Die Frage der (deutschen) Schuld

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Dieser Text wird nicht von dem „Kollateral“-Massaker von Kunduz handeln, denn dafür bräuchte die Form eines Blogs nicht, da würde schon ein SMS-langer Twitter-Eintrag reichen.
Es ist dennoch meine Absicht, durch die Wahl des Wortes „Schuld“ in der Überschrift die deutschen Reflexe zu aktivieren – wobei es sich eher auf die Gegenwart und erst recht die Zukunft, als auf die Vergangenheit beziehen sollte.

Einen Tag nach dem vom Finanzminister vorgestellten Bundeshaushalt 2010 finde ich es angebracht, nicht zu vergessen, dass das (deutsche) Wort „Schulden“ zu 75% aus dem Wort „Schuld“ besteht. In ähnlichem Rahmen befindet sich die verschuldete Verschuldung des Bundes – 73% in 2009, 78% in 2010.
Während jedoch der erwähnte „Buchstabenanteil“ konstant bleibt, ist es unübersehbar, dass der Anteil der Schulden am deutschen Bruttoinlandsprodukt steigt. Das alleine müsste mir nicht unbedingt Sorgen bereiten – ich könnte ja glauben, dass dies nur „konjunktur-“ oder „krisenbedingt“ geschieht. Für einen solchen Optimismus müsste ich allerdings auch die Entwicklung der Staatsverschuldung seit 1945 ausblenden.
Es geht nicht um Schwarzmalerei, denn ich freue mich, dass ich in Deutschland und nicht in Dubai, Island oder Griechenland lebe, und somit ein Staatsbankrott oder eine Hyperinflation uns und mir kaum drohen.
Besorgniserregend wäre da eher die Tatsache, dass fast jedes Jahr ein größerer Anteil der Staatsausgaben für die Zinszahlungen (von Tilgung spricht bei Staaten fast niemand mehr) benötigt wird, während langfristig die prozentuelle Entwicklung sowohl des Wirtschaftswachstums (wie auch der Steuereinnahmen) nicht mit der Anhäufung der Staatsschuld mithalten kann.
Da war doch wieder dieses Wort - „Schuld“. Am meisten Unbehagen macht mir die Tatsache, dass man in den letzten Jahren, vielleicht Jahrzehnten, die bedeutsame Abstammung der Begriffe „Schulden“ und „Verschulden“ verdrängt und vergessen hatte.
Schulden-Machen sowie eine dauerhafte Verschuldung scheinen kaum jemanden zu stören, und zwar nicht nur aus dem finanziellen, sondern auch aus dem ethischen Standpunkt heraus. (Wobei man sagen könnte, siehe wieder Griechenland oder Dubai, oder auch z.B. Polen oder Brasilien der 80er Jahre, dass die Folgen des „Lebens auf Pump“ sich im Menschen als böse Erfahrung verinnerlichen.)
Das Ausgeben und Konsumieren des Geldes, welches man nur ausgeliehen, und nicht erwirtschaftet und angespart hat, wird vom Beispiel des Staates aus und dessen dauerhaften Kredit-Abhängigkeit auf die Wirtschaftssubjekte und einzelne Bürger übertragen. Als eine Art – auch ethischer – Krankheit, die von Sucht zur Seuche wird. Denn im Schnitt ist jedes Unternehmen zu über 70% seiner Bilanzsumme verschuldet (man nennt es, um das „S“-Wort zu umgehen, „Fremdkapital“), und auch mehr und mehr Privatpersonen und Haushalte empfinden es als normal, Schulden zu machen. Oder, umgekehrt, man bekommt das Gefühl vermittelt, doof zu sein, nur weil man sich nicht in Kredite stürzen möchte, und stattdessen eine Ausgabe oder Anschaffung hinauszögert oder ganz sein lässt.
Gemeint ist nicht nur die Unterschicht, die mithilfe der Konsumentenkredite und Ratenzahlungen gerne den MediaMarkt mit einem neuen Breitbildfernseher oder einer Spielkonsole verlässt, oder neureiche Yuppies, die mit dem neuesten Porsche Cayenne in die Breit-Garage der hippen Villa einparken, während ihnen von beiden – dank Leasing- und Hypothekenkredite - nur ein Bruchteil gehört. Gemeint ist die breite Gesellschaft, die meint, man könne dauerhaft und solle mehr ausgeben als man hat, und es einfach genießen. (Abzahlen, wenn überhaupt, könne man ja „später“, und wenn man vorher stirbt – umso besser, soll sich die Bank „den Rest“ holen!)
Doch, Vorsicht, ich bin doch zu sehr über die Mitbürger hergezogen. Denn statistisch gesehen sind die Privatpersonen bloß zu 17% an ihrem Vermögen gemessen verschuldet. Sicher, die Bank gibt ja nicht jedem Kredit. Anderseits sind meistens weder der Raten-Fernseher noch der Porsche – solange nicht abbezahlt – Teil des Vermögens eines Konsumenten. Dennoch, unabhängig von der Einstellung der Hausbank und der statistischen Auslegungen – im Vergleich zum Staat und der Privatwirtschaft scheint der „Durchschnittsdeutsche“ doch mehr Freude an einem Haus, einem Wagen, einem Elektrogerät oder einem Urlaub zu haben, wenn es nicht „auf Pump“, sondern aus eigener Kraft finanziert wurde.
Kürzlich traf ich sogar einen Unternehmer, der stolz darauf war, im Laufe der Jahre all seine Kredite zurückgezahlt zu haben – und selbst der neue Porsche in seiner Garage wurde per Giro-Überweisung bezahlt. Umso weniger Mitleid habe ich mit all den Wirtschaftstreibenden, die sich nun über die s.g. „Kreditklemme“ seitens der Banken beschweren. Ihre Situation ist das Ergebnis der Strategie und der Entscheidung, die Verschuldung ihrer Unternehmen als strukturell zu betrachten: Anstatt Kredite zu tilgen, wurden diese verlängert bzw. „umgeschichtet“, und die einzige Sorge galt dem Bedienen der Zinsen. Oft hat man – genauso wie der Staat - auf „Wachstum“ gesetzt, und übersehen, dass die Schulden schneller wuchsen als die eigene Wirtschaftsleistung. Und je höher der „Fremdfinanzierungsanteil“, desto höher die Zinsen...

Womit wir wieder bei Dubai, Griechenland, und doch auch bei Deutschland wären. Je mehr wir uns verschulden, desto höher die Zinszahlungen – und desto weniger kann der Staat (bei konstantem Steueraufkommen) für andere, eigentliche Zwecke ausgeben: Soziales, Bildung, Sicherheit, Infrastruktur.
Und genau darin sehe ich die größte Schuld einer langfristigen Schuldenpolitik, „Finanzkrise“ hin oder her:
In der Versuchung das gegenwärtige Wahlvolk zu befriedigen (ob durch „Rentenerhöhung“, „Kindergeld“, „Gesundheitsfonds“, „Konjunkturpaket“, „Abwrackprämie“, „Steuersenkungen“) verschuldet sich der Staat immer mehr, und die daraus resultierenden Zinszahlungen nehmen einen immer größeren Anteil am Haushalt. Dadurch schwächt der Staat sich selbst und grenzt seinen finanziellen (und somit gesellschaftlichen und politischen) Spielraum immer mehr ein.
Damit sind nicht nur die oft beschworenen „Zukunftsgenerationen“ gefährdet und ungerecht behandelt, nein, auch die „Gegenwartsgeneration“ wird direkt betroffen. Entweder durch weniger Leistungen (nicht nur im Sinne finanzieller Zuwendungen) des Staates, oder/und durch die kurzfristigen Folgen in Form von Erhöhung der Steuern und Abgaben (Mehrwertsteuer etc.), mittelfristig durch höhere Inflation. Eine solche würde – perverserweise – die Sparer unter uns bestrafen, und die Verschuldeten begünstigen. Aber auch nur solange, bis diese einen neuen Kredit brauchen...
Die Schuldenpolitik wird auch unter dem Slogan der „Verteilungsgerechtigkeit“ entschuldigt und verteidigt. Da sich aber der deutsche Staat vor allem im Inland verschuldet, sind die meisten Kreditgeber des Staates – indirekt über die Banken oder direkt als Käufer der Staatsanleihen -.die Deutschen selbst. Natürlich nicht alle – nur die, die ein größeres Vermögen haben, um es zu investieren bzw. auszuleihen. Und an genau diese fließen jedes Jahr mehr und mehr Zinsen aus dem Staatsbudget, wodurch sich die oft beschworene „soziale Schere“ eher öffnet als schließt.

Die Lösung ist einfach und bekannt: langfristig mehr einnehmen als ausgeben, Schulden schrittweise abbezahlen. Selbst der derzeit so beliebte Keynes riet genau zu diesem: In guten Zeiten sparen, damit man in den schlechten einen finanziellen Spielraum hat.
Es wäre nicht nur populistisch, sondern auch verlogen, wenn ich nun meinen würde, solch eine Einstellung und ein Lösungswille wären politisch leider unmöglich. Diesen Weg sind nicht wenige Staaten gegangen, und auch Deutschland hat es zaghaft unter Schwarz-Rot versucht.
Wenn ein politischer Wille fehlt, so liegen die Gründe bei uns – den Wählern und Nichtwählern. Und an der ethischen Frage, ob wir nicht gerne geneigt sind, zwar als Privatpersonen vorsichtig mit der Kreditwirtschaft umzugehen, dann aber als Staatsbürger sich nicht besonders darum zu kümmern, wie unsere (Staats-)Finanzen und deren Löcher aussehen.
Auf eine alternative, super-ethische Lösung „...und vergib uns unsere Schuld...“ muss wohl nicht nur Dubai, sondern auch das „christliche Abendland“ verzichten, und das nicht nur wegen des Nachsatzes „...wie auch wir vergeben unsren Schuldigern“.
Dagegen wäre natürlich auch eine komplette, revolutionär-diktatorische Enteignung aller Gläubiger eine mögliche Lösung. Doch, muss ich zugeben, an einem solchen Vorgehen hätte ich ethische (nicht nur volkswirtschaftliche) Zweifel. Die auch aus schlechten Erfahrungen eines kollektiven Planwirtschaftsystems stammen, das sich am Ende derart verschuldet hatte, das es tatsächlich zusammenbrach. Da ein Staat aber leider nicht pleite gehen kann, wurde zwar das System geändert, die Schulden blieben dennoch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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