In den letzten Monaten erlebe ich – sei es in persönlichen Gesprächen oder in Medienbeiträgen – eine besondere Emotionalisierung in einigen politischen Fragen. Konkret sind das die drei Kriege: der ukrainische Bürgerkrieg, der Palästina-Israel-Krieg sowie der ISIS-Vormarsch im Irak.
Es verwundert nicht, daß gerade Kriege stärkere Emotionen hervorrufen, als etwa Themen wie NSA-Überwachung oder das TTIP-Handelsabkommen, von innenpolitischer Fragen wie Energiepolitik oder PKW-Maut zu schweigen.
Allerdings scheint der Grad der Emotionen umgekehrt proportional zum direkten Bezug der aufgewühlten Person (des Mediums) zu sein. Vielleicht doch nicht ganz, denn geographisch „nähere“ Kriege wie die oben erwähnten erfahren mehr Aufmerksamkeit als der Konflikt im Südsudan oder in Afghanistan. Interessanterweise gerät – leider – gar ein anderer „naher“ Krieg, in Syrien, ebenfalls in den Hintergrund der Berichterstattung und des Interesses.
Im gewissen Sinne ist es „gut“, daß wir angesichts zahlreicher Kriegsverbrechen und des Leids tausender Menschen nicht kalt gelassen werden. Was ich aber kritischer als den wechselnden Grad des Interesses oder der Emotionen selbst sehe – ist die gestiegene (und überhaupt vorhandene) Parteilichkeit der Gesprächspartner oder Autoren.
Siehe der Ukraine-Konflikt: je länger ein Gespräch dauert oder je weiter man sich in einem Text vertieft – desto mehr Parteinahme oder „Sympathie“ für die eine oder die andere Seite des Konflikts scheint durch. Deutlich wird eine parteiliche Emotionalisierung (oder „emotionalisierte Parteilichkeit“?) des Themas. Der bisher vielleicht ehrlich mitfühlende Fokus wechselt von direkt betroffener Menschen in der Ukraine auf propagandistische, pauschale, vorurteilende Stellungnahmen – ob für oder gegen Ukarine, Separatisten, Poroschenko, Putin, EU, Russland, etc. Vielleicht liegt der Grund für das Vergessen der eigentlich betroffenen Menschen darin, daß man selber weder Ukrainer, noch Russe, noch Krim-Tatare ist.
Nicht anders beim Nahost-Konflikt: auch hier sind die wenigsten direkt betroffen, und auch hier wird schnell Stellung bezogen. Auch hier wird die Sorge und Betroffenheit über das Schicksal der palästinensischen und israelischen Familien schnell von politischer Ultra-Stimmung einer Fankurve übertönt.
Es scheint, als sei oft die wichtigste Emotion nicht die Sorge, die Trauer oder das Mitgefühl, sondern die Lust an guerillaartiger, geistiger Parteilichkeit.
Solche bedauernswerte und heuchlerische Verhaltensmuster kommen man nicht nur in Deutschland vor („Russenhasser“ gegen „Russenversteher“), auch in meiner Heimat, Polen, werde ich schnell damit konfrontiert. Es scheint sogar ein automatischer Reflex zu sein: Man „muß“ einfach gegen „die Russen“ sein. Dabei wird noch ein weiterer Aspekt dieses gereizten „Fankurven“-Phänomens sichtbar: Das „um-die-Ecke-Sympathisieren.“ So als wenn ein Schalker-Fan sich hämisch freut, wenn Dortmund gegen Bayern verliert - auch wenn Schalke selbst davon nichts hat. So wurden viele Polen 1994-1999 auf einmal große Tschetschenien-Fans. Nicht etwa aus Überzeugung, aus geschichtlicher Nähe oder Kenntnis des Landes wegen. Die meisten kannten Tschetschenien bis dahin nicht einmal vom Namen. Der Grund der parteilichen Sympathie war einfach: Da stellte sich mal ein „David“ gegen den russischen „Goliath“ hin. Wobei Rußland als Feindbild schon ausreichte: Wären beide Seiten gleich stark, wäre die Stimmung in Polen nicht viel anders. Ähnlich war es im georgisch-russischen Krieg, und besonders krass jetzt im Ukraine-Konflikt. Dagegen ist der seit 1998 ungelöste, mal kriegerischer, mal ruhigerer Konflikt um Nagornij-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan kaum einer Beachtung, kaum einer Emotion, kaum einer Parteinahme wert.
Gleichzeitig gibt es – vereinzelt auch in Polen, nicht nur in Deutschland – mehr und mehr schadenfrohe Menschen, die „irgendwie zu Russland“ halten – weil nun „endlich mal einer sich gegen die EU und vor allem die USA stellt.“ Also quasi ein doppelt indirektes Über-die-Bande-Spiel: „Weil ich ein fernes Subjekt (USA) nicht mag, unterstütze ich ein anderes fernes Subjekt (Russland)“. Vergessen nicht nur die direkt politisch beteiligten (ukrainische Zentralregierung bzw. Separatisten), vergessen vor allem die Menschen in Donezk oder Luhansk.
Bekannt sind solche indirekten und fernen Verhaltensmuster an „Sympathie“ schon seit langem: ob die Unterstützung der evangelikalen Christen für den Staat Israel, der französischen Linken für Palästina, das europaweite Solidarisieren mit Vietkong in den 60er Jahren, die wechselnden Sympathien beim Iran-Irak-Krieg 1980-1988, der „Kampf gegen den (islamischen) Terror“, je nach Land unterschiedliche Parteinahmen und „Verständnis“ für jeweilige Bürgerkriegsparteien in Bosnien-Herzegowina. Oder: hat „der Westen“ 1980 „Solidarnosc“ deswegen geliebt, weil es einen gesellschaftlichen und sozialen Wandel in Polen forderte, oder weil sich hier jemand „gegen die Sowjets“ vorübergehend erfolgreich erhob – etwa wie die afghanischen Mudschaheddin?
Ich denke, daß solche klar parteilichen „Sympathien“ verwerflich sind. Wir sind alle Menschen, nicht ideal, und es fällt manchmal bei der allseits propagandistischer Medienberichterstattung schwer, kühlen Kopf und gleichzeitig ein warmes Herz zu bewahren. Bei jeder Stellungnahme, ja bei jeder Überlegung müsste man sich fragen: bin ich (selbst-)kritisch genug? Kritisiere ich allgemein Mißstände und Verbrechen, oder greife ich gezielt (vermehrt) nur eine (politische) Seite an? Und, vor allem: bleibt denn mein Fokus tatsächlich auf dem Schicksal und dem Wohl der direkt betroffenen Menschen – oder wandle ich mich zu einem wild schimpfenden politischen Ultra und singe den gröllenden Gesang der einen oder anderen Fankurve mit?
Kommentare 33
In meinen Augen kommt die nächstliegende Ursache einer Emotionalisierung gar nicht vor.
Natürlich ist die Empathie mit den Opfern moralisch & politisch an erster Stelle zu sehen. Wenn, wie in der Ukraine, Zivilisten durch Kriegshandlungen ermordet werden, dann sollte der Impuls sein, dass dies sofort gestoppt werden muss. Es kann auch nicht in die Befugnis einer Regierung gehören, wie legitim oder illegitim man sie auch befinden mag, Bürger und zivile Einrichtungen zu beschießen und zu bombadieren. Hier müsste sofort die zwangsweise Befriedung auf UN-Basis durch absolut neutrale Parteien greifen. Dass es das nicht tut, zeigt viel vom Zustand unserer Welt, aber auch unserer eigenen politischen Moral.
Und hier kommen wir zum zweiten Punkt: An diesem Krieg in der Ukraine ist die Regierung des Landes, in dem wir leben, irgendwie beteiligt (durch politische Verbindungen zu Kiew, aber ja auch indirekt als Geldgeber an die Westukraine, die dies nun für den Krieg gegen die eigene Bevölkerung ausgibt). Da unser Land aber als Demokratie betrachtet wird, fühle ich mich durch die einseitige Parteinahme der Bundesregierung & vor allem durch unsere übel dämonisierende Presse in eine Feindeskonstellation gegen 140 Millionen Russen gepresst. Das macht mich wütend. Zu dieser Politik hat in meinen Augen die Bundesregierung, deren Verhältnis zu uns durch das Grundgesetz (hier v.a. Artikel 20) geregelt ist, weder ein Recht noch ein Mandat. Und da Nulands Auftritte alleine ein exzessives US-Spinning mit Milliardenfundus belegen & die US-Autoritäten in diese Richtung Druck ausüben, fördert der Casus Ukraine natürlich meine Wut auch auf die US-Machteliten, die nun mal die dominante Größe in einem Bündnis sind, dem wir angehören.
Ist das nicht verständlich?
Ich wäre immer noch für Empathie mit den ostukrainischen Kriegsopfern, doch weniger emotionalisiert, wenn die Regierung, die beansprucht, auch meine zu sein, hier neutral wäre & alle Seiten in Richtung der Einhaltung rechtstaatlicher Kriterien und des Völkerrechts drängte, stetig & mit Biss - & ohne irgendeinen blinden Fleck. Dem ist aber nicht so.
Ich wäre auch weniger emotionalisiert, wenn unsere Presse, die beansprucht, unsere "öffentliche Meinung" zu sein, sachlich & in alle Richtungen kritisch berichten würde & sich jeder Dämonisierung, Hetze & Kollektivbeschuldigung von Russen enthalten würde. (Beispiel ein Artikel im FAZ-Feuilleton:
"Denn in der Realität ist das Böse nicht ein Einzelner, sondern das Kollektiv. [...] Heute habe ich Angst vor Russland.")
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/versuch-russland-zu-verstehen-zusammen-sind-wir-wenigstens-zusammen-13078442.htmlgstens zusammen
Ich dachte immer, wir sind doch noch alle durch das moralische Trauma des Nationalsozialismus & des 2. Weltkriegs geprägt. Deshalb bin ich darüber entsetzt, wenn in einer derartigen Stillosigkeit, einem solchen Mangel an Anstand & menschlichem Grundrespekt hemmungslos gegen dasjenige Kollektiv verbal & militärisch aufgerüstet wird, das - bei allen Härten, die auch Deutsche (& erst recht Osteuropäer) durch Russen ertragen mussten - doch die meisten Opfer durch den Nazismus hinnehmen musste & mit einem enormen Blutzoll ganz Europa vom Nationalsozialismus befreit hat. (Die Westoffensive begann erst, nachdem im Grunde der Sieg der Roten Armee über die Wehrmacht schon besiegelt war.)
Aber ich wollte auch gegen kein anderes Land derart aufgewiegelt werden, wie dies derzeit gegen Russland versucht wird.
Und deshalb möchte ich Sie fragen: Sind die Emotionen der "Russland-Versteher" (denn eine Apologie seiner Regierungsform noch seines Regenten habe ich nie betrieben!) auf der gleichen Ebene zu sehen, wie die der "Russland-Basher"? Ist die Verteidigung von Völkerverständigung & -freundschaft auf der gleichen Ebene anzusiedeln wie das Bedürfnis zu hassen?
"
Es gibt eine beträchtliche Bereitschaft, sich instrumentalisieren zu lassen - zumindest verbal. Über den einen oder anderen halbanonymen Kommentar im Internet geht das in den meisten Fällen vermutlich gar nicht hinaus. Aber es beginnt natürlich, die gesellschaftliche Atmosphäre zu bestimmen - nicht weniger als die ebenfalls emotionalisierte Berichterstattung in den sog. "Leitmedien".
Der han-chinesische Tibetologe Wang Lixiong beklagte vor ein paar Jahren eine ähnliche Tendenz in den han-tibetischen Beziehungen, sogar unter Exilanten beider Seiten, die doch eigentlich vergleichbar bittere (und potenziell verbindende?) Erfahrungen gemacht haben müssten.
"Hooliganismus" scheint mir dafür kein schlechter Begriff zu sein. Letztlich sehe ich in solchen Fällen Emote-Konsumenten am Werk. (Wobei Ausnahmen die Regel bestätigen mögen.)
...bedauernswerte und heuchlerische Verhaltensmuster kommen man nicht nur in Deutschland vor („Russenhasser“ gegen „Russenversteher“), auch in meiner Heimat, Polen, werde ich schnell damit konfrontiert.
Wie bewerten Sie diese Meinung?
Es ist schwierig, die spontane Reaktion Empathie und die Emotionalisierung als Mittel der Manipulation auseinander zu halten. Es ist schwierig aus dem Verständnis für berechtigte Interessen einer Partei nicht auch Parteilichkeit im Falle von Kriegen werden zu lassen. Man muss das immer wieder aufbrechen und Pauschalierungen entgegen wirken. Netanjahu ist nicht Israel, die CIA nicht Amerika, die Separatisten nicht die Ostukraine, die Moslems sind nicht die Islamisten. Das Gefühl, sofort einschreiten zu sollen nicht immer das richtige und beste Mittel...
"Ich denke, daß solche klar parteilichen „Sympathien“ verwerflich sind."
Es kommt darauf an. Indem ich mich für etwas ausspreche, z.B. für eine Friedensmission im Gaza-Streifen, mit offenen Zugängen, einem Hafen, Flughafen usw., stelle ich mich automatisch in den Gegensatz, in die Kritik der pro-Israel-Gruppen.
Dabei versteht sich diese Position als eine ganzheitlichere, die durch mehr Freiraum für die Palästinenser auch die Basis der Radikalen geschwächt sieht, auf beiden Seiten.
Versuche ich nun in dem Spannungsverhältnis meine Position zu bestimmen, dann muss ich nach kritischer Analyse auch zu einer Einschätzung und folglich auch zu einer Positionierung kommen können.
Wenn nicht, schaue ich weg, versuche mich zu neutralisieren und stehle mich damit auch aus meiner Verantwortung.
Wenn ich Ungerechtigkeiten empfinde, werde ich auch in Zukunft "parteilich sein", aber nicht im Rahmen einer politischen Blockbildung, einer von der Presse geförderten Eskalierung von Gewalt, sondern von Verstand und Herz. Es wird wohl nicht immer gelingen.
@"Russland-Versteher" vs "Russland-Basher": Hier kommt es darauf an, wo man gerade sitzt, d.h. von welcher Medienmaschinerie und Mainstream-Stammtischemotionen man täglich bombardiert wird. In Deutschland würde ich die Emotionen der "Versteher" eher nachvollziehen können (als Anti-Reaktion), in "russlandfreundlichen" Armenien oder Kasachstan - die der "Basher".
Aber so oder so: Ich kann (auch Ihre) Emotionen verstehen, ich sehe es so wie Sie, dass diese Emotionen als Reaktion auf die Propaganda der Umgebung aktiviert werden. Ich frage aber nicht nach Emotionen, sondern nach einem Schritt weiter, und zwar (emotionalisierter, oder durch Emotionen hervorgerufene) einseitiger Sympathie bis Parteilichkeit. Dieses nämlich kann ich nicht gut heissen, egal in welchem Land man sich befindet und über welche Länder man befindet. Mich schaudert es eben in jenen Momenten, wenn manche Gesprächspartner oder Blogger im emotionalem Stil parteiisch werden und wie FAZ oder RussiaToday klingen.
Da ich persönlich seit Jahrzehnten russofil bin (womit ich oft gegen Jelzin und Putin war), spricht mir dieser Artikel aus der Seele. Wobei ich zugebe, in meinem Blog auch deshalb so emotional und entsetzt zu sein, weil ich Russland wie Ukraine lange kenne und beide schätze. Undm ich schon immer kopfschüttelnd gewundert hatte, warum meine Heimat, Polen, so russophob sein muss. Denn gerade in Russland Anfang der 90er habe ich Unmengen an (vielleicht auch ungerechtfertigter und übertriebener) Sympathie für Polen und Polen erlebt. All das ist leider zum großen Teil zerstört, wobei Polen dazu beigetragen hat, seine potentielle Rolle als Mittler zw. "Osten" und "Westen" Europas zu erfüllen.
Verständlich.
Aber mich erschreckt vor allem der Tabu-Bruch, ganze Bevölkerungen aggressiv zu verschreien. Das ist die erste Stufe der Dehumanisierung von Menschen, die im schlimmsten Fall im Blutvergießen endet.
Der Antikommunismus zählte wenigstens nur auf eine Staatsstruktur. Der Antirussismus aber auf die Russen.
Ihre Vorschläge zu Gaza (Hafen, etc.) sind aus Sicht einer politischen Gegenpartei (Großteil der gegenwärtigen polit. Parteien in Israel) parteiisch, doch selbst dann wäre es eine sachliche, nicht emotionalisierte Parteilichkeit. Wie das Befürworten von grüner Energie in Frankreich oder von mehr Bildungsausgaben in Serbien. Ich habe nichts gegen sachliche Parteilichkeit, eine sachliche Parteilichkeit ist ja Politik oder Ideen, ob ich für mehr oder weniger Steuern bin, ob für mehr Überwachung oder weniger, ob für Braunkohle oder Windräder, für oder gegen Flughafen in Gaza - denn durch jede Idee (sobald sie durchgesetzt worden wäre) würde man die "Gegenpartei" treffen.
Zweitens, wie ich es hier verstehe, ist in Ihrem Beispiel (Gaza) der Fokus immer noch auf den Menschen konzentriert. Sie schlagen es ja nicht vor, um Israel "zu ärgern" (oder, über-die-Bande, Israels Verbündete in Deutschland), oder? Sondern Sie glauben, dies würde den Betroffenen Menschen gut tun.
Ja, wobei auch nach 9/11 der "AntiTerrorismus" in den "AntiIslamismus" und "AntiArabismus" mündete (bish eute glauben viele Menschen, Perser oder Afghanen wären Araber "oder so")...
Den Rest hat mir vor kurzem jd . gegeben, der meinte, der Ukraine-Krieg ist nur ein Komplott jüdischer/israelischer Lobbies...
Klar, Antisemitismus ist leider ein nicht tot zu kriegender Klassiker unter den Rassismen. (Und der Kommentar oben ist besonders dumm, weil Isreal im Russland-Bashing auffallend aus der westlichen Phalanx ausschert. (Sie sind z.B. der UN-Sitzung zur Verurteilung der Einverleibung der Krim ferngeblieben, weil viele russischstämmige Israelis immer noch eine emotionale Haltung zu Russland haben & ihnen die Regierungsbeteiligung der Swoboda auch nicht geheuer ist.)
Aber schlimmer noch als das dumm=gemeine Geschwätz einzelner ist es doch, wenn dieser Stil inzwischen in sogenannten "Qualitätszeitungen" vorherrscht.
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|| Ist die Verteidigung von Völkerverständigung & -freundschaft auf der gleichen Ebene anzusiedeln wie das Bedürfnis zu hassen? ||
Himelherrgott @Redaktion, wann beendet ihr das..? Wann beendet ihr das..? Wann beendet ihr das..???
@"Ich dachte immer, wir sind doch noch alle durch das moralische Trauma des Nationalsozialismus & des 2. Weltkriegs geprägt. Deshalb bin ich darüber entsetzt, wenn in einer derartigen Stillosigkeit, einem solchen Mangel an Anstand & menschlichem Grundrespekt hemmungslos gegen dasjenige Kollektiv verbal & militärisch aufgerüstet wird, das - bei allen Härten, die auch Deutsche (& erst recht Osteuropäer) durch Russen ertragen mussten - doch die meisten Opfer durch den Nazismus hinnehmen musste & mit einem enormen Blutzoll ganz Europa vom Nationalsozialismus befreit hat."
Das sehe ich diametral anders. Ich denke, daß man unabhängig der Geschichte eine Stellung annehmen soll, wo man jeglichen (kollektiven oder nicht) Hass gegen ein Kollektiv/Nation/Menschen kritisch sehen, ablehnen und dem entgegenwirken sollte. Denken Sie etwa ein "Deutscher in Deutschland" müsse empfindlicher gegen Russland-Hass sein als ein "Pole in Polen" ? Ich denke nicht. Wie soll ich mich verhalten, als "Pole in Deutschland"? Sollte ein Portugieser oder ein Inder weniger kritisch sein? Ich lasse mich weder von Geschichte eines Landes / Kontinents, noch von meiner ethischer Herkuft beeinflussen, sondern einzig und allein von Werten (und Emotionen, ja), die ich mir angeeignet hatte.
Warum sollte die Redaktion "das beenden"? Zum einen gibt es weitaus grenzwertigere Kommentare (ich finde die Frage geframed, aber mir wurde sie ja nicht gestellt), zweitens ist die Meinungs- und Ausdrucksfreiheit ein hohes Gut, und drittens widmet Janto Ban diesen Kommentaren ja jede Menge Aufmerksamkeit.
Sie haben kommentiert, ich habe kommentiert, *click*, *click*.
Es kommt doch darauf an, wofür man warum Partei nimmt. Ob es sich also bei der Parteinahme um eine begründete Entscheidung handelt. Denn ich muss sagen, lieber, als sich mit dem scheinheiligen Ausdruck des "über den Dingen Stehens" in komfortabler Neutralität zu verharren ist mir da noch der, der für den Gegner Partei nimmt. Denn für unsere schädlichste politische Tradition halte ich den Ohnemichel , den Niemöller in seinen berühmten Worten so treffend gezeichnet hat.
Das Sich-Nicht-Entscheiden-Wollen, nicht, weil dazu noch Hintergründe und Informationen fehlen, sondern weil man sich nicht in die Nesseln setzen will, ist imho ebenso wenig rühmenswert, wie dem Pazifismus zu frönen, während einer dem anderen 'ne Keule über den Schädel zieht.
Und es ist auch reichlich bigott, sich "für das Wohl der Menschen" zu entscheiden, in der Art, wie sich der Vormund für das Wohl eines Mündels entscheidet. Die Menschen, deren Partei man ergreift, sind keine Mündel. Die entscheiden selber. Weil sie das tun, tragen sie auch die Verantwortung dafür. Dafür, ob ihre Entscheidung rechtens ist oder nicht - und das wiederum sollte Einfluss darauf haben, ob und für wen wir Partei ergreifen.
Ich habe seinerzeit nicht für Solidarnoc Partei ergriffen, weil die dem Wohle der Polen dienten. Sondern weil sie Volk waren und weil Volk das Recht hat, sich nicht von irgend welchen Machthabern beherrschen und entmündigen zu lassen.
Wie ich schon in meiner Antwort @PFEIFEL schreibe: ich wende mich nicht gegen sachliche Parteinahme an sich und nicht gegen Emotionen, sondern gegen eine emotionalisierte Parteilichkeit die die Betroffenen übersieht. Ich lasse auch an keiner Stelle den Einwand "man muss sich erst richtig informiert haben" gelten. Was ich kritisiere ist eine derart emotionale Parteilichkeit in politischen Themen, wie sie sonst bei Ultra-Fußballfans vorkommt. Beispiel: man ist "für Russland, weil man gegen die EU ist" oder "für Georgien, weil gegen Russland" etc.
Ihre Kritik am "Wohl der Menschen" lasse ich fast ganz gelten. Sie haben Recht, die Menschen selbst, die Betroffenen, haben zu entscheiden und haben die Verantwortung für ihre Taten. Uns, "dritten", bleibt die Entscheidung Partei zu ergreifen oder nicht - aufgrund der (immer unzureichender) Informationen wie aufgrund unserer Werte. Mein Einwand wäre bloß: Wenn ich die meisten Menschen in einem Konflikt und deren einzelne Meinungen nicht kenne, muß es "bigott" oder naiv sein, einfach zu wünschen, daß es ihnen "gut" gehen sollte?
...nicht weniger als die ebenfalls emotionalisierte Berichterstattung in den sog. "Leitmedien".
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Die Art der Berichterstattung und die Parteilichkeit der Medien sind aber keine Rechtfertigunsgründe, wenn sich einzelne Menschen in ihren Aussagen ebenso verhalten.
Nein, ist es nicht. Aber es verstärkt wohl die eigene Sicht, egal auf welcher Seite man steht. Natürlich ist jeder Mensch das Ergebnis einer in welcher Weise auch immer ideologischer Einwirkung, ob als individuelle Erfahrung, die des familiären Umfeldes und/oder die Summe allen gelesenen/gesehenen medialen Stoffes. Auch ich bin im Ukraine-Konflikt parteiisch, da ich aus der ehem. UdSSSR komme und das einfache Schema gut-böse, das die Medien in letzter Zeit besonders tumb aufstellen und die offenkundige Dämonisierung Russlands und Putins als unerträglich empfinde. In diesem Zusammenhang: Danke, dass Sie Russland mögen. Ich bin jedoch überzeugt, dass die kindliche Prägung eine sehr große Rolle spielt. Gleich, wie sehr man sich bemüht, rationelle Argumente zu bewerten, wird man sich dieser ersten emotionalen Erfahrung nie entziehen können.
Mit "ich finde die Frage geframed" meinte ich übrigens Ihre, Tralala. Nicht, dass Sie meinen, ich hätte mich da auf Janto Bans Aufforderung in Frageform bezogen.
Dann richten Sie doch bitte Ihren Kommentar an mich, kann nicht ganz folgen, welche Frage meinen Sie?
Wie von Janto Ban zitiert:
Ist die Verteidigung von Völkerverständigung & -freundschaft auf der gleichen Ebene anzusiedeln wie das Bedürfnis zu hassen?
Das ist eine Frage, die einige gewünschte Antworten vorwegnimmt, anstatt sie dem Befragten zu überlassen - nämlich auf welcher Seite die Völkerverständigung und -freundschaft denn zu finden sei.
Da kann Ihre Gegenpartei auch argumentieren, die Völkerfreundschaft werde mit dieser Fleurop-Aktion vor der niederländischen Botschaft praktiziert.
http://www.kyivpost.com/media/images/2014/07/21/p18tcm3ei041mcr31sg71uqq1ffm4/big.jpg
Hass gibt es nicht nur auf einer Seite. Und die Bereitschaft zur Verständigung ist ebenfalls kein Monopol. Vertreter beider Seiten, bzw. viele Partei-Ergreifende, tun aber gerne so, als verhielte es sich so.
Ich liebe Russland weil ich es von einigen langen Reisen kenne und weil ich viele Russen kenne. Nicht anders ist es bei mir mit der Ukraine, mit Litauen, mit Deutschland, mit Italien, mit den USA. Je mehr man Menschen und Länder kennt, desto mehr Empathie empfindet man, und desto Abscheulicher kommen einem alle Arten vor Vorurteil und Hass vor. Ind Russland habe ich übrigens oft erlebt, wie sehr Menschen Polen oder Deutschland schätzen und mögen. Das ist ja das "paradoxe": Je mehr man den Diskurs vom Mensch zu Mensch zieht, desto weniger bleibt da Platz für irgendeinen Hass.
Ich halte es lieber mit Gustav Heinemann: „Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau, fertig!"
Ich hasse kein Land und ich liebe auch kein Land. Mit den Attributen (Sprache) verbinden sich Vorstellungen, die starken Einfluss auf unsere Gedankenwelt nehmen. Dessen muss man sich bewusst sein, wenn man "kühlen Kopf" bewahren will, wie Sie treffend anmerken.
An Fußballfans habe ich selbst schon des Öfteren mal gedacht. Zuweilen sind es sogar tatsächlich Fußballfans; das erste Angebot, mir einen Baseballschläger über den Schädel zu ziehen, erhielt ich von einem israelischen Fußballfan.
Das findet man also gern auf (pro-)israelischer, seltener palästinensischer Seite; dafür gehen Türken und manch andere Araber in dieser Hinsicht auch in die Vollen.
Mehr stört mich allerdings die Propaganda, wenn man die mal als gar nicht mal so emotionales Bemühen betrachtet, eine bestimmte Sichtweise zu vermitteln. Hier tut sich die russische hervor, die sich auf altsowjetische Personalressourcen beruft und ein weltweites, ineinander greifendes Netz umfasst. Das nervt. Weil da selbst die absurdesten Behauptungen mit heiligem Bierernst von allen Seiten wiederholt werden.
Inwieweit wir überhaupt Dritte sind, wäre erst einmal fest zu stellen. Denn es gibt Grundsätze, die sind nationen- und kulturübergreifend. ISIS Wirken ist da ein Beispiel. Und die meisten Menschen in einem Konflikt kennt auch ein unmittelbar Betroffener nicht und ergreift trotzdem Partei.
Gegen "einfach wünschen, dass es ihnen gut gehen sollte" bin ich ein wenig allergisch. Weil doch sehr v iele noch ihre alten kolonialistischen Vorstellungen im Kopf haben - nicht zuletzt übrigens das altsozialistische Propagandapersonal - wonach Menschen aus anderen Kulturen einzig materielle Bedürfnisse haben, keinerlei geistige. Da wird dann auch dieses "gut gehen" einzig auf's Materielle bezogen.
Problem scheint zu sein, dass wir überwiegend unsere Informationen aus Medien beziehen, die uns über ihre Politikseiten fast ausschließlich nur mit Meldungen aus der Welt der Entscheider und ihrer Sprecher versorgen. Es werden überwiegend nur die Aktivitäten von weniger als 1% der Bevölkerung beleuchtet. Das verführt den Mediennutzer dazu, das politische Geschehen - in den Medien in einigermaßen schlüssigen 'Bildern' aufbereitet - als eine Art Theater oder Spiel zu sehen. Ich finde das legitim und es hat auch einen gewissen Unterhaltungswert sich da kommentierend einzuklinken... Aber man (ich auch) vergisst dabei allzu oft die Menschen, die von diesem 'Spiel' direkt betroffen sind – die, mit denen gespielt wird.
99% der West-Ukrainer, Ost-Ukrainer, Russen und Euler (und ihre Interessen) kommen in den Medien so gut wie nicht vor - und wenn, dann nur als fiktive Mitläufer und Informanten; oder als Opfer; Leider machen die linken Medien da keine besonders große Ausnahme.
Was wollen die Menschen in den Regionen (jenseits von Propagandanachgeplapper)? Was wäre für sie die beste (Friedens)Lösung? Wie könnten wir Bürger (über unsere Abgeordneten und Regierung) helfen? Welche großen Reformen wären nötig um hier in Europa dauerhaft friedlich und allseits zufrieden miteinander leben zu können und diesen Frieden zu exportieren? Das wären m.E Fragen, die in den linken Medien und pol. Organisationen in diesen kriegerischen Zeiten erörtert werden müssten,.
Ein aktiver (echter) Linker und (echter) Demokrat fühlt sich als Dienstleister der 'unteren' 99% auf diesem Planeten. Da sollte es zumindest bei ihnen kein 'Parteinahmeproblem' geben.
"Gut gehen" ist für mich zumindest nicht nur materiell zu verstehen. Denn "in Friede und Glück leben" ist ja durchaus geistig zu verstehen - auch wenn es (meine Absicht) wieder "naiv" klingt.
@ Kolonialismus-Gehabe: Als "Kolonialismus" kann aber auch verstanden werden, wenn man unbedingt selber das Zepter für andere Länder / Nationen übernehmen muss, quas sich ungefragt und ungebeten zum "Helfer" macht (ob militärisch oder in der s.g. Entwicklungshilfe).
@ ISIS & "Fans": Glauben Sie es mir oder nicht ,aber auch da gibt es "Fans", die bei dem Vormarsch der ISIS nun mit Schadenfreude schmunzeln: "Ach, da sieht man wieder, das haben nun die Amis davon..." D.h. deren Fokus ist die Freude über das Scheitern der US-Außenpolitik, egal was im Irak eigentlich passiert.
@"Problem scheint zu sein, dass wir überwiegend unsere Informationen aus Medien beziehen, die uns über ihre Politikseiten fast ausschließlich nur mit Meldungen aus der Welt der Entscheider und ihrer Sprecher versorgen. Es werden überwiegend nur die Aktivitäten von weniger als 1% der Bevölkerung beleuchtet."
Das stimme ich Ihnen zu. Ich würde aber erwarten, daß Menschen eben versuchen, nicht nach dem "Medienmeinungsbild" zu denken, sondern eigenständig und kritisch. D.h. sich jeder Mensch eine geistige Unabhängigkeit, kritische Perspektive, und Weisheit erabreitet und davon leiten läßt. Dann landet man recht schnell mit dem Fokus bei den 99%.
Geframed..? Ich bin bescheuert, ich weiß. Wollte aber nur mal meinem schlechten Ruf gerecht werden und Hass ablassen. Hater machen das so..
Wenn Sie das sagen, glaube ich Ihnen das natürlich.
:-))
Halte ich auch fuer reichlich schraeg - aber warum sollte die Redaktion sich dazu afgerufen fuehlen "das zu beenden"?
Das ware doch ein klarer Fall von Zensur!
Oh, ich weiß sehr wohl um ISIS-Fans Bescheid und halte es für klug, dass Obama jedes eventuelle Eingreifen von einer regionalen Koalition abhängig macht.
Mir scheint der springende Punkt eher die Informationsquelle(n) zu sein. Partei zu ergreifen, wenn man ausschließlich auf Informationen der Medien angewiesen ist, ist nicht nur riskant, denn man ist ja auf die Darstellung anderer angewiesen; wobei Propagandamedien weiß Gott keine Alternative sind.
Doch im Zeitalter des Internets ist man darauf nicht mehr angewiesen. Da kann man Kontakte vor Ort haben, denn im Netz sitzen sie alle und auch Tweets von Journalisten sind nicht selten unverfälschter und aufschlussreicher, als die aufbereitete Nachricht. Das heißt nicht, dass man im Internet seinen kritischen Verstand zur Ruhe schicken kann; auch da braucht man seine Methoden, Fälschungen auszusortieren.
Dennoch lässt sich - vielleicht etwas Erfahrung voraus gesetzt .- die Stimmung größerer Volksgruppen durchaus recht zuverlässig erkennen - und bei unmittelbarem Kontakt dürfte es auch schwer fallen, auf kolonialistische Ideen zu kommen.