Die politischen Fankurven

Parteilichkeit Kriege und Konflikte: Wann wird die Grenze zwischen Mitgefühl und Parteilichkeit überschritten? Wann gilt noch das Interesse den Betroffenen?

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In den letzten Monaten erlebe ich – sei es in persönlichen Gesprächen oder in Medienbeiträgen – eine besondere Emotionalisierung in einigen politischen Fragen. Konkret sind das die drei Kriege: der ukrainische Bürgerkrieg, der Palästina-Israel-Krieg sowie der ISIS-Vormarsch im Irak.

Es verwundert nicht, daß gerade Kriege stärkere Emotionen hervorrufen, als etwa Themen wie NSA-Überwachung oder das TTIP-Handelsabkommen, von innenpolitischer Fragen wie Energiepolitik oder PKW-Maut zu schweigen.

Allerdings scheint der Grad der Emotionen umgekehrt proportional zum direkten Bezug der aufgewühlten Person (des Mediums) zu sein. Vielleicht doch nicht ganz, denn geographisch „nähere“ Kriege wie die oben erwähnten erfahren mehr Aufmerksamkeit als der Konflikt im Südsudan oder in Afghanistan. Interessanterweise gerät – leider – gar ein anderer „naher“ Krieg, in Syrien, ebenfalls in den Hintergrund der Berichterstattung und des Interesses.

Im gewissen Sinne ist es „gut“, daß wir angesichts zahlreicher Kriegsverbrechen und des Leids tausender Menschen nicht kalt gelassen werden. Was ich aber kritischer als den wechselnden Grad des Interesses oder der Emotionen selbst sehe – ist die gestiegene (und überhaupt vorhandene) Parteilichkeit der Gesprächspartner oder Autoren.

Siehe der Ukraine-Konflikt: je länger ein Gespräch dauert oder je weiter man sich in einem Text vertieft – desto mehr Parteinahme oder „Sympathie“ für die eine oder die andere Seite des Konflikts scheint durch. Deutlich wird eine parteiliche Emotionalisierung (oder „emotionalisierte Parteilichkeit“?) des Themas. Der bisher vielleicht ehrlich mitfühlende Fokus wechselt von direkt betroffener Menschen in der Ukraine auf propagandistische, pauschale, vorurteilende Stellungnahmen – ob für oder gegen Ukarine, Separatisten, Poroschenko, Putin, EU, Russland, etc. Vielleicht liegt der Grund für das Vergessen der eigentlich betroffenen Menschen darin, daß man selber weder Ukrainer, noch Russe, noch Krim-Tatare ist.

Nicht anders beim Nahost-Konflikt: auch hier sind die wenigsten direkt betroffen, und auch hier wird schnell Stellung bezogen. Auch hier wird die Sorge und Betroffenheit über das Schicksal der palästinensischen und israelischen Familien schnell von politischer Ultra-Stimmung einer Fankurve übertönt.

Es scheint, als sei oft die wichtigste Emotion nicht die Sorge, die Trauer oder das Mitgefühl, sondern die Lust an guerillaartiger, geistiger Parteilichkeit.

Solche bedauernswerte und heuchlerische Verhaltensmuster kommen man nicht nur in Deutschland vor („Russenhasser“ gegen „Russenversteher“), auch in meiner Heimat, Polen, werde ich schnell damit konfrontiert. Es scheint sogar ein automatischer Reflex zu sein: Man „muß“ einfach gegen „die Russen“ sein. Dabei wird noch ein weiterer Aspekt dieses gereizten „Fankurven“-Phänomens sichtbar: Das „um-die-Ecke-Sympathisieren.“ So als wenn ein Schalker-Fan sich hämisch freut, wenn Dortmund gegen Bayern verliert - auch wenn Schalke selbst davon nichts hat. So wurden viele Polen 1994-1999 auf einmal große Tschetschenien-Fans. Nicht etwa aus Überzeugung, aus geschichtlicher Nähe oder Kenntnis des Landes wegen. Die meisten kannten Tschetschenien bis dahin nicht einmal vom Namen. Der Grund der parteilichen Sympathie war einfach: Da stellte sich mal ein „David“ gegen den russischen „Goliath“ hin. Wobei Rußland als Feindbild schon ausreichte: Wären beide Seiten gleich stark, wäre die Stimmung in Polen nicht viel anders. Ähnlich war es im georgisch-russischen Krieg, und besonders krass jetzt im Ukraine-Konflikt. Dagegen ist der seit 1998 ungelöste, mal kriegerischer, mal ruhigerer Konflikt um Nagornij-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan kaum einer Beachtung, kaum einer Emotion, kaum einer Parteinahme wert.

Gleichzeitig gibt es – vereinzelt auch in Polen, nicht nur in Deutschland – mehr und mehr schadenfrohe Menschen, die „irgendwie zu Russland“ halten – weil nun „endlich mal einer sich gegen die EU und vor allem die USA stellt.“ Also quasi ein doppelt indirektes Über-die-Bande-Spiel: „Weil ich ein fernes Subjekt (USA) nicht mag, unterstütze ich ein anderes fernes Subjekt (Russland)“. Vergessen nicht nur die direkt politisch beteiligten (ukrainische Zentralregierung bzw. Separatisten), vergessen vor allem die Menschen in Donezk oder Luhansk.

Bekannt sind solche indirekten und fernen Verhaltensmuster an „Sympathie“ schon seit langem: ob die Unterstützung der evangelikalen Christen für den Staat Israel, der französischen Linken für Palästina, das europaweite Solidarisieren mit Vietkong in den 60er Jahren, die wechselnden Sympathien beim Iran-Irak-Krieg 1980-1988, der „Kampf gegen den (islamischen) Terror“, je nach Land unterschiedliche Parteinahmen und „Verständnis“ für jeweilige Bürgerkriegsparteien in Bosnien-Herzegowina. Oder: hat „der Westen“ 1980 „Solidarnosc“ deswegen geliebt, weil es einen gesellschaftlichen und sozialen Wandel in Polen forderte, oder weil sich hier jemand „gegen die Sowjets“ vorübergehend erfolgreich erhob – etwa wie die afghanischen Mudschaheddin?

Ich denke, daß solche klar parteilichen „Sympathien“ verwerflich sind. Wir sind alle Menschen, nicht ideal, und es fällt manchmal bei der allseits propagandistischer Medienberichterstattung schwer, kühlen Kopf und gleichzeitig ein warmes Herz zu bewahren. Bei jeder Stellungnahme, ja bei jeder Überlegung müsste man sich fragen: bin ich (selbst-)kritisch genug? Kritisiere ich allgemein Mißstände und Verbrechen, oder greife ich gezielt (vermehrt) nur eine (politische) Seite an? Und, vor allem: bleibt denn mein Fokus tatsächlich auf dem Schicksal und dem Wohl der direkt betroffenen Menschen – oder wandle ich mich zu einem wild schimpfenden politischen Ultra und singe den gröllenden Gesang der einen oder anderen Fankurve mit?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lukasz Szopa

Balkanpole. Textverarbeiter. Denker-in-progress. Ökokonservativer Anarchist.

Lukasz Szopa

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