geist aufgegeben, noch ist es aus den Toten erwacht, doch es dient mir als ein weiterer Beweis, dass sich der totgesagte „Freie Markt“ - und erst recht der als „tot“ oder gar als „doch nie wirklich da gewesene“ Homo oeconomicus - durchaus am Leben erhalten hat; trotz zahlreicher „Nachrufe“ und „Todesanzeigen“ in letzter Zeit.

Sicher, aufgrund der absurden und krankhaften, berauschten und realitätsfernen Handlungen und natürlich katastrophalen Folgen am Finanzmarkt, wo sowohl große, wie auch kleine Marktteilnehmer sich irrational verhalten hatten, kommt man schnell zu dem Schluss, dass generell die Idee eines rational und (auch ökonomisch) vorteilsgerichteten Menschen ade ist, und nur eine Idee einiger Marktliberaler (Marktradikaler) wie Adam Smith oder Joseph Schumpeter gewesen sein konnte.

Wie schnell man die Idee eines Homo oeconomicus als „längst passé und vergangen“ ansieht, wobei man noch gestern genau diese Vorstellung als „die einzig plausible“ ansah, und wie einfach man aus dem Fehlverhalten einiger weniger Marktteilnehmer (auch wenn die Folgen immens sind) generelle Schlüsse zieht und neue Definitionen predigt, ist psychologisch genauso interessant wie das irre Verhalten der Finanzjongleure selbst.

Oettinger-Bier zeigt aber – neben unzähligen anderen Beispielen – dass der Homo oeconomicus, auch wenn er nie 100%ig mit dem Homo sapiens identisch war, weiterhin recht agil ist. Und dass er vor allem – denkt.
Oettinger-Bier erfreut sich nämlich in Zeiten wie heute, in denen es wenn keine „Krise“, so doch eine „Unsicherheit“ bezüglich des Wohlstands und des Geldbeutels gibt, einer gestiegenen Popularität und eines höheren Absatzes, während zahlreiche „Markenbiere“ weniger gekauft werden. Ist es der frustbedingte Alkoholkonsum, der nicht zu viel kosten soll? Ist es der viel bessere Geschmack? Die wirkungsvollere Werbung?
Nein, es ist der Preis.
Eine 0,5-Liter-Flasche Oettinger-Bier kostet im Schnitt 0,40 € (plus Pfand), während die „Markenbiere“ wie Becks, Krombacher, Flensburger oder Radeberger zwischen 0,65 und 0,85 € pro Flasche (plus Pfand) zu haben sind.

In „krisengeschüttelten Zeiten“ handelt der Konsument, also der Mensch, durchaus ökonomisch, er handelt sogar öfter ökonomisch, als in s.g. „guten Zeiten“. Er schaut mehr auf das Preis/Leistungs-Verhältnis (und so schlecht schmeckt das „Billig-Bier“ gar nicht), und er/sie läßt sich weniger von TV-Werbung beeindrucken und beeinflussen, die ihm vorgaukelt, durch den Konsum eines „Markenbieres“ näher am Gefühl eines Opernbesuchs, eines Sylt-Strandes, oder eines Formel-1-Rennens zu sein. Der Mensch will sein Bier, und weiß, dass die Werbung nur Quatsch ist, von dem man sich zwar manchmal mehr oder weniger (freiwillig und bewusst, oder auch unbewusst) verleiten lässt – aber eher, wenn man enstpannt ist, als wenn man etwas banger auf die Kontoauszüge gucken muss.

Es ist auch eine rein ökonomische Angelegenheit, warum Oettinger-Bier nicht mal die Hälfte der Konkurrenz-Produkte kostet: Die Firma Oettinger verzichtet vollständig auf Werbung, auf aufwendige Aufmachung (goldenes Glitzerpapier am Bierdeckel etc.), und beliefert die Märkte selbst, mit eigenem Fuhrpark.

Und so kommen in millionenhaften Transaktionshandlungen am Markt zwei Homines oeconomici zu einem für beide Seiten angenehmen und sinnvollen, rationalen Geschäft.
(Abgesehen von der Frage, warum man überhaupt Bier konsumiert. Doch Zahnpasta- oder Küchenrolle-Beispiele fand ich nicht so anregend für diesen Text).

Natürlich war der Mensch nie vollständig, roboterhaft ein Homo oeconomicus, er war und ist aber noch weniger ein „Homo irrationalis“.
Ein „ökonomisches“ Verhalten des Menschen bedeutet jedoch nicht automatisch und unbedingt die „freie Marktwirtschaft“ (wie auch immer diese zu definieren sei), denn auch sozialistische, kommunistische und gar feudale Ideen gingen davon aus, ökonomisch sinnvoller als andere Marktmodelle zu sein.
Die freie Marktwirtschaft hat allerdings in meinen Augen den Vorteil, dass – in der Annahme, dass der Mensch zwar oft, aber leider nicht immer rational denkt und zu richtigen Schlüssen kommt – wenn eine gewisse Anzahl der Menschen irrt, eine noch größere Menge nicht irrt. Also laufen nicht so viele wie Lemminge in den Abgrund, wie bei zentral oder konzentriert gesteuerten Markthandlungen, und dass selbst beim Irren der Lernprozess (wie jetzt bei der Finanzkrise, hoffentlich!) schneller einsetzt, als wenn nur einige wenige das Denken und Handeln bestimmen.

Der Homo oeconomicus ist nicht gestorben.

Er hat es allerdings nicht einfach in seinem „Leben“, da er von einigen – leider mächtigen – Markt- und Politikakteuren umgeben ist, die nicht weniger irrational und absurd zu handeln scheinen, als die Kollegen von der Wall Street und London.
Es sind Notenbankchefs, die als Antwort auf eine Kreditkrise (Verschuldungskrise) des Finanzsystems und dessen daher stammenden Probleme mit der Glaubwürdigkeit – mit „Geld-Pumpen“ beantworten, „damit man noch einfacher Schulden aufnehmen kann“! Beziehungsweise Regierungen, die Banken, welche Milliarden in den Sand gesetzt haben, noch mehr Milliarden nachschmeissen. Sind es Homines oeconomici, die den Automobil-Herrstellern Milliarden geben, damit sie Autos produzieren können, die niemand kaufen will, oder aber Bürgern Geld dafür geben, dass sie ihre (funktionierenden!) Fahrzeuge verschrotten, und – auch wenn sie es nicht unbedingt brauchen – neue kaufen!? Ist es rationales ökonomisches Verhalten, wenn der Staat „Bad banks“ gründen will, „Gift-“ oder „Schrottpapiere“ abkaufen will?

Zu hoffen bleibt, dass die Mehrheit der Menschen doch dem Verstand statt dem Herdentrieb folgen wird, und dass der Bürger als Wähler sich wie ein Homo oeconomicus zu eigenem – nicht nur ökonomischen - Vorteil entscheiden wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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